Читать книгу Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens - Josef Frey - Страница 22
Оглавление16. Pilgertag, Sonntag, 03.05.2015
Rapperswil–Alpthal: 23 km, Gesamt: 302 km
Um 07.15 Uhr herrscht im Schlafsaal der Pilgerherberge bereits reges Treiben. Ich schnappe ganz schnell meinen Waschbeutel und erhasche mir eine noch unbenützte Duschkabine. Zügig packe ich danach meinen Rucksack, lege die Bettdecke gemäß der Zimmernutzungsverordnung ordentlich zusammen – meine Bundeswehrzeit lässt grüßen – und verewige mich noch mit einem kurzen Pilgergruß im Gästebuch.
Die Pilgergruppe hat im benachbarten Café einen Tisch für das Frühstück reserviert. Der Einladung, mit ihnen zusammen zu frühstücken, folge ich gerne. Es ist eine gemütliche Runde, draußen regnet es, und so lassen wir uns noch ein Tässchen Kaffee mehr schmecken, ehe ich mich als Erster aufraffe und in die Kälte nach draußen wage.
Holzsteg Zürichsee
Es hat zwischenzeitlich heftig angefangen zu regnen, aber ich bin ja neuerdings bestens für diese Wetterlage ausgerüstet. So gehe ich die Unterführung unter der Straße und der Bahn hindurch zum Holzsteg, welcher 1 ½ km über den Zürichsee durch ein Vogelnaturschutzgebiet führt. Der Steg ist mit einer eleganten Bretterwand versehen, durch welche man die Vögel beobachten kann, diese aber nicht beim Brüten stört.
Auf der gegenüberliegenden Seeseite erreiche ich Pfäffikon, und damit beginnt auch gleich der Anstieg zum Etzelpass auf fast 1000 m über Meeresspiegel. Es regnet, wird immer kälter, aber durch die Körperausdünstung unter dem Regenponcho komme ich mir vor wie in einer Sauna. Besonders auf der Passhöhe geht dann noch ein recht frischer Wind. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht erkälte. Deshalb lege ich gleich in der Kapelle St. Meinrad meinen Regenponcho ab und lüfte meine Kleider.
Etzelpass
Man sieht an den Bäumen sehr deutlich, dass in dieser luftigen Höhe die Natur noch nicht so weit ist wie im Tal, in welches ich mich nun wieder auf wunderbaren Wegen der kleinen Passstraße hinunterbegebe.
Überraschend stehe ich plötzlich am Geburtshaus von Paracelsus, jenem Allroundtalent als Arzt, Astrologe, Laientheologe und Philosoph. Er lebte von 1493 bis 1541, war offensichtlich ein für die sogenannte studierte Fachwelt unangenehmer Zeitgenosse und ständig zu neuen Standorten seines Wirkens getrieben. Mir war der Name eigentlich nur von den Heilwässern ein Begriff. Nachdem ich aber im Nachspann zu meiner Pilgerreise im Internet recherchiert habe, war ich doch sehr beeindruckt über die Lebensleistung dieses Menschen, welchem wir auch heute noch – oder gerade heute – viele Errungenschaften der sogenannten modernen Medizin zu verdanken haben. Wir haben der Forschung und den Medikamenten der Chemieindustrie sicher sehr viel zu verdanken. Aber was Nachhaltigkeit und natürliche Vorbeugung und Gesundung anbelangt, da können wir heute noch viel aus dem Wissen von Paracelsus profitieren.
Eine große Brücke bringt mich auf die andere Seite der Teufelsschlucht, und über eine etwas hügelige Landschaft geht es weiter Richtung Einsiedeln. Vorbei am Sihlsee erreiche ich dann Einsiedeln mit dem riesigen Kloster, welches eindrucksvoll über der Stadt thront. Reges Treiben herrscht vor der Klosteranlage. Drinnen kann ich gerade noch dem Ende eines Dankgottesdienstes für Wallfahrer aus den umliegenden Orten beiwohnen.
Ein Foto der Mutter Gottes wird mir durch zwei sehr pflichtbewusste Glaubensbrüder jedoch sehr eindringlich und arrogant mit dem Hinweis verwehrt, dass es sich hier um ein Gotteshaus handelt. Ich kann mich nicht zurückhalten und antworte etwas schnippisch und vielleicht auch ebenso arrogant, dass sich es bei diesem Trubel hier eher nicht um eine Glaubensfrage, sondern um Geschäftemacherei handelt, um die im Kiosk und Klosterladen angebotenen Bilder kaufen zu müssen. Das werde ich jedoch mit Sicherheit nicht machen, und auch sonst werde ich keinen Franken in den hier angebotenen Touristenkitsch vergeuden!
Kloster Einsiedeln
Ich bin zwar nur der kleine Pilger Sepp, aber ich kann jetzt nachvollziehen, wie Jesus sich seinerzeit gefühlt hat, als er die Händler aus dem Tempel vertrieben hat. Am liebsten hätte ich es ihm gleichgetan. Aber ich kann ja nicht die Ordensbrüder aus ihrem eigenen Kloster verjagen – auch wenn sie es mit ihrer Arroganz verdient hätten … sapperlot aber auch … in diesem Ton behandelt man keinen Klosterbesucher und schon gar nicht einen Pilger! Das muss einfach mal gesagt sein!
Einen weiteren Ordensbruder – gemäß seinem Namensschild ist er von der Wallfahrtsleitung –, lerne ich im Pilgerbüro des Klosters kennen. Er ist sehr hilfsbereit und gibt mir freudig einen Pilgerstempel. Wir haben auch ein sehr angenehmes Gespräch. Er erzählt mir unter anderem, dass er heute Vormittag im Frauenkloster der Benediktinerinnen in Au die Messe gelesen hat. Da werde ich heute noch vorbeikommen. Außerdem hat er diverse Visitenkarten mit Übernachtungsangeboten. Darunter ist auch eine Karte meiner heutigen Gastgeberfamilie. Nach diesen doch sehr unterschiedlichen Klostereindrücken begebe ich mich ins Café „Meinradsberg“ und genehmige mir eine köstliche Erdbeerroulade zum Kännchen Kaffee. Auch die angenehme Wärme im Lokal tut richtig gut. Erst jetzt merke ich, wie durchgefroren ich schon war.
Zurück auf der Straße kann ich meinen Regenponcho bereits nach einigen Hundert Metern ablegen. Es geht jetzt einige Kilometer gemütlich entlang dem kleinen Gebirgsbach Alp. Auf einem nur sanft ansteigenden Weg durch dieses schöne Tal erreiche ich auch bald das Frauenkloster in Au. Ich besichtige die Klosterkirche und läute danach an der Pforte der Benediktinerinnen, um vielleicht einen Pilgerstempel zu erhalten.
Eine etwas betagte Klosterfrau öffnet die Fensterklappe der massiven Türe und gibt gleich ungefragt, aber dafür umso deutlicher, zu verstehen, dass ich hier kein Zimmer für die Nacht bekomme! Ich grüße sie mit einem Sonntagslächeln und erfreue sie mit der Mitteilung, dass ich nicht auf Quartiersuche bin, mich aber über einen Pilgerstempel von dieser schönen Klosteranlage sehr freuen würde. Daraufhin nimmt sie freudestrahlend meinen Pilgerausweis und eilt von dannen. Mit einem strahlenden Gesicht kommt sie zurück, den Stempel in meinem Buch und zwei Tomaten und Äpfel in der Hand als Wegzehrung. Ich nehme alles dankbar an, bedanke mich artig und fülle im Klosterbrunnen nebenan gleich noch meine Wasserflaschen mit dem köstlichen Nass.
Der Blick auf meinem Weg ist immer auf den großen und kleinen Mythen gerichtet. Diese zwei Berge werden bis übermorgen in der Früh der Blickfang auf meiner Tour sein. Obwohl sie mit einer Höhe von 1898 sowie 1811 Metern nicht unbedingt zu den höchsten Gipfeln der Schweiz gehören, sind sie mit ihrer massiven Felsformation ein markanter Blickfang in der Region. Aus allen Blickrichtungen und Tageszeiten werden die zwei Gipfel meine treuen Gefährten sein.
Glücklich erreiche ich das kleine Gebirgsdorf Alpthal mit seiner schönen Dorfkirche. Bei Familie Schuler habe ich mich schon telefonisch angemeldet und freue mich, diese Nacht in einer Blockhütte zu nächtigen, welche im Winter neben dem Kloster Einsiedeln als Teehütte Verwendung findet, wenn ich das richtig verstanden habe. Jede Nacht eine andere Variante der Pilgerbeherbergung.
Mythen
Ich werde freundlich aufgenommen und sehr gut versorgt. Frau Schuler macht Spaghetti bolognese mit grünem Salat. Genau das Richtige für einen hungrigen Pilger. Dazu bediene ich mich aus der umfangreichen Teekiste mit diversen Teesorten. Man kann fast nicht genug trinken, um den Flüssigkeitsverlust auszugleichen. Obwohl die Witterung eher kühl ist, hat der Körper bei der Dauerbelastung einen hohen Flüssigkeitsverlust auszugleichen.
Zwei Pilgerinnen aus Tettnang sind ebenfalls in einer der Blockhütten untergebracht. Sie sind heute Morgen in Pfäffikon gestartet. An dieser Pilgerherberge am Beginn des Anstiegs zum Etzelpass bin ich heute Morgen auch vorbeigekommen. Die Ältere der beiden ist sehr redselig, die jüngere ist eher wortkarg und geht auch nicht auf das unter Pilgern übliche Du ein. Also gut, dann bleiben wir halt beim förmlichen Sie. Sie betreibt eine Pension und hat diese Pilgerreise zum Geburtstag als Erholung und Auszeit von Pension, Gästen und Familie erhalten. Das ist doch mal ein schönes Geschenk.
Unsere Gastgeberin kommt noch an den Tisch. Gesprächsstoff über das Leben hier in den Bergen, die Nähe zum Kloster Einsiedeln und die langen Winter gibt es genügend. Der Einfluss des Klosters in der Region ist aus ihren Erzählungen immer wieder zu spüren. Nicht nur in der Einstellung zum Glauben. Auch der Tourismus und sehr viele Arbeitsplätze der Gewerbebetriebe sind wirtschaftlich stark an die Anziehungskraft des Klosters gebunden. Gemütlich lassen wir den Abend ausklingen und beziehen unsere Holzhütten.
Ich habe noch lange das Licht an, schreibe mein Tagebuch und studiere meinen Reiseführer. Ein Telefonat mit der Heimat wird etwas länger als üblich. Draußen regnet es. Hoffentlich wird es morgen wieder trocken. Ich habe eine anstrengende Bergetappe vor mir.