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Die Sache mit dem Nettsein

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Und diese Safes füllte ich leider immer wieder selbst mit meinem Nettsein. Warum hatte ich immer den Drang dazu? Nun kam mir auch da eine plausible Idee: Ich hatte doch nur selten die Erfahrung von passenden Drehbüchern gemacht! Und irgendwann verlangte es ich dann nicht mehr und merkte stattdessen, dass es hilfreich sein konnte, den anderen die Erfüllung ihrer Drehbücher erst einmal mit ganz viel wohlwollender Energie zu signalisieren. Es war eine Frage von "bekommen, was man will" und "wissen, wie man es macht". Und so lernte ich, diese Gabe zumindest unbewusst zu meinem Zwecke einzusetzen. Aber ich ging auch nie in meine Verantwortung, gut für mich selbst zu sorgen, erst auf der Insel lernte ich das ganz mühsam Schritt für Schritt, so massiv automatisch lief dieses Nettsein-Muster.

Offensichtlich hatte ich einfach schon ganz andere Drehbücher mit in dieses Leben gebracht, als ich in meinen Mitmenschen vorfand. Und so gewöhnte ich mich sehr früh und nur halbbewusst resigniert daran, dass meine Drehbücher einfach nicht übereinstimmten und genau deshalb fand ich auch keinen Partner: Ich hatte so ein duales Drehbuch der ergänzenden Hälften nicht in meinem Rucksack. Meine Drehbücher passten einfach nicht zu den Inszenierungen, welche die anderen Mitspieler in ihrem Leben vorhatten. Und um menschlich nicht zu vereinsamen, denn das war ja auch ein bedrohliche psychische Situation, war ich einfach freundlich zugewandt und verlangte für einen Kontakt diese Übereinstimmung der Drehbücher nicht, während alle anderen Menschen um mich herum natürlich auf einer guten Passung bestanden, bevor sie sich überhaupt zu Nettsein öffneten!

Ah, jetzt hatte ich es: Daher kam dann auch immer die herbe Enttäuschung der anderen, die ich immer wieder erleben musste. Ich hatte so viele Menschen enttäuscht. Klar, die waren es gewöhnt, dass ihnen nur Aufmerksamkeit (Lebensenergie) geschenkt wurde, wenn die Drehbücher passten. Und wenn sie dann merkten, dass ich mich zwar geöffnet hatte, meine Bücher aber überhaupt nicht passten, fühlten sie sich irgendwie betrogen. Ich hatte in ihnen Hoffnungen geweckt, statt durch Desinteresse klare Grenzen zu setzen.

Und wenn ich nun mit meinem Nettsein die Drehbücher eines Gemüsehändlers aktivierte, hatte ich auch noch das Gefühl, ich müsse bei ihm einkaufen, oder ich schlich heimlich ums Geschäft, so deutlich spürte ich die Bindung, die ich damit eingegangen war. Auch so eine winzige Beziehung dröhnte dann schon in meinem Kopf: "Kauf nur bei mir!" Ich sollte das Nettsein wirklich ganz lassen und lieber in mich gekehrt bei mir selbst bleiben, wortkarg und distanziert neutral. Und auch niemanden mehr anschauen, es würde sonst doch immer automatisch laufen.

Dieses Talent, nett zu sein, was ich nun "andere aufträumen" zu nennen begann, hatte ich offensichtlich auch benutzt, um mir selbst zu beweisen, wie sehr ich geliebt wurde, als Ersatz dafür, dass die Drehbücher einfach nicht passen wollten. Aber diesen Beweis gab es nicht. Die Menschen hatten mich nie gemocht, nein, nein: Ich hatte sie einfach nur mit meiner Lebenskraft angesteckt.

Und es gab auch so etwas wie geliebt nicht, stellte ich nun radikal fest: Bediente man Drehbücher, wurde man mit guter Emotion belohnt, bediente man sie nicht, bekam man andere Schwingungen ab. Und geliebt oder nicht geliebt werden ließ mich doch auch nur in dualem Bewusstsein stecken bleiben.

Ich meinte da eine andere Liebe, eine, die immer da war und sich bedingungslos verströmte, und das hatte bei mir noch lange zu dem Missverständnis geführt, dass ich weiter Menschen aufträumte, ihnen also die Erfüllung ihrer Drehbücher in Aussicht stellte, denn ich war längst Liebe, ich konnte gar nicht anders, als jeden Menschen lieben und wollte diese innere Liebe auch am liebsten maximal verströmen, doch ich musste mich nun vor allem erst einmal kolossal selbst lieben lernen.

Die Weltsicht einer ziemlich verrückten Puppenmacherin

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