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28. Pilgertag, Samstag, 28.04.2018

Morges–Genf: 22 km, Gesamt: 601 km

Na ja, wider Erwarten hat sich die Fortsetzung meiner Pilgerreise doch um ein Jahr verzögert. Und auch dieses Jahr ging der Start nicht ganz ohne Reibungsverluste ab.

Eigentlich wollte ich am Anreisetag, also gestern, gleich vom Bahnhof weg meine Etappe starten. Aber in Singen beim Umsteigen in den nächsten Zug hab ich meinen Schrittzähler auf einer Metallbank geschrottet. Und im Zug habe ich dann bemerkt, dass ich meinen Reiseführer zu Hause im Kopierer vergessen habe, weil ich meiner Gattin die Reiseroute kopiert habe. Sch…ande über mein Haupt.

Also führt mich mein Weg nach der Ankunft in Morges zuerst in die Tourist-Info, um ein Sport- und Büchergeschäft zu erfragen. Beides gibt es in der Fußgängerzone. Ein Pilgerquartier wie geplant in Allaman ist jedoch leider schon belegt. So übernachte ich gleich hier in Morges, gehe ins Städtchen und kaufe einen richtig tollen Schrittzähler. Der ist sogar besser als mein alter.

Und in einem Bücherladen bekomme ich einen französischen Reiseführer der Via Gebennensis. Das ist der Weg von Genf bis nach Le Puy en Velay. Den Text verstehe ich zwar nicht, aber dafür hat er richtig tolle Landkarten abgedruckt. Und wegen der Quartiere hab ich eine Broschüre der französischen Freunde des Jakobsweges. Darin sind alle Herbergen, Pensionen und Hotels genauestens und aktuell aufgelistet. So bin ich wieder gut ausgerüstet und genieße einen herrlichen Sonnentag am Genfersee.

Heute Morgen kann ich nach einem netten Plausch an der Hotelrezeption gut ausgeruht endlich meine diesjährige Pilgerreise starten. Direkt vor dem Hotel ist ein lebhafter Wochenmarkt aufgebaut. Da gibt es alles, was das Herz begehrt. Wurst, Käse, Brot, Obst, alte Uhren, Bücher, alte Schüsseln … fast wie bei unserem Jahrmarkt.


Prominente Hochzeit

Vorbei am Rathaus sehe ich die große Tafel, auf welcher über die Eheschließung der berühmten Audrey Hepburn hier an diesem Ort berichtet wird. Wieder eine Berühmtheit, deren Weg ich kreuze. Da kommt mir doch der Gedanke, mir mal Aufkleber mit der Inschrift „Pilger Sepp war auch hier“ zu besorgen. Wäre doch für die Nachwelt eine wichtige Information, oder etwa nicht?

Ich genieße die morgendliche Ruhe und erfreue mich an wunderschönen Parkanlagen entlang des Sees. Vorbei am großen Jachthafen erreiche ich bald St-Prex mit seinen zwei Kirchen.


Park in Morges

In beiden bekomme ich erfreulicherweise meine ersten Pilgerstempel dieses Jahr. Sehr gerne hätte ich noch eine Kerze angezündet, was jedoch mangels Feuerzeug nicht möglich war, obwohl die anwesenden Kommunionskinder und ihre Leiterin die ganze Kirche nach einer Feuerquelle abgesucht haben. Aber der Versuch zählt auch …

In Buchillon komme ich am Ortsausgang an einer kleinen Halle mit gemütlichem Vorplatz vorbei. Ich lasse mich auf einer Bank nieder und genieße zufrieden einen saftigen Apfel. Ein dunkelfarbiger Junge dreht auf seinem Fahrrad einige Runden um den Platz und hat seine kleine Schwester im Schlepptau. Diese kommt zu mir, erzählt mir freudig aus ihrem Leben und stellt mir offensichtlich auch viele Fragen. Da sie jedoch nur Französisch spricht, kann ich sie leider nicht verstehen, und auf meine Antwort – „Je suis allemand“ –, ich bin deutsch, zählt sie alle Länder Europas von Deutschland über Frankreich, Italien, Spanien bis England usw. in französischer Sprache auf. Dabei leuchten ihre großen lustigen Kulleraugen, dass man unwillkürlich herzlich mitlachen muss.


Unberührte Natur

Das sind die schönen Momente, welche man auf solch einer Pilgerreise erleben darf. Ich wünsche ihr alles Gute, und wir winken uns noch lange zu, bis wir uns nicht mehr sehen. Ich wollte nicht aufdringlich sein, sonst hätte ich ihre Mutter, welche drei Bänke weiter saß, gefragt, ob ich ein Foto von ihrer Tochter machen darf.

Bald erreiche ich wieder den See und bin überraschenderweise in einer herrlichen Naturlandschaft. Durch einen Wald stoße ich auf einen kleinen Wildbach und überquere diesen über eine Brücke an einem Wehr. Ein wunderbarer Wanderweg in fast unberührter Natur, unter schattigen Bäumen. Das ist ein Pilgerauftakt, wie ich ihn mir gewünscht, aber hier am dicht besiedelten Genfersee nicht erwartet habe. Vorbei an Kiwiplantagen, die hätte ich hier auch nicht erwartet, komme ich wieder zurück in die Zivilisation und steige einen sanften Hügel entlang ausgedehnter Weinberge hinauf in das kleine Weinbauerndorf Perroy.

Auf halber Höhe sehe ich schon von Weitem jemand auf dem Boden sitzen, und beim Näherkommen entdecke ich Rucksack und Pilgerstab. Es ist ein junger Schweizer Pilger, Tamino heißt er, auf dem Weg nonstop bis Santiago. Er schenkt mir ein 4-blättriges Kleeblatt, welches in dem Moment, an dem ich daheim diese Zeilen schreibe, getrocknet auf meinem Schreibtisch liegt.

In Perroy erreiche ich die Kirche und stelle mit Entzücken fest, dass vor dem Kirchentor ein Verkaufsstand mit Kaffee, Kuchen und diversen Kaltgetränken aufgebaut ist. Sehr gerne nehme ich das Angebot an und genieße die unerwarteten Köstlichkeiten. Es ist ein Wettbewerb für kleine Bläsergruppen, und in der Kirche findet bei einem Konzert die Bewertung statt. Begeistert und voller Stolz wird mir alles rund um diese kleine Veranstaltung erzählt. In mir werden Erinnerungen wach an die Zeit, in der ich selbst bei unserem Musikverein bei solchen Veranstaltungen mitgemacht habe. Musikalisch und auch als Helfer.

Zufrieden schlendre ich durch diesen schönen Ort. Wunderschöne Häuser, Malereien an den Wänden und überdimensionale Weinflaschen auf dem Hof mit Werbung und dem Hinweis auf eine Weinverköstigung. Hier könnte ich es länger aushalten. Hier fühle ich mich herzlich eingeladen.

Wieder durch die Weinberge geht es hinunter in das kleine Städtchen Rolle. Am Strand des Genfersees herrscht ein gar lustiges Treiben. Sonnenbaden, Federballspiel, Duft von gegrilltem Fleisch und Würstchen. Überall fröhliche Stimmen, Singen und Lachen.

Entspannt erblicke ich die Stadtpromenade mit der Anlegestelle der Schiffe. Vorbei an einem Café kommt jemand von der Terrasse auf mich zugerannt und will mich auf einen Kaffee und einen Drink einladen. Ich bedanke mich höflich, ziehe aber die Ruhe auf einer Parkbank vor. Solche Begegnungen sind sehr herzlich, aber wegen der unterschiedlichen Sprachen mitunter auch sehr anstrengend. Und das kann ich jetzt im Moment gerade nicht gebrauchen. Ich genieße einen Apfel und beobachte Spaziergänger, verliebte Paare, geruhsame Rentner und energiegeladene Kinder mit ihren Eltern und Großeltern.

Auch Tamino, der junge Schweizer Pilger, kommt gemütlich an und lässt sich neben einem großen Baum auf der Wiese nieder. Er packt seinen Rucksack aus und richtet sich häuslich ein. Ich glaube, er bereitet schon sein Nachtlager vor.


Schiff, Rolle

Nach kurzer Wartezeit fährt schon mein Schiff an der Anlegestelle ein, und ich freue mich auf eine mehr als zweistündige Schifffahrt über den See ins französische Yvoir, dann zurück ans Schweizer Ufer und weiter nach Genf. In Nyon besteigen zwei Pilgerpaare das Schiff. Sie stammen aus Sand in Franken und sind in Fribourg gestartet, sind also schon einige Tage auf Tour.

Entlang der Vororte und Parkanlagen geht es in das Zentrum von Genf. Schon von Weitem sieht man den berühmten Jet d’eau mit seiner über einhundertvierzig Meter hohen Wasserfontäne. Es ist atemberaubend, mit dem Schiff hier vorbei zur Anlegestelle am Quai Mont-Blanc zu fahren. Vorbei an Nobelhotels wie dem Kempinski oder dem Hotel Beau-Rivage Genève, in dem man leicht mal über 2.000 € für eine Nacht bezahlen darf.

Ich habe heute mal ausnahmsweise auf diese Annehmlichkeiten verzichtet und mir als Pilger standesgemäß im Home St. Pierre bei der Kathedrale ein Bett in der Männerherberge reserviert. Vom Schiff zehn Minuten durch die Altstadt, und schon habe ich mein Domizil erreicht. Ich werde ganz herzlich willkommen geheißen, und mein Bett in der neu renovierten Herberge ist sehr bequem. Wir sind nur zu dritt, so ist es angenehm ruhig.

Jet d’eau


Einen kleinen Abendspaziergang genieße ich im Trubel dieser internationalen Stadt. Am Seeufer gibt es nicht nur Luxushotels, sondern auch unzählige Geschäfte mit Luxusartikel aller bekannten Luxusmarken wie Rolex, Chanel und dergleichen.

Sehr erfreulich ist jedoch, dass ich auf Empfehlung der Herbergsdame eine kleines, charmantes Lokal inmitten der Altstadt finde, in dem ich herrliche Poulardenschlegel mit Kartoffeln Provence und buntem Salat für 15,90 CHF, nach Tageskurs ca. 13,80 €, genießen darf. Und ein gutes Glas Bier haben sie auch noch. Das war ein richtiger Geheimtipp. Danke!

Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens

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