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Dreizehntes Kapitel.

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Der Justizrat stand dort bereits, den Hut in der Hand, ein gewöhnliches Lächeln auf den Lippen, die allerdings um einen Ton bleicher als sonst sein mochten.

»Sie haben befohlen, mein Fräulein!«

Tante Dorchen hatte trotz ihres verkrüppelten Äußeren, wenn sie es für notwendig hielt, ganz das Wesen einer vornehmen Dame und sie deutete auf einen Stuhl, indem sie selbst auf dem Sofa Platz nahm.

»Ich höre, dass meine kleine leichtfüßige Nichte sich hier unter Ihrem gütigen Schutz befindet.«

»Wollen Sie die Gewogenheit haben, Herr Justizrat, mir mitzuteilen, durch welch’ einen seltsamen Zufall das junge Mädchen in die eigentümlich bedrängte Lage gekommen ist, in der meine Nichte Thekla sie heute früh fand?«

Die nachtschwarzen Augen des schrecklich hässlichen Gesichtes ruhten bei dieser Frage mit einem Ausdruck auf Delbruck, vor dem er die eigenen niederschlagen musste.

»Ich war eingeschlafen, gnädiges Fräulein, es war drückend schwül, der Wagen fuhr langsam und der junge Kobold, der keine Ruhe an einem Orte hat, sprang hinaus, um Erdbeeren zu sammeln. Mein Litauer merkte nichts und fuhr bis zur Scheschuppe, wo ich im Abendgrauen erwachte und erschreckt, ja entsetzt Nachsuchungen anstellte, die aber erfolglos blieben, weil sich das all’ zu rasche Ding fast zwei Meilen weit von der Straße verlaufen hatte. Nun, ich danke nach dieser angstvollen Nacht dem Himmel, dass sie in Sicherheit ist, und freue mich, sie in so trefflichen Händen zu sehen; die Nacht unter freiem Himmel und ein wenig Erkältung und Angst werden sie vorsichtiger machen.«

»Gut, Herr Justizrat, ich glaube, Ihre Nichte wird nicht anstehen, diese Geschichte zu bekräftigen, sie ist jedoch jetzt gänzlich außerstande, Sie zu begleiten und wird auf unbestimmte Zeit bei mir bleiben. Sie kennen mich und können mir das junge Mädchen anvertrauen. Sollte sie so sehr zu mir passen und sich bei mir gefallen, dass wir für immer oder wenigstens für längere Zeit zusammenbleiben wollten, so werde ich mich in Korrespondenz mit Leonorens Vater setzen, den ich, wie Sie vielleicht wissen, noch aus meiner Jugend her kenne; übrigens wünscht mein Schützling vor der Hand keine Zusammenkunft mit Ihnen.«

»Mein Fräulein –«

»Herr Justizrat –«

»Sie setzen mich in Erstaunen –«

»Ich dächte nicht, mein Herr, es ist nichts Erstaunliches, einen Menschen zu finden, der ein von Hunden gehetztes Reh, ein vom Wolf verfolgtes Lamm bei sich aufnimmt, warum sollte ich weniger freundlich gegen ein schuldloses Mädchen sein?«

»Aber meine Frau –«

»Werde ich beruhigen, Herr Justizrat, ich werde sie mit Ihrer Nichte in Kaimehlen besuchen, sobald Sie von dort entfernt sind, und ich schwöre Ihnen, dass Lorchens Erdbeer-Abenteuer für sie nichts Unglaubliches haben soll; auch ist es natürlich genug und ich habe mehr und mehr Achtung vor Ihrer juridischen Gewandtheit.«

»Und Frau von Kandern –«

»Überlassen Sie das alles mir, mein Herr, ich bin im Kreise der Meinen sehr wohl bekannt und weiß, wie weit ich gehen kann. Leonore hat meiner Schwägerin die Geschichte ihrer Flucht, aber etwas anders als Sie, erzählt; sie sagte, es habe ein kleines Renkontre zwischen ihr und dem Oheim stattgefunden, Sie wären – böse, glaube ich, war der Ausdruck, dessen das junge Mädchen sich bediente,– gegen sie gewesen, das ist ja doch wohl keine Lüge, dächte ich –«

»In der Tat ja – ich schalt, sie hatte etwas vergessen, ich mag ein wenig gereizt – –«

»Bitte, Herr Justizrat, lassen wir alle unangenehmen Einzelnheiten, genug, wenn mein hübscher Schützling die Wahrheit gesagt und Sie mir die Freude machen, in das Hierbleiben des jungen Mädchens zu willigen. Ich habe die Ehre–«

Sie stand auf, Delbruck biss sich auf die Lippen, verbeugte sich und ging die Treppe hinab, wütend wie eine Hyäne, die man an der Kette von einem Raub gezerrt. –

Dorothea von Kandern aber trat lächelnd an Lorchens Bett, setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand.

»Sie bleiben bei mir, liebes Kind, Herr Delbruck hat eingewilligt, ich muss Ihnen aber jetzt gleich noch manches sagen, das Sie erst ins Klare setzt über die Stellung, die Sie hier im Hause einnehmen werden. Ich darf Sie nicht darauf aufmerksam machen, dass auch gute und achtbare Menschen ihre Schwächen haben. Meine Schwägerin, die Baronin von Kandern, ist eine sehr gute und achtbare Frau, ihre Schwäche aber ist ein ungeheurer Adelsstolz, der mit jedem Jahre ihres Lebens eher zu- als abzunehmen scheint. Sie hat ein trauriges Lebenslos gehabt; denn ihr Gatte, den sie leidenschaftlich liebte, erschoss sich in ihrer Gegenwart wegen eines bürgerlichen Mädchens, das er von seiner Jugend an geliebt. Friede mit dem Armen, es war mein einziger Bruder. – Sie erzog ihre beiden Kinder selbst, stolz und streng, und lehrte sie sich für Wesen anderer und besserer Art halten, als alle, welche den Vorzug einer hohen Geburt nicht besitzen. Ihre Tochter Emma, die ganz unter ihren Händen blieb, hat sich auch ihre Ansichten und Grundsätze angeeignet, während Siegmund, ihr einziger Sohn, den Ahnenstolz seiner Mutter als eine ihrer Schwächen erkennt und respektiert, aber durchaus nicht teilt. Er kam als fünfzehnjähriger Knabe zur Vollendung einer Studien aus dem Hause und hat, unter anderen Menschen lebend, ganz andere Ansichten angenommen, doch ehrt und achtet er seine Mutter viel zu sehr, um nicht in allen bedeutenden Fällen nach ihren Wünschen zu handeln. – Einer ihrer Hauptwünsche ist nun seine Verheiratung mit Thekla von Dobezutka, und Sie müssen daher meinen Neffen gewissermaßen als den Verlobten dieser Dame betrachten. – Sie selbst, meine Liebe, sollen in meiner Gesellschaft und um meine Person sein und bleiben, bis sich Ihre Verhältnisse ändern lassen; die Familie meiner Schwägerin aber können Sie nur als Ihnen ganz fremd und fern stehende Menschen betrachten, denn ich kann Sie nur hier behalten, indem ich Ihnen ein dienendes Verhältnis neben mir einräume. Ich kann mir ein Kammermädchen halten, in diesem Hause einen Gast einladen kann ich nicht, denn ich selbst bin hier nur Gast, da diese Besitzungen meiner Schwägerin und deren Kindern, nicht aber mir gehören. Wenn Sie nun lieber Jungfer bei dem alten Fräulein von Kandern sein, als mit Ihrem Onkel nach Tilsit zurückkehren wollen, so werden Sie an mir eine treue Beschützerin, eine mütterliche Freundin finden, etwas anderes kann ich Ihnen vor der Hand nicht bieten.«

Durch Leonorens Seele waren während dieser Worte die seltsamsten Gefühle gezogen. Die Tochter des Künstlers hatte von der Verschiedenheit der Stände, von dem, was man in der kleinen Menschenwelt Verhältnisse nennt, keine Ahnung gehabt. Sie hatte sich allen älteren und verständigeren Personen untergeordnet, das schien ihr natürlich. Neben Kandern aber hatte sie nie daran gedacht, dass er ein vornehmer junger Mann, sie ein armes Mädchen niedrigeren Standes sei. Wie die weiße, am Bachesrand blühende Winde nicht darnach fragt, ob der Baum, um den sie leise über Nacht ihre weichen Ranken schlingt, ein wackrer Waldbaum der Heimat, oder ein exotisches, durch tausendfache Pflege in die Höhe gebrachtes Geschöpf sei, so auch Leonore, und zweimal hatten seit wenigen Stunden raue Hände es versucht, das seidene Gespinst ihres jungen Herzens, das sich instinktmäßig um den kräftigen Stamm jenes Männerherzens gelegt, loszureißen. Sie fühlte das und zuckte zusammen. Schmerz rann durch ihre ganze Seele, und während der natürliche jungfräuliche Stolz sich gegen die bloße Vermutung einer zu innigen Zuneigung an den fremden Mann empörte, fühlte sie doch ihr Blut gerinnen und ihr Herz weinen, weil diese Hinneigung ihr nicht gestattet wurde. – Es war ihr zu Mute, als ob das letzte Band, das sie an Glück und Hoffnung knüpfte, fühlbar in ihrer Seele zerrisse. Und doch musste sie sich sagen, dass Dorothea von Kandern ihr eine große Wohltat erwies, indem sie sie bei sich behielt. Sie konnte neben Delbruck nicht mehr leben! Ihn täglich, stündlich sehen, oft sogar mit ihm allein sein und ihm die dem nahen Verwandten, dem Familienhaupt gebührende Achtung beweisen, lag außer dem Kreise der Möglichkeit für das arme Kind. Die Gesellschaft eines Krokodils wäre für Leonore nicht grässlicher gewesen als die ihres Onkels. So küsste sie resigniert die Hand des Fräuleins und sagte mit leise bebender Stimme:

»Ich danke Ihnen und werde mich in alle Ihre Anordnungen zu fügen suchen.«

Dorothea streichelte mit sanfter Hand den seidigen Scheitel des Mädchens.

»Lesen oder schlafen Sie jetzt ein Stündchen, mein Kind!« meinte sie freundlich, »ich gehe zu meiner Familie und werde dort meinen Entschluss mitteilen, Sie hier zu behalten.«

Lorchen öffnete das Buch, als das Fräulein hinweggegangen, aber sie las nicht, tausend Gedanken zogen durch ihre Seele, schmerzlich und demütigend, aber mitten im Strom derselben – o Glück der Jugend und Unschuld – überschlich sie der Schlummer und sie schlief fest und träumte süß, als ein altes Mütterchen mit silberweißen Haare ins Zimmer trat, geräuschlos ein Tischchen deckte und ein schmackhaftes Abendbrot darauf servierte.


Ein Lebenstraum

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