Читать книгу Der Fotograf - Tagebuch eines Killers - J.S. Ranket - Страница 4
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ОглавлениеJacob Walker hatte es sehr eilig, an diesem eisigen Dezembertag nach Hause zu kommen. Bei einem Streifzug über den monatlichen Trödelmarkt in Bexley im Süden Londons hatte er vor knapp zwei Monaten eine Lomo erstanden und sofort das Potential der kleinen Kamera erkannt. Während seine Klassenkammeraden bereits eifrig digitale Bilder schossen, überredete er seine Eltern, ihm im Keller ihres kleinen Häuschens ein Fotolabor einzurichten. So war er nicht auf die immer kostspieligere Entwicklung angewiesen und konnte auch gleichzeitig ein bisschen herumexperimentieren. Das nötige Zeug dazu hatte er sich in einem Kurs, der an seiner Schule angeboten wurde, angeeignet und war von Anfang an von der Langsamkeit fasziniert, mit der ihm das Papier sein Geheimnis offenbarte. Mit Autofokus und automatischer Belichtung konnte schließlich jeder Idiot gute Bilder schießen.
Zumindest wenn man einen Blick für das richtige Motiv hatte.
Noch sehr genau erinnerte er sich an Erins große Augen, als er ihr einen seiner ersten Schnappschüsse präsentierte. Und an den Kuss, den sie ihm anschließend auf die Lippen hauchte. Sie hatte sich damals ein bisschen verschämt zur Seite gedreht, bevor er den Auslöser drücken konnte. Doch das Ergebnis ließ sie anschließend nur sprachlos staunen, denn aus dem Bild der stupsnasigen jungen Frau war ein künstlerisches Meisterwerk geworden. Dass die kleine Kamera bei vielen Fotoenthusiasten gerade wegen ihrer Unschärfe und der Schatten so beliebt war, verschwieg er vorsichtshalber. Schließlich wollte er noch öfter von ihr geküsst werden.
Kurz nachdem Walker in seine Straße eingebogen war, entdeckte er Zach O’Brian. Der glatzköpfige Hooligan stand vor Mrs. Bradburys Haus und schien mit seinem punkigen Outfit irgendwo in den Achtzigern steckengeblieben zu sein. In Springerstiefeln und abgewetzter Lederjacke lief heutzutage ja wirklich niemand mehr herum. Außerdem sollte er sich einmal dringend um einen Zahnarzttermin kümmern. Dass man ausgeschlagene Zähne auch ersetzen konnte, hatte ihm offensichtlich noch niemand gesagt. Aber wenn man keinem Streit aus dem Weg ging, dann gehörte so etwas wahrscheinlich zum guten Ton.
Ohne sich von O’Brians martialischem Aussehen beeindrucken zu lassen, steuerte Walker direkt auf ihn zu. Immer wieder hatte ihm sein Vater eingebläut, niemals Angst zu zeigen. Auch wenn man die Hosen voll hatte. Sonst wurde man sehr schnell zum Opfer, auf dem dann alle nur allzu gern herumhackten. Außerdem spielte O’Brian in einer ganz anderen Liga. Dass der Glatzkopf sich mit einem Oberschüler anlegte, war schon ziemlich unwahrscheinlich. Trotzdem versuchte er, ihm hin und wieder einen Arschtritt zu verpassen. Was von Walker wiederum mit einem trotzigen Stinkefinger beantwortet wurde.
Erst als er ein wenig näher kam, bemerkte er die Leine in O’Brians Händen. Offensichtlich ließ er Churchill, seinen Bullterrier, einfach in Mrs. Bradburys Vorgarten pinkeln. Schon öfter war er deswegen mit der alten Dame aneinandergeraten und betrachtete es wahrscheinlich als Sport, von dort wegzukommen, bevor sie ihn mit dem Nudelholz verfolgen konnte. Zwar war der junge Walker auch nicht unbedingt ein Waisenknabe, doch wie man einer so netten Lady das Leben so schwer machen konnte, war ihm ein Rätsel. Zumal sie die leckersten Scones im ganzen Viertel backte und ihm, als er noch jünger war, auch ab und zu ein paar zugesteckt hatte.
Aber leider war der Super-GAU bereits eingetreten. O’Brians hässlicher Köter hatte auf dem vereisten Rasen einen Haufen hinterlassen, der einem Bären alle Ehre gemacht hätte. Zu allem Überfluss flog gerade in diesem Moment die Tür auf. Mrs. Bradbury stapfte nudelholzbewaffnet auf den Unhold zu und wollte ihn schon zur Rede stellen, als der sich mit einem dämlichen Grinsen bückte. Völlig ungeniert griff O’Brian in den stinkenden Haufen und verschmierte eine Handvoll der tierischen Exkremente auf ihrer blütenweißen Schürze.
Vor Schreck ließ Mrs. Bradbury ihre provisorische Waffe fallen. Dann taumelte sie nach hinten und stolperte über ein paar vertrocknete Blumenkübel. Von einer Sekunde auf die andere wurde ihr Gesicht aschfahl und sie blickte hilfesuchend auf Walker. Dabei rasselte ihr Atem wie eine alte Dampfmaschine, während sie mit unkontrollierten Bewegungen die Hundescheiße noch weiter auf ihrer Schürze verteilte.
Leider war Walker so gelähmt, dass er nur mit offenem Mund zurückstarren konnte. Und selbst O’Brian schien das alles zu viel zu werden. Er zog seinen knurrenden Köter an der Leine von der alten Dame fort und machte sich dann einfach aus dem Staub.
Zum Glück hatte eine Nachbarin den Vorfall beobachtet. Sie stürmte wild gestikulierend über die Straße und kreischte dabei irgendetwas in ihr Handy. Die nächste Viertelstunde lief dabei für Walker ab wie ein Film, den er als unbeteiligter Zuschauer beobachtete. Heulende Sirenen kamen näher, ein Rettungswagen stoppte mit quietschenden Reifen, eine Trage klapperte und ein Gerät piepte.
Aber erst als die Sanitäter mit Mrs. Bradbury verschwunden waren, konnte sich Walker aus seiner Erstarrung lösen. Irgendjemand musste dem Arschloch endlich einmal eine Lektion erteilen.
Und er wusste auch ganz genau, wer das sein würde.