Читать книгу Der Fotograf - Tagebuch eines Killers - J.S. Ranket - Страница 6
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ОглавлениеSeit über einer Stunde hockte Walker nun schon in dem alten Fabrikgelände neben einem kleinen Tümpel und wartete auf das perfekte Licht. Im dichten Gras des Ufers tummelten sich kurz vor Sonnenuntergang immer Libellen und vollführten mit ihren regenbogenfarbenen Flügeln die tollsten Manöver. Er hatte sich inzwischen eine Spiegelreflexkamera zugelegt, mit der er den bunten Reigen festhalten wollte. Normalerweise hingen die meisten seiner Freunde um diese Zeit mit ein paar Bier vor dem Scottish Arms herum und versuchten mit ihren frisierten Mopeds, die Mädchen zu beeindrucken. Aber Walker war durch seine ruhige Art ein bisschen zum Außenseiter geworden. Zumal er auf der Suche nach einem ausgefallenen Motiv am liebsten durch marode Hinterhöfe kroch.
Oder sich eben neben einem stinkenden Tümpel auf die Lauer legte.
Allerdings machte ihn das für viele seiner Mitschülerinnen derart interessant, dass er schon wieder irgendwie cool war. Doch er hatte immer nur Augen für Erin. Noch sehr genau erinnerte er sich, wie sie ihm den ersten Blowjob seines Lebens beschert und mädchenhaft gekichert hatte, weil alles buchstäblich daneben ging. Dass sie anschließend seiner Zunge mit ihrem Finger den richtigen Weg weisen musste, fand sie auch überhaupt nicht schlimm.
Nach einer halben Ewigkeit hatte Walker schließlich seine Bilder im Kasten. Im Gegensatz zu unbewegten Motiven, konnte er bei Tieren die Aufnahmen nicht komponieren, sondern musste auf den richtigen Moment warten. Und das dauerte eben. Doch jetzt konnte er sich endlich auf den Heimweg machen. Vielleicht schaute er auch noch einmal bei Erin vorbei. Wenn er an ihre weiche Lippen dachte, musste er sich schon mächtig zusammenreißen, um sich keinen herunterzuholen. So wie vorhin, an dem kleinen Teich.
Gerade als Walker sich durch dichtes Gestrüpp zurück zu seinem Moped kämpfte, hörte er Stimmen. Eine klang wie die von einem Bär, der beim Winterschlaf gestört worden war, und die andere gehörte eindeutig einer Frau. Die beiden schienen ernsthafte Probleme zu haben, denn es wurde immer lauter.
„Wenn du zu blöd zum Ficken bist, dann zeige ich dir nochmal wie es geht“, röhrte der Bär.
Walker war sofort klar, was hier vor sich ging. Hinter vorgehaltener Hand wurde nämlich gemunkelt, dass in den Wohnwagen, die in der alten Industriebrache abgestellt waren, ganz spezielle Dienstleistungen angeboten wurden.
Die Frauenstimme kreischte in einer Sprache, die Walker nicht kannte, doch sie schien mit dem, was der Bär mit ihr vorhatte, nicht einverstanden zu sein. Und genau deshalb schlich er vorsichtig näher.
Als Walker bessere Sicht hatte, entpuppte sich der Bär als ein muskelbepackter Schläger. Die andere Stimme gehörte einer zierlichen Asiatin, die von ihm vor sich her geschubst wurde. Direkt auf einen der Wohnwagen zu.
Instinktiv wollte Walker ihr schon zu Hilfe eilen. Doch auch wenn er knapp fünfzig Liegestütze am Stück und fast doppelt so viele Sit-ups schaffte, konnte er es natürlich nicht mit dem aufgepumpten Typ aufnehmen. Mit Sicherheit hatte der mehr als nur einen gemeinen Trick auf Lager. Wenn er nicht sogar eine Waffe besaß.
Und die Polizei zu rufen, würde auch nicht viel bringen. Bevor die hier waren, wäre ohnehin alles vorbei. Selbst wenn sie Schlimmeres verhindern könnten, wäre ihnen anschließend die junge Frau keine große Hilfe. Wer gegen solche Leute aussagte, der verschwand meist für immer von der Bildfläche oder wurde irgendwo am Ufer der Themse angeschwemmt.
Ohnmächtig musste Walker mit ansehen, wie sie der Kerl die letzten Meter zu dem Wohnwagen schleifte und dann förmlich hineinprügelte. Erst als die beiden im Inneren verschwunden waren, traute er sich aus seiner Deckung und huschte im Schutz der einbrechenden Dunkelheit näher.
Die Geräusche, die zu ihm nach außen drangen, klangen so, als ob eine Herde Rinder über eine Holzbrücke trampelte. Bis sie von einem rhythmischen Quietschen abgelöst wurden. Für Walker gehörte nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, was der Kerl gerade mit ihr da trieb. Trotzdem spähte er vorsichtig durch das Fenster.
Abgesehen von einem kleinen Kühlschrank mit aufgesetzten Herdplatten, gab es in dem Raum lediglich ein Bett, eine Couch und den obligatorischen Fernseher. Und natürlich eine Nische, in der sich ein Mini-Badezimmer befand. Der Einrichtung nach war das die Unterkunft des Wachhundes, oder vielleicht auch Zuhälters, der die junge Frau gerade brutal vergewaltigte.
Er hatte mit seiner Pranke ihre Handgelenke gepackt und drückte sie in die Kissen, während er ihr mit der anderen den Mund zuhielt. Wie ihr zierlicher Unterleib seinen riesigen Schwanz aufnehmen konnte, war Walker ein Rätsel. Selbst einem anatomischen Laien mussten bei diesem Anblick die Haare zu Berge stehen.
Aber das Schlimmste war, dass sie ihn durch die vergilbten Gardinen hindurch unentwegt anstarrte. Natürlich konnte sie ihn nicht sehen, aber ihm kam es so vor, als würde sie ihm direkt in die Augen blicken.
Schweißgebadet rutschte Walker nach unten und presste sich seine Hand auf den Mund, um nicht kotzen zu müssen. Zum Glück hatte der Kerl schon nach wenigen Minuten genug, sodass wenigstens das dämliche Gequietsche aufhörte. Und nach ein paar weiteren Minuten stolperte die junge Frau heraus und verschwand schluchzend in der Dunkelheit.
Wenn Walker gewusst hätte, was er heute mit ansehen müsste, dann hätte er lieber mit seinen Freunden ein paar Bierchen geleert. Aber vielleicht war es auch ein Wink des Schicksals, dass gerade er zu einem heimlichen Zuschauer geworden war. So konnte er nämlich verhindern, dass sich das Ganze wiederholte.
Und zwar endgültig.
Doch vorher musste er noch eine Comedy-Show über sich ergehen lassen. Der Muskelprotz hatte für die Stromversorgung wahrscheinlich irgendeine Leitung angezapft und ließ sich jetzt von gehirnerweichenden Sprüchen berieseln. Dass Walker bei seinen Foto-Touren nie sein Smartphone mitnahm, weil er nicht abgelenkt werden wollte, hielt er in diesem Moment für einen weiteren Fingerzeig von oben. Sollte irgendjemand auf die völlig abwegige Idee kommen, die Log-ins dieser Funkzelle zu überprüfen, dann wär er jedenfalls fein raus.
Trotzdem hätte sich Walker am liebsten selbst geohrfeigt. Vermutlich hätte er die Vergewaltigung verhindern können, indem er einfach nur aufgetaucht wäre und gefragt hätte, was hier los sei. Vielleicht hätte er sich dadurch aber auch eine blutige Nase geholt. Oder einen gebrochenen Unterkiefer. Aber er hätte es auf jeden Fall versuchen müssen!
Jetzt musste ihm nur noch etwas einfallen, womit er sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte. Aber hatte er nicht vorhin, als es noch heller war, nur wenige Schritte entfernt einen Benzinkanister gesehen?
Langsam wie eine Schnecke kroch Walker vorwärts, bis er mit den Fingern gegen den Behälter stieß. Allerdings war der, bis auf etwas abgebröselten Rost, völlig leer. Und das hätte er sich auch denken können. Bestimmt lag er schon seit einer Ewigkeit hier herum. Aber vielleicht fand er ja irgendetwas anderes, mit dem er den Wagen abfackeln konnte. Nur war das in der Dunkelheit gar nicht so einfach. Erst recht, wenn er die Aufmerksamkeit des Schlägers nicht auf sich ziehen wollte.
Zufälligerweise besaßen die Nachbarn seiner Eltern ein Wohnmobil, mit dem sie in den Sommermonaten die Strände in Englands Süden unsicher machten. So wusste Walker, dass ein solches Gefährt in der Regel über eine Propangas-Anlage verfügte, mit der ein Boiler und sogar der Kühlschrank betrieben werden konnten. Und wenn er noch mehr Glück hatte, dann waren diese Tanks nicht vollständig leer.
Schon nach kurzer Suche fand er die Klappe mit den Stahlflaschen und öffnete sie übervorsichtig. Schließlich wollte er den Kerl nicht auf sich aufmerksam machen. Auch wenn der noch immer irgendwelchen Mist schaute, durfte er kein Risiko eingehen.
Entgegen seiner Befürchtungen konnte Walker die Verschraubung der Schläuche recht schnell lösen. Die plötzliche Kälte des entweichenden Gases signalisierte ihm, dass einem heißen Abgang des Idioten nichts mehr im Weg stand.
Bis plötzlich die Tür aufflog.
Und als der Schläger in dem hellen Rechteck auftauchte, setzte für einen Moment sein Herzschlag aus. Doch dem Schwanken nach zu urteilen, schien er nicht mehr ganz nüchtern zu sein. Und obendrein ein dringendes Bedürfnis zu haben. Sein warmer Strahl prasselte nur eine Armlänge entfernt in den Staub und Walker wich automatisch ein bisschen zurück, um nicht von den Spritzern getroffen zu werden. Dann schwankte der Kerl wieder hinein, knallte die Tür hinter sich zu und löschte das Licht.
Walker wartete, bis er hörte, dass der Kerl ins Bett plumpste, und zog sich dann langsam in das Gestrüpp am Rand des Platzes zurück. Trotzdem dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis er sich endlich traute. In der Zwischenzeit hatte er krampfhaft Berechnungen angestellt, wann genau das Gas die kritische Konzentration erreichen würde. Und ob der Funke des Lichtschalters ausreichte, es zu entzünden. Doch so richtig wusste er es nicht.
Trotzdem war es einen Versuch wert.
Selbst wenn das Ding nicht in die Luft flog, konnte er sich im Schutz der Dunkelheit ganz bequem davon machen. Denn dass der besoffene Typ ihn verfolgte, war ziemlich unwahrscheinlich. Walker beugte sich nach unten und griff nach einem großen Stein. Dann schleuderte er ihn entschlossen in Richtung des Wohnwagens.
Einen Wimpernschlag nachdem das Licht anging, brach die Hölle los. Es schien, als würde ein glühender Mund die Flammen aufsaugen und sie danach in einer gewaltigen Fontäne in den Himmel spucken. Die brennenden Trümmer flogen Walker um die Ohren wie ein außer Kontrolle geratenes Feuerwerk, während er fluchtartig den Rückzug antrat. Selbst als er auf seinem Moped zurück in Richtung Bexley raste, tauchte das Feuer die Nacht noch in ein gespenstiges Rot. Wenn die Feuerwehrleute mit ihren schweren Stiefeln auch die letzten Spuren kaputtgetrampelt hatten, würde keiner auf die Idee kommen, dass hier jemand nachgeholfen hatte.