Читать книгу Der Fotograf - Tagebuch eines Killers - J.S. Ranket - Страница 11
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ОглавлениеGegen den Haufen schnatternder Teenager war eine Schar Gänse fast schon leise. Trotzdem genoss Jacob Walker den Tag der offenen Tür an der Vanbrugh Academy, zu dem ihn seine Tochter Emily eingeladen hatte. Nur schaffte er es leider erst am Nachmittag, dort vorbeizuschauen. Selbstverständlich herrschte zu dieser Zeit in dem ehrwürdigen Gebäude noch ein geschäftiges Treiben, denn die Schule meisterte mühelos den schwierigen Spagat zwischen elitär und bodenständig. Trotzdem trugen die Schüler hier ihre Nasen ein bisschen höher. Und genau deshalb war sie sowohl bei ihnen, als auch den Lehrkräften, außerordentlich beliebt.
Natürlich war es da für alle Ehrensache, die Academy in angemessener Weise den Gästen zu präsentieren. Das Schulorchester spielte in wechselnder Besetzung Heavy-Metal-Variationen klassischer Stücke, während Mitglieder der Theatergruppe flaschmobartig zwischen den Besuchern auftauchten und Shakespeare rezitierten. Dabei machte sich Emily einen besonderen Spaß daraus, als schwarzgewandeter Hamlet mit dem Totenschädel des Hofnarren Yorrick zu posieren.
Allerdings gab sie die Rolle sofort an einen Klassenkameraden ab, nachdem sie ihren Vater erblickte.
„Hey Dad“, säuselte sie, „cool, dass du es doch noch geschafft hast.“ Dann hakte sie sich freudestrahlend bei ihm unter. „Jetzt führe ich dich erst einmal herum.“
Nach einer knappen Stunde war Walker stolzer Besitzer einer selbstgedruckten Lithographie, kannte seinen aktuellen Blutzuckerwert und seine Sehstärke und hatte von mindestens einem Dutzend selbstgebackener Kuchen probiert.
„Es ist doch okay, wenn wir heute bei Robyn schlafen, oder?“, stellte Emily ihn vor vollendete Tatsachen. Dabei legte sie den Kopf ein wenig auf die Seite, strich sich ihre braune Mähne hinter das Ohr und zog einen gespielten Schmollmund. Schließlich wusste jede Tochter, wie sie ihren Vater um den Finger wickeln konnte.
„Wir … wer ist wir?“
Doch am Wochenende war die Frage nur reine Formsache, denn Sechzehnjährige organisieren sich ja in der Regel selbst. Jedenfalls wenn sie aus dem Stehgreif Shakespeare rezitieren konnten.
„Na Amber, Alice und ich“, platzte es aus ihr heraus, als gäbe es nur drei weitere Schülerinnen an dieser Schule. Denn die Mädchen hingen tatsächlich ständig zusammen herum.
Inzwischen waren sie in Emilys Klasse angekommen. In dem großen Raum gab es ebenfalls allerhand Interessantes zu bestaunen und außerdem duftete es verführerisch nach Kaffee. Nachdem Walker mehr von den selbstgebackenen Leckereien gegessen hatte, als ihm gut tat, konnte ein bisschen Koffein eigentlich nicht schaden. Nur leider stammte der Duft nicht von kräftigem Espresso, sondern von einem Experiment, das Emilys Freundin Alice betreute.
„Sorry, Süße“, entschuldigte sie sich bei Walkers Tochter mit einem verlegenen Lächeln, „aber ich habe ganz vergessen, dass meine Eltern heute Abend eingeladen sind und ich auf meinen Bruder aufpassen muss.“
Emily verdrehte die Augen, verkniff sich aber eine Bemerkung. Schließlich war es ja Alice, die heute Abend nicht über Jungs lästern, Robyns Vater ein paar Bier klauen und Unmengen Chips essen konnte.
„Tja … das ist echt blöd“, stellte sie deshalb mitfühlend fest. „Schade, dass du das vergessen hast.“
„Na ja, zum Glück ist es mir noch rechtzeitig eingefallen“, murmelte sie. „Du weißt doch, dass mein Dad das gerne pauschalisiert und ich dann automatisch für alles verantwortlich bin, was gerade so schiefläuft. Die globale Erwärmung eingeschlossen.“
Emily prustete los.
„Wir können ja chatten und dich so auf dem Laufenden halten“, schlug sie vor.
„Okay …“, bestätigte Alice. Dann wandte sie sich an Emilys Vater. „Hätten Sie vielleicht Lust auf ein kleines physiologisches Experiment?“
„Selbstverständlich“, stimmte Walker zu. Nach der Führung durch die Schule konnte ihn nichts mehr erschüttern. „Worum geht’s denn?“
„Wir testen, in welcher Konzentration bestimmte Gerüche noch wahrnehmbar sind“, antwortete sie. Dabei deutete Alice auf eine stattliche Anzahl identischer Dosen, die neben ihr auf einem Tisch in kleinen Reihen angeordnet waren. „Sie beginnen mit der niedrigsten und arbeiten sich dann nach oben vor. Sobald Sie etwas zu erkennen glauben, sagen Sie, was es ist.“
„Das klingt sehr interessant“, stellte er fest. Dann schaute er sich suchend um. „Du hast nicht zufällig eine Kanne Kaffee unter dem Tisch versteckt, oder?“
„Oh, das tut mir leid, Mister Walker“, antwortete Alice bedauernd. „Die Bohnen benutzen wir nur zur Neutralisation der Gerüche an den olfaktorischen Rezeptoren. Sonst können Sie nach der vierten oder fünften Probe nicht mehr zwischen Schokolade und Fäkalien unterscheiden.“
Walker nickte zustimmend, während er ein Grinsen unterdrückte. Diese Art von Teenagern benahm sich derart selbstbewusst, als hätten sie bereits ein abgeschlossenes Medizinstudium in der Tasche. Allerdings war das tausendmal besser, als ständig aufs Smartphone zu starren und die seltsamen Botschaften von overstylten Influencern für die einzige Wahrheit zu halten. In dieser Beziehung trennte die Vanbrugh Academy jedenfalls in vorbildlicher Weise die Spreu vom Weizen.
„Ich kann Ihnen aber gerne einen Kaffee besorgen“, bot sie an.
„Also das wäre wirklich toll, Alice.“
„Kein Problem“, bestätigte sie, während sie sich an Emily vorbeidrängelte.
„Wow, offenbar hast du bei ihr einen mächtigen Stein im Brett“, stellte seine Tochter beeindruckt fest. „Meist ist es nämlich genau umgekehrt und sie lässt die anderen für sich rennen.“
„Tja, das ist eben meine unwiderstehliche Aura“, schmunzelte Walker.
Tatsächlich schien Alice äußerst wohlerzogen zu sein. Wenn die Mädchen bei Emily übernachteten, räumte sie wie selbstverständlich das Geschirr in die Spülmaschine und hinterließ im Badezimmer keine mittelgroße Überschwemmung. Darüberhinaus vergaß sie auch nie, Walker leckere Scones mitzubringen. Denn in ihrer Straße befand sich die wohl beste Bäckerei des gesamten Vereinigten Königreiches.
„Hier bitte, Ihr Kaffee“, säuselte Alice wenig später, als sie ihm den Pott mit dem aufgedruckten Schulemblem in die Hand drückte.
„Oh, vielen Dank“, antwortete Walker.
Anders als die vielen Traditionalisten bevorzugte er meist Kaffee. Nur an den Wochenenden, wenn er genug Zeit und Muse hatte, zelebrierte er den klassischen Afternoon Tea. Selbst Emily fand nach ihrer Roten-Haar-und-zerrissenen-Jeans-Phase Gefallen an einer halben Stunde gepflegter Konversation und den Gurkensandwiches. Auch wenn unmittelbar danach ihre Musikanlage die Scheiben des Hauses wieder zum Vibrieren brachte.
„Und, wollen wir starten?“, erkundigte sich Alice, nachdem er einen Schluck des heißen Gebräus getrunken hatte.
„Sehr gerne.“
Alice öffnete mit einem dramatischen Gesichtsausdruck die erste Probe und reichte sie Walker.
„Keine Angst, es ist nichts Ekeliges dabei“, beruhigte sie ihn.
Anschließend erschnüffelte er erfolgreich Essig, Vanille, Minze und noch eine Handvoll anderer Gewürze, die er allerdings erst in einer höheren Konzentration erkannte.
„Sie sind einsame Spitze, Mister Walker …“, stellte Alice anerkennend fest, während sie sich nach Emily und ihren Freundinnen umschaute.
Die drei Mädchen hatten ihre Köpfe zusammengesteckt und begannen offensichtlich schon einmal mit dem Lästern. Denn sie blickten ständig zu einem kleinen Grüppchen junger Männer, die sich um Josh Graham geschart hatten und sich sichtlich Mühe gaben, mit ihren Krawatten so lässig wie möglich zu wirken.
„… und genau deshalb habe ich noch eine ganz spezielle Herausforderung für Sie“, fuhr sie fort, während sie eine weitere Dose unter dem Tisch hervorzog und an ihn weiterreichte.
Walker öffnete vorsichtig die letzte Probe und spähte hinein. Vielleicht war ja Alice doch nicht ganz so wohlerzogen, wie er gedacht hatte, und eine Portion Ammoniak würde gleich seine Schleimhäute verätzen. Ihren Gesichtsausdruck konnte er jedenfalls nicht so richtig deuten und das, was er erraten sollte, war unter einer perforierten Folie verborgen. Aber als er seine Nase über das Behältnis hielt, musste er feststellen, dass sich die Freundin seiner Tochter in ein ausgekochtes kleines Miststück verwandelt hatte.
Wie jeder Mann liebte er Blowjobs. Und natürlich gab er diese unvergleichliche Stimulation mit der Zunge auch an seine Partnerinnen zurück. Das, was da gerade dem Behältnis entströmte, erinnerte ihn dabei verdächtig an den Schoß einer Frau. Und als er das Blitzen in Alice’ Augen sah, wusste er, dass er damit richtig lag. Schon bei Emilys letzter Pyjamaparty hatte er sich gefragt, aus welchem Grund gerade ihr Bademantel nie richtig zugebunden war, wenn sie ihm über den Weg lief.
Und nun kannte er auch die Antwort.
Jetzt musste er nur einen Weg finden, wie er mit der Situation umgehen sollte. Denn obwohl Walker kein Kostverächter war, fand er die Vorstellung, dass ihm eine Klassenkamerdin seiner Tochter eindeutige Avancen machte, ziemlich schräg.
Andererseits konnte man die Teenager heutzutage nicht mehr mit denen seiner Zeit vergleichen. Während die meisten Mädchen in den Neunzigern noch aussahen wie gerupfte Hühner, wirkten sie jetzt mit den richtigen Klamotten wie Anwältinnen oder respektable Unterhausabgeordnete.
Alice musste bestimmt keinen Ausweis mehr vorzeigen, wenn sie ein bisschen Alkohol für eine Party besorgen wollte. Mit Sicherheit hatte sie schon sexuelle Erfahrungen gemacht und wusste dank des Internets über sämtliche Spielarten Bescheid. Das hieß, wenn sie sie nicht bereits selbst ausprobiert hatte. Bei der Vorstellung, dass auch Emily mit irgendeinem dahergelaufenen Schnösel Sex gehabt haben könnte, wurde ihm ganz schlecht. Aber so war das nun mal. Josh Graham, der sie schon des Öfteren nach Hause begleitet hatte, schien jedenfalls nicht die schlechteste Wahl zu sein. Als er sie vor Kurzem völlig sachlich darauf angesprochen hatte, hatte sie ihn angeblickt wie ein Relikt aus dem Mittelalter und mitleidig geseufzt. Offensichtlich war das ihre Art, ihm zu sagen, dass er sich keine Sorgen machen sollte und sie alles im Griff hatte.
Aber sich einem Wildfremden an den Hals zu werfen, war schon eine ganz andere Hausnummer. Auch wenn er Emilys Vater war, könnte er ja trotzdem ein Perverser sein, der eine besondere Vorliebe für blutjunge Mädchen hatte. In ihrer Schuluniform und mit der blonden Mähne sah Alice jedenfalls so aus, als wäre sie einem japanischen Erotik-Manga entsprungen. Vielleicht hatte sie heimlich ihren Rock gekürzt und trug statt der schwarzen Strumpfhose halterlose Nylons. Er war schon sehr gespannt, wie sie reagieren würde, wenn er ihr seine dunkle Seite offenbarte.
„Und …?“, riss sie ihn aus seinen Gedanken, während sie ihm einen verführerischen Augenaufschlag schenkte.
Walker beschloss aus einer plötzlichen Eingebung heraus, zum Gegenangriff überzugehen und der vorlauten Rotzgöre eine Lektion zu erteilen. Und zwar eine, die sie nie vergessen würde.
„Du solltest aufpassen, dass du dich nicht erkältest, Alice“, antwortete er gespielt besorgt. Dabei beobachtete er amüsiert ihr Gesicht, das gerade völlige Verständnislosigkeit wiederspiegelte. „Auf mysteriöse Weise scheint nämlich dein Unterhöschen in die Dose gekommen zu sein.“
Jetzt grinste sie wieder.
„Wenn Sie wollen, dann können Sie mehr als nur mein Höschen haben“, flötete Alice.
Walker schaute sich vorsichtig um. Es war fast sechs und die Räume begannen, sich langsam zu leeren. Auch Emily und ihre Freundinnen standen schon in der Tür. Allerdings waren sie noch immer so tief in ihr Gespräch vertieft, dass sie von dem unmoralischen Angebot nichts mitbekamen.
„Warum ich?“, raunte Walker.
„Na hören Sie mal …“, raunte Alice genauso leise zurück, „… weil Sie heiß sind.“ „Außerdem sind Sie immer so verdammt korrekt, aber auch irgendwie cool. Sie könnten glatt den nächsten James Bond spielen.“
Walker wurde wegen dieses außergewöhnlichen Kompliments fast schon ein bisschen verlegen. Allerdings musste er das von einem Teenager nicht unbedingt zu hundert Prozent ernst nehmen.
„Tja … wenn das so ist, dann wäre es mir ein Vergnügen, das Angebot einer so attraktiven jungen Frau anzunehmen“, ging er mit einem charmanten Lächeln darauf ein.
Alice kicherte mädchenhaft. Sie wusste selbst nur allzu gut, dass sie eine äußerst süße Versuchung war, nach der sich alle die Finger leckten. Aus welchem Grund Walker auf ihre subtilen Versuche bis jetzt nicht reagiert hatte, war ihr jedenfalls ein Rätsel. Aber weil sie es endlich doch geschafft hatte, den heißen Vater ihrer Schulfreundin um den Finger zu wickeln, fühlte sie sich ihm haushoch überlegen.
Dummerweise machte sie das auch extrem leichtsinnig.
„Ich brauche ungefähr eine Viertelstunde, um hier wegzukommen“, säuselte Alice verschwörerisch, während sie ihre Krawatte herunterzog und die Bluse ein wenig öffnete.
„Mein Wagen steht oben an der Park Row“, gab Walker mit einem schüchternen Seitenblick auf ihr Dekolleté zurück.
Anschließend schlenderte er betont langsam zu seiner Tochter und ihren Freundinnen, um sich zu verabschieden.
„Schön, dass du hier warst, Dad“, verabschiedete sich auch Emily. Dann drückte sie ihm einen dicken Kuss auf die Wange. „Ich hoffe, dir wird nicht langweilig ohne mich.“
„Keine Sorge“, beruhigte Walker seine Tochter. „Ich genehmige mir noch einen oder zwei Scotch und schaue mal, was Netflix Neues zu bieten hat.“ „Essen muss ich ja zum Glück nichts mehr“, fügte er grinsend hinzu, während er sich demonstrativ über den Bauch strich. „Und denkt daran, keinen Alkohol, kein Gras und erst recht keine Herrenbesuche nach zehn Uhr.“
Amber und Robyn kicherten, doch Emily verdrehte nur genervt die Augen. Ihr Vater sollte sich wirklich mal einen anderen Spruch einfallen lassen. Was alle an ihm so cool fanden, konnte sie sich jedenfalls nicht erklären.