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Sechstes Kapitel.

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Leonorens Herz schlug hoch auf vor Freude bei dem Gedanken, nicht mit dem Onkel allein sein zu dürfen. Sie besorgte eiligst Tasse und Löffelchen und schenkte dem Gaste, der sich eben niedergelassen, mit dem lieblichsten Lächeln ein.

Das Wetter hatte sich indes geändert und der Abend war mit klarem Froste eingetreten. Lorchen ging, um die Rouleaus niederzulassen und Nacht und Frost auszusperren von dem hellen und warmen Zimmer, ans Fenster. Eine tiefblaue, sternenklare Nacht blickte ihr entgegen, und dort über dem Dache des Festhauses standen die drei lieben leuchtenden Sterne von Orions Gürtel, die sie im vorigen Winter so oft betrachtet am Fenster ihres kleinen Zimmers in Grünberg, vom Arme des Vaters umschlungen. – Die Tränen traten ihr in die Augen, sie nickte den Sternen zu und es machte ihr ordentlich Schmerz, den dunkeln Vorhang zwischen diesen vertrauten Strahlen in ihren Augen niederzulassen.

Als sie wieder an den Tisch trat, lag vom Licht der Lampe überglänzt eine kleine Christbescherung auf demselben. Herr von Kandern und Onkel Delbruck hatten aufgebaut. Rosa Tarlatan zu einem Ballkleide und weißen Taffet zum Unterkleide dazu. Schuhchen von weißem Taffet und von schwarzem Moiré, verschiedenfarbige Glace-Handschuhe und einen Apfel, in dem zwei blanke Goldstücke staken. Alles hatte der Onkel bedacht und besorgt, wie war er so liebevoll gegen die Waise, die man ihm anvertraut. Leonore küsste seine Hand.

»Onkelchen«, sagte sie mit feuchten, Freude glänzenden Augen: »Meine Mutter im Himmel wird es Gott sagen, wie gut Du es mit ihrem Kinde meinst.«

Warum zuckte er nur und zog seine Hand zurück und schlug sein Auge unwillkürlich zu Boden vor dem unschuldsvollen Blick des jungen Mädchens?

Auf Kanderns Gaben hatte Lorchen noch nicht zu sehen gewagt. Ihr Herz schlug ängstlich und sie schämte sich, in seiner Gegenwart von ihrem Geburtstage gesprochen zu haben, während sie sich doch so unsäglich über die Freundlichkeit freute, mit der er gestrebt, ihr Freude zu bereiten. Endlich gestattete sie sich, ihre Augen auf die Gaben des neuen Freundes zu heften. Es waren Bücher und Blumen, schöne Blumen, die ihre reizenden Köpfchen im hellen Lampenlicht wiegten. Je mehr sie dieselben betrachtete, desto höher schlug ihr Herz in heller seliger Freude. Draußen Frost und Winter, drinnen der blühende Frühling.

Sie kannte die Prachtblumen nicht einmal, denn sie hatte noch wenig Treibhauspflanzen zu sehen Gelegenheit gehabt, aber wunderschön waren sie, stolz und prächtig wie die Rosen, aber ohne deren weiche Zartheit und süßen Duft. Die Zweig- und auch die Blumenblätter wie aus Wachs gedrückt, fest, glänzend und beinahe durchsichtig. Dann wieder andere Stöcke, wo weiße oder rote Blüten wie Schmetterlinge zwischen den schmalen Blättern saßen. Leonore konnte schon nicht anders, sie sprang auf und küsste die schönen Blumen und glänzende Tränentropfen fielen auf ihre glänzenden Blätter.

»Tränen?« sagte Kandern leise, »warum betauen Sie die armen Blumen mit so kostbaren Perlen, Fräulein Leonore?«

»Weil sie so schön sind«, sagte das junge Mädchen, »Blumen im tiefen Winter machen mir immer das Herz so weh, lachen Sie mich darum nicht aus, Onkel Delbruck, ich kann mir doch nicht helfen, eine Blume im Zimmer, wenn draußen der Winterwind heult und der Schnee an die Fenster schlägt, kömmt mir immer und immer vor, wie ein verwaistes Kind, denn Sonnenschein und Frühlingsluft sind der lieben Blumen Vater und Mutter.«

Und die Tränen des jungen Mädchens flossen rascher und heißer, sie fühlte ihr blühendes Leben ohne der Frühlingsluft des Heimatsglückes.

»Armes Kind, arme Waise!« tönte es in ihrem Herzen, während sie von den Blumen sprach, empfand sie schmerzlich ihr eigenes Weh. Der Justizrat hatte indes eines der Bücher genommen und schlug das Titelblatt auf. Es waren Brandes Briefe an eine Dame, eine astronomische Schrift von Ruf und so populär gehalten, dass sie für Frauen eine Wissenschaft zugänglich macht, die man ohne mathematische Vorkenntnisse für unerfassbar hält. Das zweite, eine hübsche Flora Norddeutschlands mit schönen Kupfern, und das dritte eine Länder- und Völkerkunde.

»Der Tausend«, sagte er mit sarkastischem Lächeln, »eine junge, eben aus dem Pensionat kommende Miss könnte von Mylord, ihrem Papa, keine reineren und kühleren, und wie ich mir zu denken erlaube, keine unnützeren Bücher erhalten, als Sie, Baron, meiner kleinen Nichte zu Füßen legen.«

»Ich gab dieselben im vorigen Jahre meiner Schwester«, sagte Kandern ruhig, »und sie meint, nie größeren und dauernderen Genuss durch andere gefunden zu haben.«

»Hm!« entgegnete der Justizrat und dann mit den stechenden Augen zwinkernd und in seiner hässlichen Weise lächelnd, setzte er hinzu, »Ihre Schwester ist wohl eine Freundin von hübschen Einbänden und besieht sich dergleichen gern?«

Kandern achtete nicht darauf, als aber Leonore nach den Büchern griff, errötete sie und ein süßes Lächeln flog über ihre lieblichen Züge. Jedes dieser Bücher war ein Erinnerungszeichen an das erste Gespräch mit dem neuen Freunde, ein Erinnerungszeichen zugleich an ihre Kindheit, – in ihres Vaters Händen hatte sie diese Bücher gesehen und bisweilen hatte er ihr Einzelnes aus denselben mitgeteilt, und das junge Mädchen besaß einen kleinen Schatz von Naturkenntnissen, zwar nur fragmentarisch gesammelt, ohne System und Zusammenhang, aber darum vielleicht gerade umso mehr ihre Teilnahme und Wissbegierde aufregend. Der Blick, den sie auf den Geber dieses seltsam scheinenden Geschenkes richtete, war ein reicher Dank für ihn, es lag darin eine tiefe Anerkennung seiner Güte und eine Bestätigung gegenseitigen Verständnisses.

»Nun, Du wirst Dich also auf Astronomie legen, Lorchen, vielleicht auch auf Geologie, wirst Botanik treiben? Der Tausend, das wird schön sein«, sagte der Justizrat spottend. »Die Tante wird sich darüber sehr freuen, sie ist eine große Freundin von Gelehrsamkeit und liebt alle Wissenschaften.«

»Meine sel’ge Mutter, ihre Schwester, liebte sie auch«, sagte Lorchen harmlos, »mein Vater hat mir oft und oft erzählt, welche schöne Stunden sie in den ersten Jahren ihrer Ehe oft abends gehabt hätten, wenn sie zusammen spazieren gegangen wären, von den Wundern des Himmels und der Pracht der Erde sprechend. Er sprach auch oft mit mir darüber und sagte am Abende meines Konfirmations-Tages: obgleich die Astronomie dem positiven Glauben die Decke über dem Haupt, und die Geologie ihm den Boden unter den Füßen weggezogen, so wären doch beide und überhaupt alle Naturwissenschaften die Wege, zum Wissen von Gott zu gelangen. Er sagte, Gott lebe für uns sichtbar in seinen Werken und führte mir den schönen Spruch des Apostels an: Denn dass man weiß, dass Gott sei, ist ihnen offenbart, denn Gott hat es ihnen offenbart, damit des Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen an seinen Werken, nämlich an der Schöpfung der Welt.«

Die kleine Hand des Mädchens lag bei diesen Worten auf den Büchern, und ihre sanften Augen hingen mit dem Ausdruck stillen Entzückens an den Blumen.

Sie sah so fromm und so mild aus, so kindlich einfach und doch so geistig erregt, ein Heiligenschein hätte zu diesem holdseligen Gesicht keinen Widerspruch gebildet, und doch war das blaue Auge nicht das der ewig Heiligen Jungfrau, es war das einer jugendlichen Magdalene, die noch schuldlos in die Welt blickt, neugierig, hoffend und fromm zugleich. Der Justizrat blickte auf sie und sein Spott schwieg, er musste seine Augen senken vor den reinen, treuherzigen des Kindes und das sinnliche Wohlgefallen, das er für das reizende unschuldige Geschöpf fühlte, verwandelte sich in ein seltsam peinigendes brennendes Gefühl, dem vielleicht ähnlich, das Mephisto beim Anblick der seligen Engelknaben ausspricht, er wandte sich von ihr und sagte flüsternd:

»Nichts Liebenswürdigeres am Weibe als die Einfalt.«

Dann aber setzte er hinzu:

»Wenn es Dir Spaß macht, Leonore, Dich mit solchen gelehrten Dingen zu beschäftigen; so rate ich Dir, lass’ es die Tante nicht merken, sie ist der Meinung, dass einem Mädchen jedes Wissen, was den Kreis des ihrigen übersteigt, sehr schädlich sei, und stimmt sehr ernsthaft in die Behauptung Deines seligen Großvaters, der die Sucht seiner ältesten Tochter Anna, sich Kenntnisse zu erwerben, für den Grund ihres späteren Unglückes hielt, und am Ende mag er nicht so Unrecht gehabt haben, der ehrliche Alte. Kenntnis und Erkenntnis mögen Euch Weibern wenig nützen, wie schon die Geschichte Evas beweist. Meine Frau ist die beste Hausfrau von der Welt, sie hält Zimmer und Kammer wie geleckt, und kocht mit Christianens Hilfe und nach meiner Anweisung sehr gut; noch gilt sie dafür im Nähen, Flicken und Plätten nicht ihres Gleichen zu haben; ich fürchte, Lorchen, Du trittst nicht in ihre Fußstapfen, wenn Du Dich auf Astronomie und Botanik einlassest.«

»Ich denke doch, Onkelchen«, entgegnete das kleine Mädchen ganz heiter. »Tante Selma ist mit mir zufrieden, und wenn Du nur wüsstest, wie viel Zeit wir übrig haben, sie und ich, Du würdest Dich gar nicht mehr wundern, dass sie so gern Patience legt und ich mich so sehr über Bücher und Blumen freue. – Ach, wenn ich nur ein Vögelchen, einen kleinen Hund halten könnte, wie wäre das so schön! Blumen, die man pflegt, sind nur halb lebendig, sie danken uns, indem es ihnen wohl ist und die blühen und schön aussehen – aber ein Hund, ein Haustier, o die können auch schmeicheln!« –


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