Читать книгу Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens - Josef Frey - Страница 26
Оглавление20. Pilgertag, Freitag, 29.04.2016
Lungern–Oberried: 21 km, Gesamt: 392 km
Es ist wieder Pilgerzeit!
In den allerfrühesten Morgenstunden bringt mich meine Karin zum Bahnhof, um mit der Deutschen Bahn nach Friedrichshafen zu fahren. Schnell raus aus dem Zug und 5 Gehminuten durch die Stadt, dann bin ich schon auf der Autofähre über den Bodensee nach Romanshorn. Ich mache es mir im Restaurant bequem und genieße eine Tasse Kaffee. Zurück auf dem Schiffsdeck tut mir meine neue Fleecejacke gute Dienste. Sie ist warm und kuschelig. Bei den noch sehr frischen Außentemperaturen ist das sehr angenehm, genau wie der strahlend blaue Himmel.
Von Romanshorn geht es mit der Schweizer Bahn pünktlich und bequem über Zürich nach Lungern, meinem eigentlichen Ziel- bzw. Startort. Wegen Bauarbeiten an den Gleisen über den Brünigpass besteht ab Giswilen Schienenersatzverkehr, und alle Reisenden müssen auf Omnibusse umsteigen. Ich nehme die Gelegenheit beim Schopf und steige erst auf der Passhöhe in Brünig/Hasliberg aus. Nachdem es in letzter Zeit viel geschneit hat, erspare ich mir deshalb gute zwei Kilometer unangenehmen Aufstieg auf rutschigen Wegen mit Schneematch und Eisplatten.
Oben angekommen, trinke ich im kleinen Restaurant zuerst eine gemütliche Tasse Kaffee. Eine Frau und ein jüngerer Mann sprechen mich an und preisen mir die neue Pilgerherberge unten in Brienz an. Ich habe aber schon für die erste Nacht ein Zimmer in Oberried gebucht. Schade. Aber die zwei laden mich ein, in Brienz auf eine Tasse Kaffee vorbeizuschauen. Mal sehen. Fast genau um 12.00 Uhr starte ich dann meine diesjährige Pilgerwanderung.
Brünigpass
Auf der Passhöhe liegt noch Schnee. Trotzdem ist es angenehm zu gehen. Es herrscht eine wunderbare Stille. Die Luft ist frisch, doch die Sonne erwärmt mein Gemüt. Ich bin glücklich und zufrieden. Es ist schön, wieder auf Pilgerpfaden zu wandeln. Der Abstieg auf der Südseite ist steil, aber durch die Sonne bereits gutabgetrocknet. Neben dem Weg gibt es immer wieder Steintürme zu bewundern, welche offensichtlich als Glückbringer oder auch als Bergtrolle gedeutet werden können.
Traumaussicht
Je näher ich dem Tal komme, desto wärmer wird es. So kann ich bald ohne Gefahr auf die Gesundheit im Shirt gehen und alle Jacken im Rucksack verstauen. Nach Hofstetten mache ich auf einer Ruhebank eine gemütliche Vesperpause und genieße die traumhafte Bergwelt um mich herum. Vor mir erwartet mich bereits der Brienzersee.
Der einzige kleine Wertmutstropfen sind meine zwei großen Zehen. Durch den steilen und langen Abstieg vom Brünigpass sind die Zehennägel verletzt worden. Ich nehme ein festes Pflaster und mache einen Tapeverband. Das mildert zwar die Beschwerden, aber die Nägel gehen in nächster Zeit trotzdem runter, wachsen jedoch wunderbar wieder nach. So hab ich ein ganzes Jahr ein Andenken an den Brünigpass.
Holzpilger
Bald erreiche ich das schöne Städtchen Brienz und gehe ganz entspannt die Seepromenade entlang. Ich kann mich an einem hölzernen Pilgerfreund erheitern, der am See an die lange Pilgertradition hier erinnert.
In der Kirche bekomme ich meinen ersten Pilgerstempel dieses Jahr. Neben dem Nachweis, dass man als Pilger den Weg gegangen ist und damit in entsprechenden privaten und öffentlichen Herbergen nächtigen darf, sind diese Stempel im Pilgerausweis natürlich auch eine bleibende Erinnerung, wenn man zu Hause in einer ruhigen Stunde das Pilgerbuch durchblättert. Fast jeder Stempel könnte eine eigene Geschichte erzählen.
Dass der Weg nicht direkt am See entlang auf ebenen Pfaden nach Oberried führt, das war mir bekannt. Dass ich aber noch solche Höhen erklimmen muss, davon war ich dann doch überrascht. Entschädigt werden meine Mühen jedoch, als ich auf einer langen Hängeseilbrücke die große Schlucht über den Unterweidligraben überquere. Das ist schon ein aufregendes Erlebnis, wofür man in einer anderen Gegend eine Gebühr bezahlen muss.
Ich erfreue mich am Ausblick hinunter zum See und zurück auf das Tal, in welches ich über den Brünigpass abgestiegen bin. Mit einem Blick habe ich den Winter vor Augen, fühle aber auch die fast mediterrane Klimazone der Seen in der Mittelschweiz. Es ist beinahe ein Wunder, dass hier inmitten des Hochgebirges Palmen und ähnliche südliche Bäume und Sträucher gedeihen.
Auf angenehmen Schotterwegen erreiche ich nach einigem Auf und Ab die Gemeinde Oberried. Nervend sind jedoch zwei Düsenjets der Schweizer Luftwaffe. Die drehen hier unaufhaltsam ihre Runden und proben offensichtlich Steilflug und Formationsflug und was sonst alles noch. Die Frage sei mal erlaubt, ob das wirklich in diesem Ausmaß und vor allen Dingen an diesem Ort sein muss? Hier leben Menschen. Von den vielen Touristen, welche für einige ruhige Tage in der schönen Schweizer Bergwelt viel Geld bezahlt haben, ganz zu schweigen. Die Einzigen, welche sich eigentlich nicht aufregen sollen und alles so nehmen müssen, wie es ist, sind die Pilger, zu deren Spezies ich gehöre. Also, lieber Pilger Sepp, nicht aufregen und friedlich in Oberried ankommen.
Das tue ich auch gerne. Im Gasthof „Rössli“ habe ich bereits ein Zimmer reserviert. Die Wirtsleute, eine Schweizerin und ein Italiener, sind sehr nett, und ich kann wunderbar italienisch essen. Danach genehmige ich mir noch ein Gläschen Bier und melde mich per Internet zu Hause. Ein langer und erlebnisreicher Tag geht zu Ende. Wunderschön, ein Auftakt wie aus dem Bilderbuch. Zeitig und zufrieden falle ich in mein Bett und schlafe wunderbar ein.