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Achtzehntes Kapitel.

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»Aber um alles in der Welt, bester Freund«, sagte Delbruck, als der Oberinspektor schwieg, »was kann nur den unglücklichen Mann, ich meine den Baron Florian, zum Selbstmorde und zu einem solchen Selbstmorde bewogen haben?«

Rauscher tat einen langen Zug aus seiner Pfeife, sah eine Weile vor sich nieder und zuckte die Achseln.

»Liebesgeschichten, sagte man! – Gott mag’s wissen, es schwebt darüber so ein apartes Dunkel. Sehen Sie, die Familien-Verhältnisse waren seltsam. Der alte Baron – ich meine Florians Vater – war kein reicher Mann. Er hatte das Gütchen, das ich jetzt in Pacht habe; das war sein Erbteil. Nun aber lagen hier herum ungeheure Landstrecken unbebaut, unbewohnt und auch unbewohnbar, weil aller Kultur anscheinend unfähig. – Da kam in den neunziger Jahren oder auch meinetwegen noch früher, zur Zeit der Französischen Revolution ein Mann her, der sich Arnoldi nannte. Ein Grundgelehrter muss er gewesen sein, denn sie sagten von ihm, er könne Gold machen. – Meine Mutter hat mir das erzählt, wissen Sie, die es von ihrer Schwiegermutter gehört, meiner seligen Großmutter, die dazumalen Beschließerin auf Ragunen war. Also dieser Arnold wohnte und lebte bei dem Baron, es war ein alter Mann mit weißem Haar, manche sollen ihn für ganz verrückt gehalten haben, weil er von nichts als verborgenen Kräften in der Natur und von der Elektrizität und so allerlei gesprochen. Andere meinten nun, er sei ein Hexenmeister und dergleichen. Dem widersprach er aber sehr eifrig; er hatte einen Sohn, der ward Theolog und Prediger in Schirwindt, heiratete dort und hatte zwei Kinder. Der Prediger aber war ein Kumpan wie sein Vater, und all’ sein Geld gab er aus für Bücher und Luftpumpen und Elektrisiermaschinen. Der alte Arnoldi teilte dem Baron von Kandern einige Geheimnisse mit über künstliche Düngung und wie man vermittelst gewisser Abzugsgräben, ohne große Kosten, den Palwe-Sumpf hier herum entwässern könne. Mein alter Baron war klug genug, Lehre anzunehmen, so kaufte er für ein Butterbrot den Boden hier und noch den Wald dazu, der zur Zeit auch keinen großen Wert hatte, und machte seine Experimente und erzielte einen ungeheuren Erfolg, ein wahres Heidengeld. – Wie das denn so geht. ›Gut macht Mut, und Mut macht Übermut‹ sagt das Sprichwort, der Baron fing an zu bauen, den Wald zum Park zu machen. Alles glückte ihm. Der alte Arnoldi starb und ward begraben, und nun war sein Sohn, der Prediger, das Faktotum des Gutsherrn. – Der aber hatte seine Gedanken nicht auf das, was Geld bringt. Ich hab’ ihn noch gekannt, den wunderlichen Mann. Er predigte nur von Gottes Größe in der Natur, und hatte auf der Welt keine anderen Ideen, als dass alles schön und erhaben und ganz exzellent sein sollte. Zwar Kinder hatte er, eine ältere Tochter und einen Sohn. Die Tochter war gewiss ein Engel in Menschengestalt. Der Sohn hat nicht viel getaugt – und Sie wissen ja, Justizrat, er ging unter die Komödianten und war hernach, als der Vater schon lange tot und all’ die Geschichten vorbei waren, in Tilsit, und nahm sich die Schwester Ihrer Frau, die hübsche Anna von Korff mit. Ja, apropos, wo haben Sie, Justizrat, denn das kleine Ding, Ihre Nichte, gelassen? Ist sie noch bei den Herrschaften in Ragunen? Sehen Sie, sie ähnelte merkwürdig der Tochter des Predigers Arnold, aber die war noch hübscher, eigentlich darum fiel mir auch im Winter das Gesichtchen so auf.«

»Aber Sie wollten uns, denk’ ich, den Grund von Florians Selbstmord auseinandersetzen«, unterbrach der Justizrat.

»Ja, so, ach so, na Florian hatte noch einen ältern Bruder Victor, und der Baron, der Vater, stiftete ein Majorat, und der älteste wurde zum Gutsherrn erzogen und der jüngere kam unter die Garde-Husaren. – Er war ein Bild von einem Mann, die Kanderns waren und sind alle verteufelt hübsche Leute, den Victor ausgenommen, der krank und elend, nicht so recht aufwachsen wollte. – Nun soll die hübsche Predigerstochter in Königsberg, im Hause eines Verwandten, erzogen worden sein, und dort soll sich schon eine Liebschaft zwischen ihr und dem Husaren-Offizier gemacht haben. – Der alte Baron hatte sich, was man so sagt, verbautet und fing an, Geld zu brauchen. Geld und nur Geld. – So richtet er denn sein Augenmerk auf die reichen Mädchen in der Gegend, und da kommt er auf die gute Idee, für einen Majoratsherrn um das einzige Kind der alten steinreichen Exzellenz Lollhardt zu werben. – Nun merken Sie wohl auf. Ludmilla Lollhardt, Dorothea von Kandern, und die Leonore Arnold, waren Schul- und Spielgenossinnen gewesen, und so wusste es die Dorothea, dass die reiche Erbin ihren schönen Bruder gern habe. Der Majoratsherr bekam einen Korb, Dorothea verriet aber dem Vater, dass der junge Lieutenant glücklicher sein würde. So wirbt also der Baron ohne weiters für seinen zweiten Sohn und bekommt auch von dem Mädchen ein vergnügtes: ›Ja‹ und von der alten Exzellenz Zusicherungen über große Geldsummen. – Nun geschah aber etwas Seltsames und höchst Schreckliches. Dorothea nämlich war in Schirwindt beim Prediger auf Besuch. Sie war zur Zeit ein schönes, junges Mädchen. Da erkrankte sie plötzlich. Kein Arzt durfte zu ihr, niemand durfte sie sehen, und als sie wieder zum Vorschein kam, war sie, wie man sie jetzt sieht, das Gesicht voll Narben und Beulen, der Leib verschoben und verkrümmt. – Was hat man da geredet und gemunkelt, kein Mensch aber weiß bis auf diesen Tag, wie das Unglück sie betroffen. – Florian war mit Ludmilla verheiratet, und nun kamen Dinge zum Vorschein, gar nicht schöne, kann ich Ihnen sagen. Er besuchte die Predigerstochter ganz öffentlich und vernachlässigte seine Frau. Ja, er und Dorothea, brachten die Geliebte als eine gemeinschaftliche Freundin ins Haus, wo sie ein eigen Stübchen hatte. – Plötzlich aber war sie verschwunden, kein Mensch erfuhr und ahnte, wo sie geblieben. Florian beschuldigte Frau und Vater, sie fortgeschafft zu haben, und ein fürchterliches Zerwürfnis war in der Familie. Baron Victor war indes gestorben und Florian einziger Erbe. – Der alte Baron hatte nur einen Götzen in der Welt, den Anstand, und dass niemand von ihm was Böses zu reden wüsste. Ehre und Anstand waren bei ihm das dritte Wort. Florian aber wollte leben und glücklich sein. Das mochte wohl mit der Frau, die ihm zuteil geworden, nicht so recht gehen. Er hasste den Vater, er hasste seine Frau, das war gewiss. Der Alte wollte das verlöschen und vermänteln, er war immer der Feine, der Liebenswürdige. Selbst da die Katastrophe kam, und der Sohn mit zerschossenem Kopf vor ihm am Boden lag, hat er nicht sein Kavalierwesen aus den Augen gesetzt. Gott der Gerechte! Ich sehe ihn noch, wie er die arme Frau aus dem Wagen hob und zu den Umstehenden sagte: ›mein unglücklicher Sohn hat in einem Anfall von Wahnsinn, an dem er zuweilen litt, seinem Leben‹ – weiter konnte er nicht reden, die Stimme blieb ihm im Halse stecken, aber die Tochter im Arme haltend, ging er mit aufgerichtetem Haupt in das Haus, das er gebaut, sozusagen geschaffen hatte, und der polnische Kutscher trug den kleinen Siegmund nach, und die verkrüppelte Schwester schlich hinter ihnen her, wie ein gräuliches Gespenst.«

Der Inspektor sah sich bei diesen Worten mit einem Blick um, der das unheimliche Gefühl, das ihn durchschauerte, besser als jede Rede ausdrückte.

»Nein! Und sollte ich die Schätze aller Kandern und aller Lollhardts von Ewigkeit her mein eigen nennen, ich möchte in diesem gottverfluchten Hause nicht wohnen. Sie will mir’s verpachten, die Baronin, aber der Herr bewahre mich, solche Erinnerungen machen das prächtigste Haus zu einem Kirchhof. Begreife auch nicht, wie der alte Baron es hier hat noch Jahre lang aushalten können, bis er starb.«

»Ich hab’ ihm manchmal zugesehen«, sagte ein jüngerer Bruder, »ein Junge, wie ich damals, kann unbeachtet überall hinlaufen. Die Leute, die noch den alten Arnoldi gekannt, meinten, Baron Kandern habe seine Seele dem Teufel gegeben, der die Gestalt jenes Mannes angenommen und ihm dafür diese Besitzung zu erwerben und das Schloss zu bauen gestattet habe. – Der Park, das Schloss und der kleine Siegmund, das war sein Alles. Mit dem Kinde an der Hand ging er im Park umher und zeigte ihm jeden Baum und redete ihm vor von der Schönheit des Besitztums und von der Mühe, die alles gemacht, und dass er als der Erbe es in Ehren halten und verschönern und vermehren möge. – Ich kann schwören, dass ich mehr als einmal hinter einer alten Eiche verborgen, oder da im Mooshause meine heißen Tränen geweint habe, wenn ich den alten Mann zu dem Kinde reden hörte. Und wie er dann aussah, die kerzengerade Figur und das silberne Haar und die feinen Spitzen, Manschetten und der Mund, um den es so sonderbar zuckte, wenn er das Kind: ›Mein Sohn‹ nannte.«

»Wissen Sie«, sagte Delbruck, »dass ich gestern nachts den Kutscher traf, der an jenem grässlichen zwanzigsten Juni die Familie hierher fuhr und von dem alten Baron sogleich entlassen wurde?«

»Damals war der Mensch nicht zu bändigen«, entgegnete der Oberinspektor, »er wollte durchaus die Baronin sehen und sprechen, die aus einem Krampf in den andern fiel, so eine zähe Polacken-Natur hab’ ich bald nicht gesehen – er war gar nicht abzuweisen. Er ist jetzt hier, und hielt die Pferde, als die täuschende Ähnlichkeit der Szene uns auf diese vergangenen Schaudergeschichten brachte.«

»Sonderbar«, meinte der Assessor, »ist’s doch, als wenn solche Dinge zu Zeiten mit aller Gewalt sich wieder in Erinnerung brächten, Luft und Licht, Menschen und Gegenstände, alles macht die Vergangenheit dann lebendig, und ich sage auch, solche Erinnerungen sind die eigentlichen Gespenster. Es gibt keinen ärgeren Spuk, als unsere eigenen traurigen Gedanken.« –


Ein Lebenstraum

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