Читать книгу Buen Camino - die schönste Reise meines Lebens - Josef Frey - Страница 5
Оглавление1. Pilgertag, Samstag, 24.09.2011
Oberelchingen–Ulm: 8 km, Gesamt: 8 km
Der erste Tag, die ersten Schritte auf meiner Pilgertour – ein Tag der Erinnerungen
Der Start heute zu meiner großen Pilgertour kommt etwas überraschend. Man kann schon fast sagen, überstürzt. Bereits im Jahr 2007 habe ich mich aufgemacht, diesen Weg zu gehen. Unvernunft über meine körperliche Leistungsfähigkeit und falscher Ehrgeiz („Ein Pilger muss auch leiden können“) haben mich jedoch ganz schnell mit einer schmerzhaften Verletzung zur Aufgabe gezwungen.
Dieses Jahr habe ich mich entschlossen, einen neuen Anfang zu wagen. Deshalb habe ich bei der „Schwäbischen Jakobusgesellschaft“ einen neuen Pilgerausweis online angefordert. Und bereits zwei Tage später, am Samstagvormittag, wurde dieser durch die Post angeliefert.
Nun gab es kein Halten mehr. Ein wunderbarer, sonniger Herbsttag mit strahlend blauem Himmel. Ganz schnell wurden noch die notwendigen samstäglichen Arbeiten wie Einkauf, Autowäsche und Rasenmähen erledigt.
Der Rucksack ist schnell gepackt. Etwas Proviant, Foto und besagter Pilgerausweis. Wegbeschreibung und Wanderkarte benötige ich nicht. Auf dieser ersten Etappe kenne ich jeden Meter des Weges. Zum einen bin ich ja vor vier Jahren schon gelaufen, zum anderen ist der Neustart wieder in der Wallfahrtskirche in Oberelchingen vorgesehen. Hier habe ich neben dem Kloster, hoch über dem Donautal, mit Fernsicht bis zu den Alpen, 55 Jahre gewohnt.
Von meinem jetzigen Wohnsitz in Blaubeuren fahre ich deshalb nach Oberelchingen, parke mein Auto bei der Bahnhaltestelle, ziehe meine Wanderschuhe an, hänge den Rucksack um und umfasse meine Wanderstöcke kräftig mit den Händen. Zuerst muss ich noch den steilen Klosterberg zur Kirche hinauf. Dort, vor dem Marienaltar, will ich meine Pilgertour beginnen.
Bei „Andrea’s Klosterbäckerei“ mache ich kurz halt, um „Grüß Gott“ zu sagen. Danach geht es Schritt für Schritt bergauf. Ich treffe noch mehrere bekannte Leute, die mich herzlich begrüßen und fragen, wie ich mich in der „Fremde“ so fühle. Ich kann allen bestätigen, dass es mir sehr gut geht und ich mich in meiner neuen Heimat sehr wohlfühle.
Für eine Tasse Kaffee im Biergarten der Klosterbräustuben lasse ich mir aber Zeit. Ich sitze allein an einem Tisch und genieße die Ruhe.
Meine Gedanken schweifen in Erinnerungen der letzten 60 Jahre. Ich sehe neben dem Klosterbräu die alte Herrschaftsvilla, welche wir bei meiner Geburt bewohnten, weil meine Eltern in der Brauerei und der Gastronomie gearbeitet haben. Und die damalige Besitzerin der gesamten Anlage hier war meine gefühlte Oma. Sie hatte keine Enkel und ich keine Großeltern. Also passten wir doch wunderbar zusammen. Jeder hatte viel Freude am anderen. Eine unvergessliche Kindheit.
Jeden Kastanienbaum über dem alten Biergarten, den ich so vor mir sehe, kenne ich noch aus Kindheitstagen. Auf jeden bin ich schon hinaufgestiegen, und manchen Sturz in die Tiefe habe ich Gott sei Dank ohne Schaden überstanden.
Gedanken an eine unvergessliche Kindheit. Ich nehme meinen Rucksack auf den Rücken und gehe an meinem Geburtshaus vorbei zur Klosterkirche. Am Modell der Klosteranlage, wie es Ende des 18. Jahrhunderts in voller Blüte ausgesehen hat, erinnere ich mich an die Schlacht von Elchingen. Im Jahr 1805 kämpfte hier Kaiser Napoleon in der Schlacht von Elchingen siegreich gegen die Österreicher. Tausende toter Menschen lassen das Leid für die Soldaten und die damalige Bevölkerung nur erahnen. Ein geschichtsträchtiger Ort.
Credencial
Gleich am letzten Pfeiler der Kirche befindet sich die Stempelstelle für die Jakobspilger, welche hier regelmäßig vorbeikommen. Auch ich bin heute als Jakobspilger hier und stolz, den ersten Stempel in meinen Pilgerausweis, meinem Credencial, in meinem Geburtsort zu erhalten. Als kleiner Junge, als ich zum ersten Mal einen Jakobspilger mit Stock und Jakobsmuschel hier in der Kirche sah, da habe ich gesagt: „Das möchte ich auch mal machen.“ Und dieser Ausspruch, dieser Gedanke wurde nie aus meinem Kopf verdrängt.
Zu jener Zeit habe ich natürlich noch nichts über die Hintergründe dieses Weges gewusst. Aber letztendlich waren diese kindlichen Gedanken der geistige Startschuss für die Unternehmung, welche ich hier und heute beginne.
Ich gehe zum Marienaltar. Hier bin ich oft auf ein Gebet zu Besuch. An unserem „Hohen Umgang“ findet alljährlich eine große Marienwallfahrt statt. Sehr viele Besucher und Pilger kommen hierher. Aus Bettringen bei Schwäbisch Gmünd kommen viele Wallfahrer sogar zu Fuß, um ein Gelübde aus der Pestzeit einzulösen. Heute bitte ich die heilige Maria um ihren Segen für meine Pilgertour zum Grab des heiligen Jakobus.
Die Zeit ist gekommen. Ich stelle meinen Schrittzähler auf null. Es wird ein langer Weg über einen langen Zeitraum. Schritt für Schritt, Etappe für Etappe und wahrscheinlich auch Jahr für Jahr. Denn ich kann nicht monatelang am Stück pilgern. Ich möchte die ersten Streckenabschnitte in kleinen Abschnitten erwandern.
Guten Glaubens und guten Mutes verlasse ich die Kirche und genieße wieder die warme Herbstsonne auf dem Klosterhof vor der Kirche. Ich gehe aus dem Ort in Richtung großer Forst. Bei Familie Bayer, immer sehr geschätzte Nachbarn im Pensionsalter, steht das Wohnmobil vor der Tür, und die Flagge des Freistaates Bayern ist gehisst. Das sicherste Zeichen, dass sie auch zu Hause sind.
Nachdem ich schon längere Zeit nichts mehr von ihnen gehört habe, beschließe ich ganz spontan, kurz „Grüß Gott“ zu sagen. Daraus wird natürlich eine gemütliche Kaffeestunde mit selbst gemachtem Zwetschgenkuchen und Sahne. Es ist sehr schön, doch irgendwann muss ich aufbrechen, will ich doch heute noch bis nach Ulm, meinem ersten Etappenziel, kommen.
Herr Bayer holt aus seinen Urlaubsutensilien für meinen Rucksack noch eine Jakobsmuschel, die er aus Portugal mitgebracht hat. Danke! Diese Muschel werde ich sicher nach Santiago de Compostela tragen. Sie wird mich auf meinem Weg immer als Jakobspilger ausweisen und gleichzeitig immer dankbar an den heutigen Start meiner Pilgerreise erinnern.
Mein Weg führt mich auf einen schmalen Wanderpfad im schattigen Wald in den Ortsteil Thalfingen. Hier steht das Rathaus unserer Gemeinde und ich habe hier eine kleine Eigentumswohnung, in welcher ich ein Jahr gewohnt habe, bevor ich nach Blaubeuren gezogen bin. In der Kirche „Christus unser Leben“ hat meine Tochter im Mai dieses Jahres geheiratet. Es war ein schönes Fest. Ich will sie anrufen. Auf eine Tasse Kaffee hätte ich gerade noch Zeit. Aber leider ist sie nicht zu Hause.
Entlang der Donau, gemütlich auf einem wunderbaren Fuß- und Radweg direkt am Fluss geht es zügig voran. Oberhalb des Donaukraftwerkes liegen noch einige der „Ulmer Schachteln“ vor Anker. Auf solchen Holzschiffen sind seinerzeit Waren donauabwärts verfrachtet worden. Auch die Donauschwaben sind von Ulm aus auf solchen Schiffen ohne Kiel nach Ungarn, Rumänien etc. ausgesiedelt.
Ein wunderbares, frühherbstliches Farbenpanorama begleitet mich bis zur Ulmer Friedrichsau. Diese ist Erholungs-, Fest- und Freizeitpark in einem. In den weitläufigen Parkanlagen mit Seen und Bachläufen gibt es wunderbare Anpflanzungen und das dazugehörige große Aquarium mit Tropenhaus und Außengehege erfreut Jung und Alt. Und am Schwörmontag, dem Ulmer Nationalfeiertag, wird gegrillt, getanzt und gefeiert.
Friedrichsau
Heute ist es sehr ruhig. Ich gehe bis zum großen Ausee. Dort kaufe ich mir an einem Kiosk eine Semmel mit Leberkäs, setze mich gemütlich auf eine Bank und genieße den Augenblick.
Bis zum Donaustadion führt mich mein Weg, bevor ich meinen ersten Pilgertag abschließe. Viele Dinge gehen mir durch den Kopf. Der Tag war interessant, erholsam und geistreich. Aber auch, in seiner angenehmsten Art, anstrengend.
Eine altbewährte chinesische Weisheit sagt:
Auch der längste Weg beginnt
immer mit dem ersten Schritt!
Die ersten Schritte sind gemacht. Es waren die wichtigsten, denn ohne Beginn gibt es keine Fortsetzung. Und darauf freue ich mich schon voller Ungeduld.