Читать книгу Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens - Josef Frey - Страница 29
Оглавление23. Pilgertag, Montag, 02.05.2016
Rueggisberg–Tafers/Menziswil: 30 km, Gesamt: 477 km
Bereits um 07.00 Uhr stehe ich auf. Frühstück gibt es im Gasthof wegen des Ruhetags nicht. Aber nebenan im Dorfladen haben sie reiche Auswahl für ein gutes Frühstück. Auch ein kleiner Tisch lädt zum Verweilen ein. Da lass ich mich nieder, trinke genüsslich Kaffee und esse zwei belegte Semmel dazu.
Die Wirtin macht ihre Einkäufe und begrüßt mich freundlich. Wir haben ein kurzes Gespräch miteinander. Offensichtlich kann sie es mit der Inhaberin nicht so gut. Da ist irgendein Störfeuer im Raum. Und dabei denkt man immer, in so einer Umgebung ist die Welt mit sich und dem Herrgott im Reinen.
Ich beginne meine heutige Etappe und schaue runter ins Tal. Dieses ist ganz wolkenverhangen. Man kann deutlich sehen, wie sich die Wolken im Tal festgezurrt haben. Mal schauen, wie sich das heute noch entwickelt. Im Moment ist es Gott sei Dank wieder trocken, aber kalt, sehr kalt, bitterkalt … ich sage jetzt nicht auf gut Schwäbisch: „arschkalt“… Aber auch wenn ich es nicht sage, trotzdem friere und zittere ich bitterlich …
Klostermuseum Rueggisberg
Nach dem Ortsausgang komme ich gleich an den Überresten des ehemaligen Klosters (Cluniazenser Kloster, gegründet 1076, aufgehoben 1484/1485) vorbei. Ein dort befindliches kleines Klostermuseum gibt Aufschluss, dass hier in der Blüte des mittelalterlichen Pilgertums diese in Barmherzigkeit aufgenommen, ihnen in Sorgfalt die Füße gewaschen wurden, und als Wegzehrung bekamen sie noch einen Dinar (ca. 3 Franken). Wenn man diese Auszüge der alten Klosterordnung liest, dann könnte man fast neidisch werden, dass man nicht schon 800 Jahre früher hier angekommen ist.
Es geht bergab, vorbei an einer Weide mit Lamas und Kamelen. Die hab ich hier am wenigsten erwartet. Es ist trocken, aber immer noch erbärmlich kalt. Vorbei an mehreren Weilern und kleinen Ortschaften geht es auf und ab in Richtung Schwarzenburg. Zwischenzeitlich muss ich auch immer wieder die Regenausrüstung bemühen. Mein Regenponcho ist derzeit ein sehr gefragter Ausrüstungsgegenstand.
Ich freue mich, als ich in Schwarzenburg eine nette Gastwirtschaft finde, welche mir meine Bouillon mit Ei und eine Tasse schwarzen Tee serviert. Das wird momentan zum Mittagshit der Saison. Warm, flüssig, nahrhaft, leicht verdaulich und angenehm im Geschmack.
Vor Heitenried geht es auf einem alten Römerweg steil nach oben. Diese Wege mögen zwar historisch sehr interessant sein, für einen Pilger sind sie wegen des steinigen Belages einfach unbequem zu gehen und bei Nässe, davon gibt es heute sehr viel, gefährlich rutschig. Aber zum Dank, dass nichts passiert ist, steht gleich oben eine kleine Kapelle, in welcher man eine Dankeskerze anzünden kann. Hier zünde ich gleich zwei an.
Eine ist für einen Freund und seine Familie. Ich hab ihm das versprochen und denke, dass hier ein guter Platz dafür ist. Es istzwar eine Jakobuskapelle, aber an der Wand hängt der Text eines Pilgerliedes, welcher auf die Melodie eines bekannten Marien-Wallfahrtsliedes gemacht wurde, welches wir in unserer Heimat schon oft zusammen musiziert haben. Immer wieder sehe ich auf den Naturpfaden Spuren von Wanderschuhen. Immer das gleiche Profil der Sohle und immer nur eine Person. Und die Abdrücke sind immer ganz frisch. Sehen tue ich aber niemanden. Na ja, ich bin der Pilger Sepp und nicht Winnetou. Deshalb sind meine Kompetenzen im Spurenlesen sicherlich sehr überschaubar.
Römerweg
In Heitenried komme ich gegen 13.00 Uhr an der Pilgerherberge vorbei. Es ist eigentlich schade, aber um diese Zeit ist es einfach noch zu früh, Quartier zu machen. Es gilt der Pilgerruf: Ultreia … weiter! Die Sonne kommt mehr und mehr zum Vorschein, aber ein bitterkalter Wind schneidet mir immer noch scharf ins Gesicht. Ein warmer Wintermantel gehört leider nicht zu meiner Pilgerausrüstung. Aber von Minute zu Minute gewinnt die Sonne an Kraft, und das Gehen wird immer angenehmer, zumindest ertragbar.
Guter Laune erreiche ich St. Antoni. Auf dem Weg kurz vor der Kirche sehe ich einen Wandersmann mit Rucksack über den Kirchenvorplatz gehen. Üblicherweise winkt man einem Mitpilger wenigstens kurz zu oder wartet diese Minute für eine kurze Begrüßung. Der jedoch dreht sich um und geht seinen Weg weiter. … dann eben nicht!
Ich betrete die Kirche und verweile einige Momente am Marienaltar, bevor ich den Pilgerstempel in meinen Pilgerausweis drücke. Jeder Stempelabdruck ist ein Souvenir meines Weges und ruft gleich wieder einen Song in mein Gedächtnis: „Souvenirs, Souvenirs …“ von Bill Ramsey. Singen ist eine der angenehmsten Nebenbeschäftigungen auf meinem Pilgerweg.
Nun geht’s steil bergab und im Tal entlang eines kleinen Baches zügig nach Tafers. Dort will ich mich heute um ein Zimmer bemühen. Bis Fribourg durchzustarten ist mir etwas zu weit, das wären noch gut sechs Kilometer zusätzlich. Schließlich bin ich bis Tafers schon dreißig Kilometer unterwegs.
Am Ortseingang stehen Schüler und befragen Passanten. Auch ich werde gefragt, warum ich unterwegs bin, woher ich komme und wohin ich gehe. Die Kinder haben ein Klassenprojekt und sind in verschiedenen Gruppen mit unterschiedlichen Aufgabenstellungen unterwegs. Es ergibt sich eine sehr rührige und amüsante Befragung. Dafür nehme ich mir gerne ein paar Minuten Zeit.
An der Kirche angekommen, gehe ich zuerst in die kleine Kapelle und denke, ich sehe nicht recht. Da ist der Pilger von St. Antoni und fragt ohne Gruß, ob ich weiß, wo hier ein Pilgerstempel ausliegt. Ich antworte angefressen freundlich, dass ich hier auch fremd bin und nach Quartier suche. Er sagt, dass er noch die knappe Stunde bis Fribourg geht, das passt grade noch so in seinen Streckenplan. Na ja … eine knappe Stunde – wenn seine Uhr gaaanz laangsam geht, dann könnte er es schaffen. Ich wünsche „Buen Camino“, drehe mich um und gehe in die Kirche. So ein damischer Kerl, so ein preußischer …
Nachdem ich in Tafers kein Zimmer finde, rufe ich von der Post die in meinem Reiseführer genannte Familie Brand an. Das Quartier ist etwas außerhalb, deshalb vereinbaren wir eine Uhrzeit, bei welcher mich Frau Brand an der Kirche mit dem Auto abholt. Das Telefonat bei der Post ist für mich gratis. Ich trinke im Kiosk nebenan noch ein Tässchen Kaffee und bekomme diesen als Pilger ebenfalls gratis. Das ist Pilgerfreundlichkeit pur, und ich bedanke mich artig.
Frau Brand kommt mit dem Auto vorgefahren und bequem geht es nach Menziswil zum Haus der Familie. Es ist alles neu, modern und sehr chic. Zum Abendessen bin ich herzlich eingeladen. Ich fühle mich wohl und stelle fest, dass hier die Sprachgrenze zur französischen Schweiz verläuft. Frau Brand hat als Muttersprache Schwyzerdütsch und als Zweitsprache Französisch. Herr Brand spricht nur Französisch, kaum Deutsch.
Zum Abendessen haben wir ein interessantes Gespräch. Meine Gastgeberin erzählt mir, wie man sich hier teilweise wegen der Zweisprachigkeit arrangieren muss. Das hat auch überall im täglichen Leben Auswirkungen. Kindergarten, Schule, Beruf, Freundeskreis.
Ein einzelner Pilger ist oben am Jakobsweg gegen Abend gesichtet worden, erzählt Herr Brand Den wiederum habe ich wahrscheinlich schon kennengelernt. Und heute Nachmittag ist auch eine kleine Gruppe vorbeigekommen. Die habe ich noch nicht gesehen. Auf jeden Fall ist der Weg hier schon sehr gut frequentiert.