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Du hasst mich, und ich hasse dich

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Am nächsten Morgen finde ich eine kleine Notiz in meiner Tasche: „Passen Sie auf sich auf, denn wir nähern uns dem Endkampf.“ Die Tinte ist lila, die Handschrift zittrig. Während ich über den Urheber oder die Urheberin der Notiz spekuliere, wird mir klar, dass sie genauso gut von einem Anhänger der EDL wie von einem Hizbut-Tahrir-Mitglied stammen könnte. Die Rhetorik und der Modus Operandi von EDL und Hizb ut-Tahrir weisen in mancherlei Hinsicht eine verblüffende Ähnlichkeit auf. Beide stacheln zum Hass gegen den anderen auf, der angeblich die Gesellschaft als Ganzes repräsentiert. Beide Seiten fühlen sich in ihrer kollektiven Identität und Würde angegriffen. Beide werfen der jeweils anderen Seite mangelnden Respekt ihren Frauen gegenüber vor. Zugleich spielen Frauenfeindlichkeit und veraltete Geschlechtervorstellungen in der islamistischen wie der rechtsextremen Ideologie eine zentrale Rolle. Amerikanische Suprematisten greifen bis heute auf den gewaltigen Vorrat an antifeministischen Memen und sexistischen Witzen der sogenannten Mannosphäre zurück. Derweil kritisierte der IS Hillary Clinton als „Feministin“, verbunden mit dem warnenden Hinweis, der Prophet habe gesagt: „Ein Volk, das seine Führung einer Frau anvertraut, wird niemals erfolgreich sein.“7 Auch der Ruf nach Maßnahmen gegen die „faulen, korrupten oder inkompetenten Politiker“ und die „manipulierten Medien“ ist beiden gemeinsam. Sie sind zwei Seiten derselben Medaille.

Während EDL-Mitglieder gegen die „Islamisierung des Westens“ protestieren, glaubt Hizb ut-Tahrir von sich, dass die Organisation zu den Vorreitern gegen die „Verwestlichung des Islam“ gehöre. Erstere träumt von einem Großbritannien ohne Muslime, während es das Ziel der Letzteren ist, den Islam von allen westlichen Einflüssen zu reinigen und wieder ein Kalifat zu errichten. Infolge des ihnen gemeinsamen Pessimismus hinsichtlich des Status quo propagieren beide Gruppen apokalyptische Zukunftsvisionen – Visionen, die sie ermächtigen werden, die „Reset“-Taste zu drücken. Weil die Einnahme der Opferrolle und Dämonisierung der jeweils anderen Seite Hand in Hand arbeiten, stehen Extremisten in einer für beide Seiten vorteilhaften Beziehung zueinander. Um eine stimmige Geschichte erzählen zu können, braucht das Opfer einen Täter ebenso sehr, wie der Täter ein Opfer braucht. Beim Extremismus führt dies zu einem Effekt, der als wechselseitige Radikalisierung bezeichnet wird.

Die wechselseitige Radikalisierung ist ein äußerst unzureichend erforschtes Phänomen. Ein Bericht des Royal United Services Institute (RUSI) aus dem Jahr 2014 kam zu dem Ergebnis, dass weitere Forschungen notwendig seien, um zu verstehen, wie „extreme Narrative an beiden Enden des Spektrums sich gegenseitig bedingen“.8 Der britische Wissenschaftler Roger Eatwell9 führte im Jahr 2006 als Erster den Begriff „kumulativer Extremismus“ ein und definierte ihn als „die Art und Weise, in der eine Form des Extremismus von anderen Formen [des Extremismus] zehren und diese verstärken kann“.

Der Rechtsextremismus-Experte Matthew Feldman prägte, kurz nachdem im Jahr 2012 eine Dschihadisten-Gang einen Bombenanschlag auf eine EDL-Demonstration in Dewsbury ausgeheckt hatte, den Ausdruck „Wie-du-mir-so-ich-dir-Extremismus“. „Vielleicht stellt sich einfach heraus, dass Extremisten einander brauchen, um ihren eigenen Hass und ihren natürlichen Hang zur Gewalt zu befeuern“, schrieb er.10 Obwohl der Grad der Vernetzung zwischen verschiedenen Extremismen noch ein relativ junges Forschungsfeld ist, hat das Thema in den letzten Jahren verstärkt die Aufmerksamkeit von Wissenschaftlern und Politikern gefunden.11

Der Großteil der bisherigen Forschungsarbeiten12 hat Gemeinsamkeiten im Narrativ und in der Kommunikationsstrategie von Rechtsextremisten und islamistischen Extremisten aufgezeigt. Die meisten Forscher sind sich darin einig, dass rechtsextreme und islamistische Gruppen sowohl einen gemeinsamen Feind, das „Establishment“, als auch eine gemeinsame Zielgruppe, Jugendliche ohne Perspektiven, haben. Eine vom „Program on Extremism“13 der George Washington University vor Kurzem veröffentlichte Studie verglich die Art und Weise, wie weiße Nationalisten und IS-Anhänger Twitter nutzen. Sie wies nach, dass Extremisten auf beiden Seiten sich ausgefeilter Kommunikationsstrategien bedienen und auf schnelle Wachstumsraten ihrer Unterstützernetzwerke in den sozialen Medien verweisen können.

Während Parallelen zwischen der Propaganda und den Mobilisierungsstrategien von Rechtsextremisten und islamistischen Extremisten eingehend untersucht worden sind, wurde ihre Interaktion bislang kaum erforscht.14 Wissenschaftler und Expertenkommissionen15 stimmen darin überein, dass wir die wechselseitige Radikalisierung sowie ihre konkreten Erscheinungsformen und Bedingungen besser verstehen müssen, um praktische Schlussfolgerungen und politische Empfehlungen daraus ableiten zu können. Dieses Buch wird deshalb Einblicke aus erster Hand in die Interaktionen von Rechtsextremisten und islamistischen Extremisten sowohl im World Wide Web als auch außerhalb des Netzes bieten, um die beschleunigte Dynamik der wechselseitigen Radikalisierung zu veranschaulichen.

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