Читать книгу Ein Lebenstraum - Julie Burow - Страница 13

Elftes Kapitel.

Оглавление

Leonore hatte sanft geschlafen und erwachte über einem Ruf der Verwunderung, der ganz in ihrer Nähe ausgestoßen wurde. Sie schlug die Augen auf und sah sich einer jungen Dame von so großer Schönheit gegenüber, dass sie sich wohl versucht fühlen konnte, sie für die Waldfee zu halten. –

Die blendende Erscheinung trug einen Überwurf von blassrotem, leichtem Stoffe, der hoch an den Hals hinaufgehend, um die Taille mit einer Gürtelschnur zusammengehalten war. Weite Ärmel verdeckten die Arme und ließen die Hände frei, an denen sie Halbhandschuhe von Gemsleder trug. Braune, volle Locken quollen unter einem runden Strohhut hervor, den nichts als ein grüner Schleier und eine gleichfarbige einfache Schleife verzierten. Das Kleid war aufgeschürzt und ließ Füßchen von der höchsten Eleganz sehen, die vor dem Tau und den Dornen des Weges durch feste, aber sehr feine Lederschuhe geschützt waren, und in der Hand trug sie einen Korb von litauischer Arbeit halb mit duftigen Erdbeeren gefüllt, die auf grünen Blättern lagen, und die andere Hand hielt einen Strauß von zitternden Grasblüten und wilden, eben erblühten Rosen. Beide Mädchen betrachteten einander mit gleich erstaunten, ja erschrockenen Blicken, bis endlich die Erdbeerensammlerin in sehr gutem Deutsch, aber mit etwas fremdem Akzent fragte:

»Sind Sie, liebliches junges Geschöpf, das Moosweibchen oder eine Verirrte, die unglücklicher Weise trotz der Nähe unserer Wohnung ihr Nachtlager im Walde hat nehmen müssen?«

Leonore richtete sich mutig empor, bezwang das Gefühl des Elends und der Verlassenheit, das im Augenblick, als sie erwachend völlig zur Besinnung kam, ihr Herz überkrochen und sagte:

»Wer Sie auch sein mögen, ich bin verirrt, obdachlos und verlassen, ich bin ganz, ganz allein in der Welt und bitte um Gottes willen, erbarmen Sie Sich über mich, bringen Sie mich unter Menschen, die sich meiner annehmen und ein verwaistes Mädchen vor Verzweiflung schützen.«

»Das ist sonderbar, höchst sonderbar«, meinte die junge Dame, »aber folgen Sie mir in Gottes Namen, ich werde Sie unter Menschen bringen und mögen Sie älteren und erfahreneren Personen mitteilen, auf welche Weise Sie in diese seltsame Lage geraten sind, ich kann nur Mitleid mit Ihnen haben. Ja, wären Sie auch ein böser Geist, oder ein schlechtes Weib, ich würde Ihnen dennoch Obdach geben, denn für einen so zarten Körper als der Ihrige, ist eine Nacht im Tau gewiss nicht zuträglich.«

Als Leonore sich emporrichtete, fühlte sie, dass alle ihre Glieder schmerzten und wie zerschlagen waren. Ihre Kleider lagen feucht an ihrem Körper und ihr Haar war vollständig durchnässt. Ihr einfaches Strohhütchen lag neben ihr auf dem Rasen, aber sie hatte weder Tuch noch Handschuhe und folgte der Fremden mit wankenden Füßen.

Sie waren noch nicht weit gegangen, als der Wald sich lichtete und sie eine prächtige Allee von Buchen betraten, die in gerader Richtung nach einem hübschen Landsitz führte.

»Zu wem bringen Sie mich, gnädiges Fräulein?« fragte Leonore mit zitternder Stimme, denn der Gedanke, ihre Flucht und deren Veranlassung irgendjemandem erzählen zu sollen, ließ plötzlich wieder ihr armes Herz erstarren.

»Ich führe Sie zu meiner Tante«, entgegnete die junge Dame, »in deren Hause ich selbst nur ein Gast bin.«

Sie betraten in diesem Augenblick den hübschen Hofraum, und Lorchen sah sich vor dem Portal eines palastartigen Gebäudes mit einer Auffahrt an der Fronte, die ebenfalls prächtige Buchen beschatteten.

Ein paar Pfauen, Perlhühner und anderes Geflügel hüpfte und flatterte lustig umher. Lange, stattliche Häuser mit Bogenfenstern schlossen den Hof ein, überall sah man Verzierungen von Gusseisen und Bronze. Ein Taubenhaus von zierlicher Bauart stand mitten im Hofe, und dicht vor der Auffahrt im Schatten einer mächtigen Buche sprudelte ein Springbrunnen sein kristallhelles Wasser in eine Röhre von Sandstein. Hinter den Gebäuden sah man Baumgruppen vom verschiedenartigsten Grün, die auf einen Park von großem Umfang schließen ließen, und ein paar Diener in grau und silberner Livree liefen geschäftig hin und her.

An der Haustür stand ein großer, dünner Mann in schwarzer Kleidung und von jenem eigentümlichen Aussehen, das den protestantischen Geistlichen charakterisiert. Er verbeugte sich tief vor der jungen Dame und warf einen forschenden Blick auf Lorchen, die errötend vor dem ersten Mann, der ihr seit jenem schrecklichen Moment entgegentrat, die Augen niederschlug.

»Ist meine Tante schon zu sprechen, Herr Doktor?« fragte die junge Dame, und der Angeredete, sich tief verbeugend, antwortete:

»Sie wartet mit dem Frühstück auf Sie, Fräulein Thekla.«

»Treten Sie hier ein«, sagte diese nun zu Lorchen, die Tür eines sehr eleganten Zimmers öffnend, und kaum fühlte das junge Mädchen sich allein, als sie wie gebrochen in einen Stuhl sank, ihr Gesicht mit den Händen bedeckte und weinte. Sie schluchzte so heftig und war so ganz in ihren Kummer versunken, dass sie den Eintritt einer Dame nicht eher bemerkte, als bis diese mit einer sehr wohlklingenden Stimme sagte:

»Wer sind Sie, mein Kind, und was fehlt Ihnen?«

Leonore erhob die Augen und blickte in das Gesicht einer ältlichen Frau von beinahe nonnenhaftem Aussehen. Sie trug ein ganz einfaches Häubchen von weißem Mull, das ihr fast ergrautes Haar beinahe ganz verdeckte und unter dem Kinn mit Mullstreifen zugebunden war. Ihr Kleid von grauem Seidenzeug ging hoch hinauf bis an den Hals, wo es mit einer kleinen, weißen Krause verziert war, ebensolche Kräuschen deckten auch die Hände; sonst sah man an der ganzen Gestalt keine Spur eines Schmuckes oder einer Verschönerung durch die Kleidung. Die Dame hatte in der Hand ein kleines broschürtes Buch, in das sie die Finger gelegt und Leonore las unwillkürlich auf dem Titelblatt:

»Vom Leiden des Lammes, als Trost in den Trübsalen der Welt.«

Das Gesicht der Dame war stolz und traurig, jedoch wohl geeignet, Vertrauen zu erwecken; und Leonore blickte auch vertrauensvoll in die braunen Augen der Matrone, die sich auf das Sofa gesetzt und dem jungen Mädchen einen Wink gegeben hatte, zu ihr zu kommen.

»Ich bin Leonore Arnold, die Nichte des – der Justizrätin Delbruck«, entgegnete sie mit bebender Stimme.

»Wer, wer sind Sie?« fragte die Dame mit einem so erstaunten Blick, dass er Leonore erschreckte, die leise und zitternd ihren Namen wiederholte.

»Und wie kommen Sie hierher, gerade hier her und zu Fuße, welch’ ein Verhängnis hat Sie die Nacht im Walde zubringen lassen, wie geht es zu, dass Sie gerade mein Haus, dies Haus sich zur Zufluchtsstätte erwählen?«

Diese Fragen wurden mit erbleichenden Lippen und bebender Stimme ausgesprochen und Leonore wusste nicht, was sie antworten sollte, denn ein Schamgefühl, dessen sie nicht Herr werden konnte, schloss ihr über die Vorfälle des letzten Abends den Mund.

Sie faltete die Hände und sah mit flehenden Blicken auf die Fragende, deren Gesicht sich verdüstert hatte und um deren Mund jetzt Schmerz und Angst lagerten.

»Gott hat mich hierher geführt, gnädige Frau, ein Engel in Gestalt einer schönen jungen Dame«, sagte sie von neuem in Tränen ausbrechend, »haben Sie Erbarmen mit mir; nehmen Sie Sich meiner an, ich bin allein und verlassen, so sehr, sehr verlassen.«

Sie schluchzte heftig und musste zu sprechen aufhören.

»Soviel ich weiß, lebt aber Ihr Vater noch?«

»Er lebt, ja, aber er hat sich zum zweiten Mal verheiratet und – und –«

»Und Sie können Sich nicht mit der Stiefmutter vertragen, ein sehr gewöhnlicher Fall – aber der Justizrat Delbruck ist ein wohlhabender, kinderloser Mann, die Justizrätin eine höchst achtbare Frau. Beide haben sich Ihrer mit vieler Güte angenommen; es spricht nicht für Sie, liebes Kind, dass Sie diesen wackern Menschen entlaufen sind; denn auf ein förmliches Entlaufen muss ich aus Ihrem verstörten Aussehen, aus Ihrem Aufenthalt im Walde ohne Obdach schließen. Eine Reise würden die Ihrigen Sie nicht ohne die nötigen Kleidungsstücke und Geldmittel haben antreten lassen.«

Leonore hätte tausenderlei auf das antworten können. Zuerst war die Voraussetzung, dass sie sich mit ihrer Stiefmutter nicht vertragen hätte, ganz ungegründet. Sie kannte die Gattin ihres Vaters gar nicht und hatte sich nur, den dringenden Aufforderungen ihrer Verwandten nachgebend, von dem Teuren getrennt, der freilich – das fühlte sie wohl – einen ihr unbekannten Grund gehabt hatte, in diese für beide Teile so schmerzliche Trennung zu willigen. Und was ihre Verwandten betraf – o, nur Gott und ihr selbst waren die Schrecknisse bekannt, die sie fort und in Nacht und Wildnis hinaus getrieben hatten, und konnte sie dieselben denn aussprechen? Musste sie nicht erröten vor dem Lufthauch, der den Schall ihrer Worte weitertrug, vor dem Sonnenstrahle, der ihren Augen leuchtete, wenn sie nur den Versuch machte auszusagen, wie schmachvoll ihr begegnet worden? Sie schlug die Augen nieder und sagte mit bebender tonloser Stimme:

»Ich fuhr mit meinem Onkel durch den Wald, wir wollten zur Nacht nach Wilkowischken und übermorgen, nachdem wir wieder eine Nacht bei der Frau Baronin von Kandern zugebracht, nach Kaimehlen, wo die Tante jetzt ist –«

»Nun und?« fragte die Dame als Leonore stockte und die Farbe wechselte.

»Der Onkel war böse gegen mich«, hauchte das junge Mädchen, »und ich sprang aus dem Wagen, und lief, so weit meine Füße mich trugen und –« ihre Kräfte verließen sie, sprachlos warf sie sich der Fremden zu Füßen, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und sagte:

»Erbarmen Sie Sich meiner, Sie haben vielleicht auch eine Tochter, beschützen Sie eine Waise, die keine Mutter mehr hat. –«

»Das ist seltsam – mehr als seltsam«, sagte die Matrone eher zu sich selbst, als zu dem in Tränen aufgelösten Mädchen, »indes, mein Kind, will ich Sie umso lieber als vorläufigen Gast bei mir sehen, da Sie es heute Abend doch geworden waren. Ich bin Frau von Kandern. Verschweigen kann ich es Ihnen indes nicht, dass alles, was Sie erzählen, auf Sie kein besonders gutes Licht wirft, Sie müssen hartnäckig und sehr empfindlich, dabei von einem fast unbegreiflichen Leichtsinn sein. Ich hatte übrigens schon durch meinen Sohn Sigmund von Kandern manches mir ziemlich Missfällige von Ihnen gehört.«


Ein Lebenstraum

Подняться наверх