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Siebzehntes Kapitel.

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Ein Wald von Eichen und Buchen trennte den Wanderer noch von dem ehemals glänzenden Sitz der Barone von Kandern. Ein Heckenzaun, der nirgends sehr sichtbar, jetzt aber an vielen Stellen verfallen war, schied Park und Wald. Delbruck sprang, um nicht erst das Pförtchen zu suchen, an einer dieser verfallenen Stellen über und ging auf das Schloss zu, das hie und da zwischen den alten Bäumen hindurchschimmerte. –

Mit wie vieler Einsicht, mit wie großem Geschmack war hier alles angelegt und geordnet. Ein Arm der Schwantowit fließt fast mitten durch den Park. Man muss bergab klettern, um zu dem Fluss hinzugelangen und sieht sich dann in einem schmalen Tale, das mit Linden in regelmäßigen Reihen bepflanzt ist. Einst hatte man alle diese Bäume kuppelförmig geschnitten und sorgsam unter der Schere gehalten, jetzt streckten sie die wuchernden, prächtig grünen Äste mit Blüten beladen in alle Himmelsgegenden und beschütteten den zwischen ihnen hineilenden Delbruck mit einem Regenschauer.

Eine Brücke von Birkenstämmen, einst auf das Zierlichste gearbeitet, führt unter diesen Linden über den Fluss, der sich fünfzig Schritte hinter demselben zu einem mächtigen See erweitert, dessen klaren Spiegel eine grüne Insel schmückt. Das Dach einer Rotunde ragt hier zwischen üppig grünen Baumzweigen hervor. Ein moosiger, gebrechlich aussehender Kahn schwankte, an einen Pfahl gebunden, in einem Dickicht von Rohr, das seine feuchten Blütenfedern im Morgenwinde wehen ließ. Einst hatten Schwäne diesen See belebt, man sah das Häuschen noch, das zu ihrem Schutze erbaut war. –

Weiter den Park durchschreitend, ging Delbruck über einen Platz, auf dem Schaukeln aller Art, Karussell und Wiegeschaukel, Kreuzschwinge und russische Schaukel einst dem Vergnügen der Besitzer gedient hatten. Jetzt sahen die Gerüste morsch und verfallen aus und es würde niemand so leicht gewagt haben, sich ihnen anzuvertrauen. Auf dem Wiesenplan, wo sie standen, wucherten Nesseln und Brombeerranken, man sah, dass lange, lange kein Fuß ihn des Vergnügens wegen beschritten hatte. –

Unter Bäumen, die ihre Äste dicht ineinander verschränkten, stand eine Mooshütte, deren Tür aus den Angeln gefallen, im Innern die rohe Statue des Perkunos, Pikullos und Potrimpos enthielt, dieses dreiköpfige Symbol der alten Letten, das wie der Brama, Wischnu und Schiven der Hindu, das Entstehen, Wachsen und Vergehen bezeichnet. Das Götzenbild war in dieser Stelle in der Erde gefunden worden und stand hier nun schon – Delbruck wusste nicht genau, wie viel Jahre, aber er wusste, dass er an diesem einsamen, dunkeln und unheimlichen Platz manches Stelldichein mit hübschen Zofen gehabt hatte, und er sah mit seinem eigentümlichen Lächeln die kleine Moosbank an, die unter einer Buche jetzt verlassen und verwittert dastand. –

Als er aus dem Dickicht hervortrat und einen Blick auf die von hier vollkommen sichtbare Fronte des Schlosses warf, fiel dieser auf die behäbige Gestalt des Oberinspektors Rauscher, der neben einem andern Herrn auf dem Rasenplatz stand und ganz gemütlich in den kühlen Morgen seine Pfeifchen dampfte. Auch der Oberinspektor wurde des übernächtigen, verregneten Gastes gewahr, der so unverhofft und auf einem ganz ungewöhnlichen Wege sich an einem Orte einfand, der sonst von Gästen nicht eben besucht wurde.

»Alle guten Geister!« sagte der Dicke, dem Justizrat entgegeneilend, »gehen Sie spuken, Delbruck? Was führt Sie denn beim Morgengrauen, wo Stadtleute noch im ersten Schlaf liegen, her in das Eulennest – Gott verzeih’ mir die Sünde!«

Delbruck erzählte die Abenteuer der Nacht, und Rauscher winkte nun seinem Gefährten.

»Komm her, immer her, Michel, der Justizrat, mein Bruder, Assessor Rauscher.«

Der jüngste Sohn, das Nesthäkchen der würdigen Beschließerin, war ein Mann von etwa zweiunddreißig Jahren, groß, schlank und von hübschem Aussehen. Er kam aus der Residenz, wo er eine kleine, sehr kleine Anstellung hatte, jedoch hoffte er bald auf eine bedeutendere in seiner Heimat. Die Herren kannten sich schon, wenigstens erinnerte sich Delbruck Rauschers, der bei seinen früheren Besuchen auf Ragunen, beim General Lollhardt als ein kleiner Junge auf dem Parkrasen gespielt hatte, und da sie beide Juristen, so wurde das Gespräch bald genug lebhaft.

Man ging in das Schloss, das mit geschlossenen Fensterladen und niedergelassenen Gardinen und im ersten Stadium des Verfalls an den blinden, bettelnden Belisar erinnerte. Guten, trefflichen Kaffee aber fand man in dem leeren Gebäude und der Kuh-Pächter von Kanderischken trug auf, was nur Küche und Keller vermochten.

Nach einer Stunde erschien dann auch der zerbrochene Wagen, die müden Pferde, Donaleitis, Kropowitzky und die sämtlichen Czinokys, und Inspektor Rauscher sorgte, dass es von allen Lebendigen des Zuges wie in der Bibel heißen konnte:

»Und sie aßen und tranken und wurden alle satt.« –

Anfangs hatte der Justizrat beabsichtigt, nach Kaimehlen aufzubrechen, sobald nur der Schaden am Wagen vom Dorfschmied notdürftig gebessert. Die Brüder Rauscher überredeten ihn indessen, bis zum folgenden Morgen, wo auch sie dorthin wollten, in Kanderischken zu bleiben; so erschien denn das verödete Schloss auf einige Stunden wieder bewohnt. Delbruck schlief in einem der hallenden Staatszimmer auf einem Sofa mit verschlissenem Atlas-Überzuge, und nachdem er so die versäumte Nachtruhe ersetzt hatte, nahm er sehr gern Platz auf dem Perron im Schatten einer mächtigen Eiche, die der vorvorige Baron von Kandern, der Erbauer des Gebäudes und Gründer des Parkes, mit Weisheit beim Bau geschont hatte und die dem Platz nun zur höchsten Zierde gereichte und ihm zugleich ein altertümliches Aussehen sicherte. Die drei Männer plauderten und lachten bei einer Flasche vortrefflichen Weines, bis der Wagen des Justizrats, diesmal mit zwei zum Gute gehörigen stattlichen Schimmeln bespannt, vom Schmied zurückkehrend, vor dem Perron hielt. Eine helle Abendsonne vergoldete den Platz vor der Tür und goss ihren Schimmer über alle Gegenstände des stattlichen Gehöftes. –

Kropowitzky stand die Pferde haltend neben dem Fahrzeug, einem hübschen, aber etwas altmodischen Verdeckwagen, die Luft war sommerstill und nach dem Gewitter der Nacht von einer köstlichen Frische. Was war es denn, das den Dreien beim Anblick des Wagens, des Kutschers und der Schimmel so plötzlich das Wort im Munde erstarren machte, das gespenstig vor aller Augen aufzutauchen schien, das dem Wein seine Blume, der heiteren Luft ihre Frische, der Gegend ihren sommerlichen Glanz verdarb?

»Großer Gott«, sagte der Oberinspektor und setzte das Glas, das er eben zum Munde führen wollte, auf den Tisch.

Der Justizrat flüsterte mit bleich werdender Lippe:

»Das ist eine seltsame Ähnlichkeit«, und der jüngste der Männer sprang von seinem Stuhle auf und schrie:

»Haben wir heute nicht den dreißigsten Juni?«

Das Wort hatte den Bann gebrochen, der sich über sie gelagert.

»Wahrhaftig!« sagte der Justizrat gefasst, »Augenblicke wie der gegenwärtige könnten einen gebildeten und aufgeklärten Menschen an Spuk und Gespenster glauben lassen.«

»Na, Justizrat, Gott straf’ mich, wenn ich nicht fest überzeugt bin, hier spukt es. Warum wird uns allen so grauslich jetzt am hellen lichten Tage, warum zittern wir Männer beim Anblick eines Wagens und zweier weißen Pferde im schönsten Sonnenschein? Ich sage Ihnen, das Gespenst Florians geht hier um, und kann denn auch seine Seele Ruhe haben nach solch’ grausamer Tat?«

»Es ist die Erinnerung, lieber Rauscher, die uns alle so elektrisiert, und wahrhaftig mein Wagen sieht genau aus wie jener, der vor – wie lange mag’s nun sein?«

»Zweiundzwanzig Jahre«, entgegnete der Ober-Inspektor. »Die kleine Emma war noch nicht geboren, sie kam erst zur Welt sieben Monate nach dem grausigen Ende ihres Vaters.«

»Aber«, sagte der Assessor, »ist es denn gar nicht möglich, dass der fürchterliche Tod Florians von Kandern von einem unglücklichen Zufall herbeigeführt wurde? Ich kam aus dem Garten gelaufen, als ich den Schuss fallen hörte und sah nur die geschehene Tat. Steht mir doch der Moment vor Augen, als wäre keine Stunde seitdem verflossen. – So, gerade so wie jetzt, stand der vorgefahrene Familien-Wagen aus Ragunen. So hielt der Kutscher die beiden prächtigen Schimmel, und so wie jetzt schien die Sonne.«

»Ja«, sagte der ältere Bruder, »es war grässlich, Du warst ein kleiner Junge und konntest all’ das Elend nicht so übersehen wie ich, der ich schon halb und halb ein Mann und durch die Mutter in manche Familienverhältnisse eingeweiht war.«

»Ich weiß von allem damit Zusammenhängenden nichts«, meinte der Justizrat; »ein Zufall hatte mir, dem ganz jungen Referendarius aus der Residenz, ein Kommissorium hier in der Gegend gegeben, und der Baron hatte mich für einige Tage zu sich gebeten. Ich stand mit der Billard-Queue in der Hand, als die Familie aus Ragunen anlangte und sah nichts, hörte nur den Knall der Pistole und den grellen Aufschrei einer Frauenstimme. Da lief ich eiligst hinaus! Den Anblick aber vergess’ ich, weiß Gott, nie und würd’ ich hundert Jahre alt. Da, dicht vor dem Wagenschlag stand der alte Baron, eine stattliche Kavaliers-Figur im Frack mit seidenen Strümpfen, Schnallenschuhen und Kniehosen, den Hut unterm Arm; er hatte seiner Schwiegertochter aus dem Wagen helfen wollen. Vor ihm auf dem Rasen lag zusammengebrochen die Leiche seines Sohnes. Das Gesicht war grässlich zerstört und der Kopf sozusagen auseinandergesprungen, Blut und Hirn hatten die Kleider des Vaters und des Kutschers befleckt und lagen auf dem Wagentritt, und auf dem Knie Siegmunds, der, damals vielleicht ein fünfjähriger Knabe, totenbleich auf dem Rücksitze des Wagens kauerte. Die Baronin lag mit gefaltenen Händen im Wagen auf den Knien; sie war starr und wie tot, und Dorothea hielt sie mit ihren Armen umschlungen.«

»Weiß Gott, die hat was erfahren, die Arme«, sagte der Ober-Inspektor tief aufatmend. »Tante Dorchen ist eine goldene Seele und ihres Gleichen gibt’s so bald nicht, aber hören Sie, vom Schicksal zurecht geschlagen und gehämmert, ist sie auch wahrhaftig.«

Delbruck zuckte zusammen.

»Schwerer geprüft scheint mir in diesem Fall doch die Gattin als die Schwester.«

»Eine wie die andere. Bei der Frau kann man sagen, dass Reichtum, Schönheit, vornehmer Stand, Klugheit und alles miteinander nicht so ein bisschen Glück geben, nicht so viel wie ein ordentlicher Bettler oder Leibeigener an einem Abend hat, wenn er nach der Fidel auf dem Rasen tanzt. Die Frau, die reichste Erbin in Ost- und Westpreußen und eine Schönheit, so eine Schönheit zu ihrer Zeit, und was hat sie vom Leben gehabt? Die Tochter ist ewig krank und elend, der Mann hat sich erschossen, der Sohn hält sich bloß so ehrenhalber zu ihr, denn er macht sich nichts aus der Mutter. Du großer Gott, was hilft ihr all’ ihr Gut und Geld, ihre Schlösser und Parks und Wälder und Wiesen. Sie ist auch fromm geworden, der Prediger aus Königsberg, der von nichts als der ewigen Vergeltung spricht und vom Gotteslamm, das ist ihr Faktotum, na wenn sie nur ihren gehörigen Verstand behält, eine dumme Frau ist sie ganz und gar nicht.«


Ein Lebenstraum

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