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17. Pilgertag, Montag, 04.05.2015

Alpthal–Beckenried 17 km, Gesamt: 319 km

Bereits um 07.00 Uhr frühstücke ich zusammen mit den zwei Pilgerinnen aus Tettnang.

Anschließend packe ich meine Siebensachen zusammen, ein kurzer Blick auf meine Holzhütte, die rechte, und los geht’s. Und zwar gleich richtig steil bergan. Es regnet, aber schon nach kurzer Zeit kann ich mich des Ponchos entledigen. Meine Windjacke ist völlig ausreichend.


Hütte Alpthal

Anstieg zum Haggenegg


Ich befinde mich auf dem Anstieg zum „Haggenegg“, mit 1414 m auf der Passhöhe der höchste Punkt auf dem Schweizer Jakobsweg. Plötzlich höre ich in einiger Entfernung hinter mir bekannte Stimmen. Die zwei Damen müssen also bald nach mir gestartet sein und sind offensichtlich bei guter Kondition. Bei einer kleinen Kapelle mache ich Rast. Und schon kurz danach kommen die beiden ebenfalls angeschnauft und entledigen sich ihrer Rucksäcke.

Der steilste Teil des Anstiegs ist geschafft. Nun geht es auf guten Wegen vorbei an einer Schutz- und Rasthütte nur noch gemächlich aufwärts. Auf der gegenüberliegenden Bergkette ist die Schneegrenze jetzt deutlich tiefer als mein augenblicklicher Standort. Die majestätischen Gipfel der zwei Mythen sind neben mir fast zum Greifen nah. Manchmal ist es schöner, wenn man in der Nähe von solchen markanten Bergen einen Pass überquert. Dann hat man einen schöneren Anblick. Ich bin jetzt mittendrin in den Bergen. Ein erhebendes Gefühl. Und plötzlich, nach einer kleinen Kuppe stehe ich auf der Passhöhe und sehe vor mir den kleinen Berggasthof. Aus meinem Rother-Reiseführer entnehme ich, dass hier der berühmte Johann Wolfgang von Goethe am 16. Juni 1775 auf seiner Reise durch die Schweiz genächtigt hat.

Heute hat das Berggasthaus leider Ruhetag. Schade, eine kurze Rast bei einer Tasse Kaffee hätte ich jetzt auf dem höchsten Punkt des Schweizer Jakobsweges gerne gemacht.


Haggenegg

Ein paar Meter vom Berggasthaus entfernt, gleich nach der Passhöhe, steht die kleine Pilgerkapelle. Ein kurzes besinnliches Innehalten ist angesagt. Ein kurzes Pilgergebet und ein paar dankbare Worte, dass ich gesund durch diese schöne Bergwelt pilgern darf. Nichts im Leben, zumindest die angenehmen Dinge, sind selbstverständlich. Man muss sich alles täglich neu erarbeiten. Da geben einem dann solche unbeschwerte Tage in schöner Umgebung neue Kraft und Motivation.

Einen schönen Pilgerstempel kann ich in meinen Pilgerausweis drücken. Fasziniert bin ich von der Holztür in die Kapelle. Kunstvoll ist auf der Außenseite eine Jakobsmuschel geschnitzt. Die Spuren der Pilger sind in der Schweiz an fast jedem Ort sichtbar. Es ist kein Phänomen unserer Zeit, diesen Weg zu gehen – nein, die wahren Pilger waren schon lange vor uns hier, wir wandeln nur auf ihren Spuren!

Pilgerkapelle Haggenegg – am höchsten Punkt des Schweizer Jakobsweges


Nun geht es wieder abwärts. Eintausend Höhenmeter hinunter auf zum Teil recht steilen Gebirgspfaden. Je näher ich dem Tal komme, desto mehr Wirtschaftswege darf ich gehen. Die sind dann auch nicht mehr so steil. Es wird deutlich, dass der Anstieg zum Haggenegg vom Zürichsee gerechnet zweigeteilt war. Der erste Teil rauf zum Etzelpass und Einsiedeln. Der zweite Teil dann heute von Alpthal hinauf zur Passhöhe auf 1414 Meter Höhe. Hinunter auf 430 Meter Höhe geht es jetzt aber unendlich lang in einem Stück.

Ich komme nun ins Herz der Schweiz, nach Schwyz. Dieser Name ist nicht nur die Bezeichnung für eine traumhaft schöne Stadt. Schwyz ist auch die Bezeichnung für einen Kanton und für einen Bezirk. Und nachdem Schwyz der wichtigste der drei Urkantone war, wurde dieser Name auch für die gesamte Eidgenossenschaft verwendet. Daraus leitet sich überdies die italienische und französische Form der Namensgebung der Schweiz ab.

Fridolinskapelle


Kurz vor Schwyz, in Ried, besuche ich die Fridolinskapelle. Zum Dank für die gute Überquerung des Haggenegg möchte ich eine Kerze anzünden, habe jedoch keine passende Münze. Ich denke mir, die Bezahlung kann ich sicherlich auch an einem späteren Ort nachholen, der Herrgott wird das hoffentlich so akzeptieren.

Während des Gebets hat mich jedoch die Mutter Gottes so mitleidsvoll angesehen, dass ich als guter sparsamer Schwabe schweren Herzens eine 5-Franken-Münze in den Opferstock warf.

Als guter Schwabe habe ich jedoch nicht versäumt, sie ob dieser reichlichen Gabe auch gleich noch um gutes Wetter und Unterkunft für heute zu bitten! Und im Nachhinein kann ich sagen, diese fünf Franken haben sich gelohnt. Auf Mama Maria ist eben Verlass.

In Schwyz besuche ich die barocke Pfarrkirche St. Martin und bewundere dann die wunderschönen alten Gebäude im Stadtzentrum. Traumhaft schön. Der Blick auf die Speisekarte eines Restaurants wandelt beim Blick auf die Preise jedoch den Traum unverzüglich zum Albtraum. Ich werde hoffentlich heute Abend, egal wo ich mich auch befinde, ein pilgerfreundliches Restaurant finden. Wenn nicht, dann werde ich mich wohl oder übel einer Fastenkur unterziehen müssen.


Zahnwehkapelle

Von Schwyz aus geht’s durch Ibach nach Brunnen am Vierwaldstättersee. An den Wegen gibt es Dutzende kleiner Kapellen für jegliche Anlässe oder als Sühne für irgendwelche Mord- oder sonstige Untaten. Hier komme ich an der Zahnwehkapelle vorbei, welche angeblich die Schmerzen lindert, so man eines Gebetes mächtig ist. Im Hintergrund wachen der große und der kleine Mythen über das Land.

Brunnen – war eigentlich als mein heutiges Etappenziel vorgesehen. Ich gehe gleich zur Schiffsanlegestelle und erkundige mich nach der nächsten Verbindung hinüber nach Treib. Der Verkäufer meint, ich hätte Glück. In einer halben Stunde verkehrt das nächste Schiff. Es ist sogar der einzige noch im Betrieb befindliche Raddampfer auf dem Vierwaldstättersee. Nachdem es jetzt angenehm warm und sonnig ist, will ich die Schifffahrt entsprechend genießen und löse deshalb gleich ein Ticket weiter bis nach Beckenried.


Raddampfer

Bei einer kühlen Cola vom nahen Kiosk warte ich auf mein Schiff. Majestätisch und vorne am Bug reichlich mit Blumen geschmückt, fährt es vom See zur Anlegestelle herein. Beim Einsteigen kommen auch noch die zwei Pilgerinnen aus Tettnang angestürmt. Sie fahren aber nur hinüber nach Treib, um von dort weiterzugehen. Dann wird das voraussichtlich unser letztes Aufeinandertreffen. Wir verabschieden uns schon mal vorsichtshalber und wünschen uns „Buen Camino“. Und im nächsten Moment sind die zwei schon nicht mehr zu sehen.


Dampferfahrt

Ich genieße die Schifffahrt. Im Restaurant trinke ich zuerst eine gemütliche Tasse Kaffee und mache anschließend einen Schiffsrundgang, welcher bei der Größe des Schiffes entsprechend schnell beendet ist. Eigentlich kaum möglich, aber die zwei Pilgerinnen sehe ich nirgends. Erst als sie in Treib das Schiff verlassen, winken wir uns zum Abschied nochmals kurz zu. Ich glaube, die Ältere der zwei wäre am liebsten auch bis Beckenried gefahren.

Wunderbar ist der Blick über den See zurück nach Brunnen mit den zwei Mythen, meinen treuen Begleitern seit Einsiedeln. Kleine blaue Inseln in den Wolken lassen die Sonnenstrahlen auf dem Wasser aufblitzen und einzelne Berge um den See hell erstrahlen. Das gedämpfte und gleichmäßige Stampfen der Schaufelräder durch das Wasser hat eine beruhigende Wirkung und ist angenehm anzuhören. Ich setze mich auf eine Bank, schließe die Augen und genieße den Augenblick.


Jödelichor

Und wenn man denkt, diese Heimatfilmatmosphäre könnte nicht mehr getoppt werden, dann täuscht man sich gewaltig. Vorne im Schiff sitzt ein Schweizer Jödelichor und singt die schönsten Jodellieder.

Diese Ruhe, das leise Stampfen der Schiffsräder, der Chorgesang, der von einer traumhaft schönen Bergwelt eingebettete See. Für das Erlebte hier und jetzt könnte ich mir in keinem Theater der Welt den Eintritt leisten.

Bei herrlichem Sonnenschein komme ich in Beckenried an und beschließe, gleich hier nach einem Quartier zu suchen und den Tag gemütlich ausklingen zu lassen. Bei Familie Scheuber, direkt am See, Zimmer mit Balkon und Seeblick hab ich das große Los gezogen. Gemütlich, bezahlbar und mit herrlicher Aussicht.

Nach einer kurzen Pause und der Besichtigung der großen Kirche finde ich abends auf Empfehlung von Frau Scheuber gleich in der Nähe ein gutes Lokal. Ein wunderbarer Speisesaal mit Rundumblick auf den See und das Bergpanorama machen das wunderbare Essen zu einem Hochgenuss für Leib und Seele. Und ein frisch eingeschenktes Glas Bier, welches ich noch in aller Ruhe gemütlich genießen kann, runden einen wunderschönen Tag vollendet ab.


Abend am See

Beim abendlichen Blick von meinem Balkon über den See kann ich auf meine heutige Tagesetappe sehen, welche jenseits des kleinen und großen Mythen begonnen hat. An den zwei Bergen vorbei ging es über den Haggenegg und danach hinunter nach Schwyz und weiter nach Brunnen an den Vierwaldstättersee mit der romantischen Schifffahrt hierher nach Beckenried. Heute trägt die Zufriedenheit meinen Namen. Das ist ein schönes Gefühl.

Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens

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