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Der September hatte der großen Hitze keinen Einhalt geboten. Der Regen, der zwar schon zweimal gefallen war, hatte die Luft mit einem erdigen Geruch geschwängert, aber wenig Abkühlung gebracht.

Im Dharamsala war es eng geworden. Immer wieder kamen Flüchtlinge an. Mehrere Familien teilten sich nun ein Zimmer. Die Nächte wurden schon etwas kühler, als die Krankheit über die Stadt Jalandhar hereinbrach.

Flüchtlinge, denen eine gastfreundliche Familie Unterkunft geboten hatte, schleppten Typhus ein. Ein Flüchtling starb kurz vor Sonnenaufgang, seine Begleiter flohen und ließen den Leichnam zurück. Er wurde morgens von seinen Gastgebern gefunden. Gegen Abend hatten drei Familienmitglieder Krankheitssymptome. Der Typhus wütete so entsetzlich unter ihnen, dass keiner die Nacht überlebte. Er stahl sich durch alle Spalten in den Türen, suhlte sich in den Wasserlöchern, verbarg sich im Essen und im Wasser und streckte alle ohne Ausnahme nieder. Besonders die Schwachen und Unterernährten waren die schnellen Opfer.

Im Dharamsala brach Panik aus; in den Zimmern stöhnten die Kranken. Viele Flüchtlinge packten ihre Sachen und verschwanden.

Gulshan Puris Familie kümmerte sich voller Sorge um den kleinen Ram Chand, der sich in Fieberträumen wand. Die anderen waren noch verschont geblieben. Aber wie lange? Savitri probierte alle Hausmittel aus, von denen sie annahm, sie könnten die Krankheit besiegen. Sie kochte Ingwer-Tee mit Zimt und Kardamomsamen. Bereitete Khichri zu, ein ungewürztes und salzarmes Gericht aus Reis und leicht verdaulichen roten Linsen. Doch Ram Chand konnte kaum etwas bei sich behalten. Im Laufe einer Woche waren im Haus fünf Tote zu beklagen. Im Hof brachen die Totengesänge der Frauen nicht ab. Savitri und Gulshan Puri saßen neben dem Kleinen, streichelten ihm die hohlen Wangen und forschten in dem eingefallenen Gesichtchen nach Besserung. Deepak und den anderen Kindern hatten sie befohlen, sich von Ram Chand fern zu halten. Bei Namita hofften sie, dass ihr die Muttermilch genug Abwehrkräfte geben würde, der Krankheit zu trotzen.

Immer wieder mussten die vom Schweiß durchtränkten und mit Kot verschmutzten Laken gewechselt werden, bis sich Ram Chand eines Morgens besser fühlte und mit dünnem Stimmchen sagte: „Ich möchte in den Hof, in die Sonne gebracht werden.“

Mit einem Hochgefühl setzte Savitri Puri sich neben ihren Sohn, der in Laken gehüllt auf einer Pritsche lag. Unter den Tüchern war sein kleiner ausgemergelter Leib kaum zu erkennen. Er schaute in den wolkenlosen Himmel hinauf und hob sein mageres Ärmchen, um Savitri auf eine Dohle aufmerksam zu machen, die sich auf dem Banyan-Baum niedergelassen hatte. Die Morgensonne schien auf seine bleichen Wangen und Savitri war glücklich, dass endlich wieder Leben in den kleinen Körper zurückgekehrt war, so wie auch das Leben im Dharamsala allmählich zu seinem gewohnten Verlauf zurückfand.

Gulshan Puri und Amar Singh freuten sich nun wieder auf ihre gemeinsamen Spaziergänge am Spätnachmittag, wenn sie mit knurrenden Mägen versuchten, Lebensmittel oder andere brauchbare Dinge aufzutreiben. Diese gemeinsamen Spaziergänge waren zu einem Ritual geworden.

Heute waren sie wieder am Stadtrand unterwegs. Plötzlich blieb Amar Singh stehen: „Schau, Gulshan, sehe ich richtig? Oder spielt mir mein leerer Magen einen Streich? Gaukeln mir die Schatten dort“, er zeigte zum Tempel auf der kleinen Anhöhe vor ihnen, „eine weidende Ziegenherde vor?“ Tief saugte er Luft in seine Nase. „Oh, ich kann den Duft eines gebratenen Zickleins förmlich riechen, meine Zunge schmeckt das köstliche Fleisch, beim heiligen Guru Nanak-ji, sag mir, dass ich keine Fata Morgana sehe!“, rief er, die Handflächen aneinandergelegt und gen Himmel erhoben. Gulshan lachte und legte seinem Freund die Hand auf die Schulter.

„Han-ji, mein lieber Amar, du siehst richtig. Aber der Schäfer wird uns mit seinem Knüppel den Buckel bearbeiten, wenn wir nicht bald von hier verschwinden und seine Ziegen noch länger anstarren.“

Amar Singh zog verächtlich die Mundwinkel herab: „Pessimist! Und was ist mit dem verirrten Zicklein, das abseits der Herde an dem Tulsi-Busch herumknabbert? Schau, wie es sich bereitwillig für uns unter den dichten Zweigen vor dem Hirten verbirgt. Wenn das kein Festbraten für unsere Familien ist!“

Gulshan grinste und schaute sich um. Niemand auf der lehmigen Straße, niemand in der Nähe... Rasch kauerten sich beide in das kniehohe Pampasgras. Der Westhimmel war ein leuchtender Schleier aus Gelb, Pink und Blau.

„Lass uns noch warten. Im Dunkeln ist es einfacher, die Ziege einzufangen.“

Die Dämmerung ging sehr schnell in Dunkelheit über. Sie mussten nicht lange warten. Inzwischen war der Schäfer mit der Herde weiter gezogen. Fast war er außer Sichtweite.

Amar Sing und Gulshan wechselten einen Blick und schlichen sich geduckt an den Tulsi-Busch heran. Das junge Zicklein war immer noch mit den saftigen Blättchen beschäftigt. Es bemerkte die beiden Männer nicht. Plötzlich schnellte Amar Singh vor, warf sich mit einem Hechtsprung auf das Zicklein, drückte es zu Boden und versuchte den jämmerlichen Schrei des Tieres durch seinen Körper zu ersticken. Als es sich etwas beruhigt hatte, band Gulshan der Ziege mit ein paar Pampasgrashalmen das kleine Maul zu, und Amar Singh legte es sich über die Schulter. Im Schutze der Dunkelheit trugen es die Freunde scherzend und vor sich hin summend nach Hause. Die Flüchtlinge umringten sie. Begeisterte „Ah’s“ und „Oh’s“ erfüllten den Hof.

Amar Singh ging mit sicheren Schritten auf den Hauklotz zu, der ihnen zum Holzhacken diente, nun aber zum Schafott für die junge Ziege werden sollte. Er legte den Kopf der Ziege darauf und wies Gulshan an, das Tier an den kleinen Hörnerstummeln festzuhalten.

„Deepak“, rief er, „du hältst die Hinterbeine der Ziege fest.“

Der Junge stand wie angewurzelt.

„Nun mach schon“, drängte Amar Singh.

„Ich..., ich will nicht mithelfen, das Zicklein zu töten“, stotterte Deepak. „So etwas habe ich noch nie getan!“

Sein Vater fuhr ihn ungeduldig an: „Aber essen willst du das Fleisch, was? Willst du die Ziege retten oder eine gute Mahlzeit bekommen? Also los!“

Und Amar Singh setzte gutmütig hinzu: „Fleisch füllt nicht nur den Magen, es wärmt auch die Seele, Deepak!“

Zögernd griff Deepak nach den zitternden Hinterbeinen der Ziege, drehte den Kopf weg, kniff die Augen zu und schrie: „Schlag zu, schlag zu!“

Amar Singh zog sein Kirpan und schlug dem Zicklein mit einem einzigen kräftigen Hieb den Kopf ab. Die Frauen eilten mit bereitgehaltenen Schüsseln herbei, um das herausschießende kostbare Blut aufzufangen. Dann häutete Amar Singh die Ziege und zerlegte sie in kleine Teile, während die Frauen den gesammelten Kuhdung aufschichteten und das Dungfeuer entfachten. In einem großen Wok wurden Zwiebeln und Gewürze in heißem Fett angebraten. Als sie das Fleisch des Zickleins hinzufügten, zog ein köstlicher Duft durch den Hof, in alle Räume des Hauses. Nun umringten die Bewohner erwartungsvoll das Feuer. Nur der Junge Prem Singh mit den beiden Kleinen stand noch abseits. Seit dem Tag ihrer Ankunft hatten sie kein Wort gesprochen – nur beobachtet und dankbar angenommen, was die Frauen ihnen zu essen gaben.

Gulshan Puri lächelte, als Amar Singh mit gezücktem Schwert um das Feuer tanzte und aus vollem Halse das Siegeslied der Sikh-Soldaten sang. Den ganzen Rückweg mit dem Zicklein auf den Schultern hatte er sich zur Ruhe gezwungen. Nun ließ er seiner Freude freien Lauf.

Es war ein großer Topf voll Fleisch geworden. Man aß, lachte und erzählte. Sogar Prem Singh und die kleinen Jungen waren näher gerückt. So ausgelassen und fröhlich hatte man noch nie beieinander gesessen. Und das Karma mit seinen Erinnerungen? Für den Moment war es weggesperrt. Doch schlich es sich immer wieder zwischen die Flüchtlinge, stieg zwischen ihnen empor, wie ein Ballon, den man vergeblich versucht, unter Wasser zu halten.

Jaswant Singh, ein Sikh mittleren Alters, konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er zwirbelte – zufrieden und satt von dem guten Essen – seinen beachtlichen Schnurrbart und bemerkte mit blitzenden Augen:

„Es muss raus, ich muss euch jetzt erzählen, was ich auf der Flucht erlebt habe. Seid ihr einverstanden?“

Die Bäuche der Flüchtlinge waren voll, man fühlte sich stark, man konnte es aushalten, konnte verkraften, was da erzählt wurde. Und man liebte Geschichten und war in Hochstimmung, sollte kommen, was wolle.

Jaswant Singh grinste, schlug sich mit der Faust mehrere Male an die Brust, dass die spitzen Enden seines prächtigen Schnurrbartes tanzten.

„Ich will euch ja nicht beleidigen“, begann er und schaute entschuldigend, aber mit herausfordernden Augen in die Runde.

„Ich komme aus Pind Dadan Khan, der Orchidee des Punjab. Eine kleine Stadt zwar, aber sie liegt in einer märchenhaften Gegend.“ Mit den Armen machte er eine ausholende Bewegung und nickte dazu mit dem Kopf. „Eine hohe Stadtmauer, eine Festung mit drei Eingängen, einem Haupttor und zwei etwas kleineren Toren. Abends wurden sie immer geschlossen. Das Land drumherum fruchtbar. Es ernährte alle reichlich. Die sanften grünen Hügel vor der Stadt und die dichten Wälder - wie das Paradies.“ Er grunzte zufrieden und sein gelber Turban wackelte vor Stolz. „Wir Sikhs wohnten neben Hindus und Muslimen, aber uns Sikhs gehörten die meisten Ländereien in der Umgebung. Das könnt ihr mir glauben. Ja, ja. Und bis August fühlten wir uns alle wie Brüder, natürlich mit den üblichen kleinen Zänkereien, wie in anderen Städten auch. Jeder aber respektierte den anderen und ging seiner Arbeit nach. Als kleiner Junge war ich verliebt in das Land“, schwärmte Jaswant Singh und schaute versonnen in die Ferne, als sähe er sie wieder vor sich, die blühenden Gärten und die fruchtbaren Felder. „Ach, ich bin es noch heute, gerade jetzt!“ Bekräftigend wackelte er mit dem Kopf.

„Wir trafen uns damals zum Spielen vor der Stadt an den kleinen Bächen oder streiften durch die nahe gelegenen Wälder“, erzählte er weiter, strich über seinen Bart, umfasste den Schaft seines Kirpan und lächelte in Erinnerung.

„Am 15. August war die Teilung Indiens offiziell bestätigt worden. Doch niemand wusste, wo die Grenze verlief. Wir jedenfalls hatten zu diesem Zeitpunkt keine Angst. Die Idee eines unabhängigen Pakistans war ja nicht neu. Was würde das für einen Unterschied für uns machen, dachten wir. Statt dieser englischen Verwaltungshengste würden sich dann eben indische Muslime an englischen Schreibtischen ihre Ärsche platt sitzen. Bei uns sind Regierungen schon immer gekommen und gegangen. Nie hatte das einen Einfluss auf den armen Mann in unserer Stadt. Bilkul thiek! Genauso war es!“ Er schaute in die Runde und wackelte wieder mit dem Kopf.

„Wir kümmerten uns also um nichts. Am 20. August starb ein Mitglied des Ältestenrates unserer Stadt. Wir saßen zusammen im Haus eines Stadtältesten und trauerten. Die Frauen saßen auf Teppichen in einer Ecke des großen Hofes. Wir Männer hatten uns in der anderen Ecke versammelt. Nun ja, ihr wisst ja, wie das ist. Die Frauen lamentierten, weinten und schlugen sich an die Brust. Sie schrien all ihren Schmerz über diese elende Welt und über ihre durch Wiedergeburt vergangenen, noch elenderen, Leben heraus. Wir Männer saßen stumm beisammen, ließen die Frauen klagen.

Plötzlich stand ein Fremder im Hof, den wir noch nie in unserer Stadt gesehen hatten. Es war ein Staatsbeamter der neuen pakistanischen Regierung, der mit uns kurzen Prozess machte. Ohne mit der Wimper zu zucken befahl er barsch: ‚Hört mit dem Gegreine auf! Den dort’, er zeigte auf die in Leinentücher eingewickelte Leiche, ‚den macht ihr mit dem Geschrei nicht wieder lebendig. Wenn ihr nicht wollt, dass ihr auch so endet, dann macht euch schnellstens mit euren paar Habseligkeiten auf nach Indien. Alle Hindus und Sikhs haben die Stadt innerhalb von 24 Stunden zu verlassen.’

War das zu glauben? Als wir dann aber begriffen, waren wir schockiert. Wir verloren im wahrsten Sinne den Boden unter den Füßen. Aber was hätten wir tun können? Hatten wir eine Alternative? Es war hoffnungslos!“

Seine Bartspitzen hüpften vor Empörung. Trotzig wölbte er seine Brust. „Viele Familien begannen sofort, ihr Hab und Gut in Ochsenkarren zu verstauen. Die Alten litten. Hatten sie doch ihr ganzes Leben in unserer Stadt verbracht. Wir, die Jüngeren, waren neugierig und zuversichtlich genug, dass wir uns trauten, die Zukunft irgendwo in Indien anzupacken. Viele junge Leute verstanden deshalb die Hilflosigkeit und Trauer unserer Großväter nicht. Sie nahmen sie nicht ernst. Sie sahen die Ereignisse als Chance, aus der Enge der kleinen Stadt herauszukommen. Voller Abenteuerlust wollten sie in ein neues Leben, in eine neue Welt aufbrechen. Einige der muslimischen Nachbarn waren empört über die neue Regierung und rieten uns, trotzdem zu bleiben. Hier seien wir doch geboren, das sei unsere Heimat. Anderen aber schaute die Habgier aus den Augen. Sie konnten es kaum erwarten, die fremden Besitztümer, die zurückgelassen werden mussten, an sich zu reißen.“ Jaswant Singh wackelte bedeutungsvoll mit dem Kopf. „Bilkul thiek, genauso war es!“, bekräftigte er.

„Es war noch dunkel, als der Treck am nächsten Morgen abfahrbereit war. Plötzlich trug der Wind Lärm und Geschrei in unsere Stadt. Einige von uns kletterten schnell auf den Wall unserer Stadtmauer. In der grauen Morgendämmerung konnte man schemenhaft erkennen, dass von allen Seiten Männer mit gezogenen Schwertern und Gewehren grölend auf die drei Stadttore zustürmten. Unsere Leute fuchtelten wild mit den Armen und schrien, wir sollten die Tore schließen. Wir wollten es nicht glauben. Ein Mob aufgewiegelter Muslime lief auf unsere Stadt zu. Sie versuchten mit Keulen und Brecheisen, die hastig geschlossenen Tore aufzubrechen. Sie schrien und schimpften, waren wie berauscht. Unter ihnen waren sogar einige bekannte Gesichter, Muslime aus unserer Umgebung.“

Jaswant Singh wischte sich über die Augen. Nach langem Schweigen presste er verlegen heraus: „Ihr wisst ja alle, wie das ist. Es überkommt einen immer wieder.“

Seine Fröhlichkeit war dahin. Er räusperte sich.

„Ihr müsst wissen, viele Männer waren wir nicht in unserem Städtchen. Frauen und Kinder gab es mehr. Wir Sikhs besaßen außer unserem Kirpan keine Waffen, und in nur wenigen Hindu-Familien gab es ein Schwert. Wir hätten uns nicht verteidigen können. Na ja, und da dachten wir, unser letztes Stündchen habe geschlagen…“

Wieder macht er eine Pause und schüttelte den Kopf. Die anderen starrten stumm ins Feuer, ihnen war die eigene Flucht wieder gegenwärtig.

„Einige von uns waren in das Haus unseres alten Chaudri, des Weisen des Dorfes, geflohen. Der hatte schon den Ältestenrat um sich versammelt, der aus Vertretern aller Religionsgruppen bestand. Man suchte nach Auswegen aus der Ausweglosigkeit. Alle hatten große Angst und schrien vor Aufregung wild durcheinander. Es konnte kein klares Wort gesprochen werden. Erst als der bekannteste Mahut der Stadt auf den Tisch sprang und sich wie der Leibhaftige gebärdete, wurde es ruhig. Mit erhobener Faust sprach der zu den Versammelten. Er sagte, dass wir zwar keine Gewehre, aber doch unsere Arbeitselefanten hätten. Sie seien unsere einzige Chance. Die Elefanten sollten unseren Moslemfreunden einen netten Empfang bereiten!’

Wir dachten, der Elefantenführer sei verrückt geworden. Einige schüttelten missbilligend ihre Köpfe. Manche waren so aufgebracht, dass sie laut schimpften und aufgeregt an ihren Bärten zerrten. Sie schrien, der Mahut sei wahnsinnig geworden! Er spiele mit dem Feuer! Die Tore seien stabil genug, sie würden den Angreifern standhalten. Wenn wir sie öffneten, würden sich die Muslime mit ihren Schwertern, Eisenspeeren und Gewehren nicht durch unsere Elefanten aufhalten lassen. Sie würden sich im Gegenteil auch noch einen Spaß daraus machen die Tiere zu töten, bevor sie uns abschlachteten.“

Gulshan Puri hatte fasziniert zugehört. Wieviel Mut, verzweifelter, hartnäckiger Mut, wurde ihnen abverlangt? Aber war es eigentlich Mut? Es war doch nur der verzweifelte Versuch zu überleben. Das Spektakel in seinem Kopf in diesem Moment rührte aus der Erkenntnis, dass das Gehörte genügte, um Szenen des eigenen Schicksals heraufzubeschwören, die er aus der Erinnerung verbannen wollte. So musste es allen hier im Hof ergehen. Wie aufgewühlt waren sie! Bewundernswert, mit wie viel Selbstbeherrschung sie Jaswant Singh zuhörten.

„Gebeugt, nicht nur vom Alter, sondern auch vor Trauer, gingen die Greise unter den Sikhs in den Gurdwara. Die Hindus beteten in ihrem Tempel. Die Muslime der Stadt riefen Allah um Hilfe an. Die Idee des Mahuts hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Einen besseren Vorschlag zur Verteidigung hatte es nicht gegeben. Dann kamen die anderen Mahuts mit ihren Elefanten. Sieben an der Zahl. Sie vertrauten der Klugheit ihres Freundes und verteilten sich an den Toren. An das Haupttor stellten sich drei und an die beiden anderen Tore je zwei Mahuts mit ihren Elefanten. Die Tiere waren sehr erregt. Sie spürten die Nervosität der Menschen und fühlten, wie die langen Speere der Mahuts immer wieder ihre Flanken berührten. Sie schlugen mit den Ohren klatschend an ihre behäbigen Körper und stampften mit den gewaltigen Beinen, dass die Erde vibrierte. Die Mahuts klopften ihnen beruhigend die faltigen Rücken und redeten leise auf sie ein. In der Zwischenzeit hatten andere Einwohner auf dem Wehrgang der Stadtmauer Reisig und Hölzer aufgeschichtet und angezündet. Seit Jahrhunderten rief man so bei uns Hilfe aus den Nachbardörfern herbei. In kurzer Zeit loderten mehr als zwanzig Feuer auf dem Wehrgang rund um die Stadt hoch in den Himmel hinein. Vor den Toren hatten die Angreifer inzwischen aus Baumstämmen Rammböcke gebaut. Das dumpfe Dröhnen ließ uns erzittern, wenn die Baumstämme gegen die Tore knallten... Aber die Tore hielten! Beim Guru Nanak, alles in unserer Stadt war solide gebaut, auch die Tore. Bilkul thiek! So war es!“ Wieder schaute Jaswant Singh triumphierend in die Runde. Dann fuhr er fort: „Und plötzlich begannen die Trommeln der Stadt laut zu tönen, und alle drei Tore wurden gleichzeitig geöffnet. Überrascht hielten die Angreifer inne. Doch dann ließen sie die Rammböcke fallen und stürzten schreiend in die Stadt. Sie schwangen ihre Säbel und Speere. Da gaben die Mahuts das Signal zum Angriff. Die Elefanten setzten sich wie riesige Walzen in Bewegung und zermalmten alles, was sich ihnen in den Weg stellte. Als die Angreifer in den ersten Reihen die Gefahr erkannten, machten sie kehrt und wollten flüchten. Die Nachrückenden konnten aber nicht sehen, was vor ihnen geschah. Sie drängten brüllend vorwärts. In dem Lärm des Getümmels verstanden sie nicht, was die Zurückweichenden riefen. Sie prallten aufeinander, kamen zu Fall und konnten sich nicht mehr aufrappeln. Die wenigen, die nicht von den Elefanten zermalmt oder von ihren eigenen Leuten niedergetrampelt wurden, flüchteten in Panik.“ Jaswant Singh schlug sich auf die Schenkel und seine Bartspitzen hüpften. „Ihr hättet das Triumphgeschrei unserer Leute hören sollen! Auch von den beiden anderen Toren war Jubelgeschrei zu hören. Dort hatte es auch funktioniert. Ja, so war das, bilkul thiek“, sagte Jaswant Singh und ließ die Zähne blitzen. Er hob die Hand um das beifällige Gemurmel der Zuhörer zu beenden.

„Wartet! Meine Geschichte ist noch nicht zu Ende. Die Feuer auf dem Wehrgang der Stadtmauer waren weit in der Umgebung sichtbar gewesen. In den Nachbardörfern hatte man die Armee alarmiert. Kavallerie und Militärtransporter waren im Anmarsch auf unser Städtchen. Wir sahen in der Ferne Scheinwerfer. Demütig nahmen wir es als Zeichen, dass unsere Gebete erhört worden waren.“

Jaswant Singh legte die Handflächen zusammen und verbeugte sich vor seinem Gott. Die anderen Sikhs im Hof taten es ihm gleich. Dann fuhr er fort: „Der befehlshabende Offizier, selbst ein Muslim, aber einer von der gerechten Sorte“, sagte er bedeutungsvoll, „ließ seine Soldaten in die Luft feuern, dass es gewaltig krachte. Er wollte den flüchtenden Angreifern noch einmal ordentlich Angst machen. Das würde sie von der Stadt fernhalten. Bilkul thiek, so war es. Und wir triumphierten. Niemandem von uns war ein Haar gekrümmt worden“, sagte Jaswant Singh stolz.

„Die Soldaten gaben uns dann über einige Meilen Begleitschutz, bis wir einen sicheren Platz für die Nacht gefunden hatten. Wir lösten den Treck dann aber am nächsten Morgen auf und zogen getrennt weiter. Nun ja, das schien uns sicherer. Eine einzelne Familie in einem Ochsenkarren war ein alltägliches Bild auf den Straßen des Landes.“ Er breitete die Arme aus: „So bin ich mit meiner Familie als einziger aus unserer Stadt hier zu euch nach Jalandhar gekommen.“ Er senkte den Kopf. „Ob es den anderen aus meinem Städtchen gelungen ist, heil über die Grenze zu kommen? Das wissen die Götter.“

Jaswant Singh zog geräuschvoll die Nachtluft durch die Zähne, hob den Kopf und sagte mit einem bedeutsamen Lächeln: „Stundenlang haben die Muslime versucht, unsere Stadt in ihre Gewalt zu bekommen. Es ist ihnen nicht gelungen. Trotzdem haben sie etwas von uns mit nach Hause genommen: die Niederlage. Bilkul thiek! So war es! Wer seine Waffen zu Göttern macht, ist geschlagen, selbst wenn diese Waffen siegen sollten!“

Die älteren Flüchtlinge nickten bedächtig mit ernsten Gesichtern. Bei den jüngeren in der Runde aber war der Bann gebrochen. Sie schlugen sich vor Begeisterung auf die Schenkel. Amar Singh fixierte Jaswant Singh mit blitzenden Augen und rief triumphierend: „Natürlich habt ihr die Angreifer in die Flucht geschlagen. Wir Sikhs sind eben nicht nur mutig und klug, sondern auch gewitzte Strategen. Nicht umsonst sind unsere Ahnen die berühmten Sikh-Soldaten. Die Muslime sollten sich das hinter die Ohren schreiben. Wer den Tiger reitet, kann nicht mehr abspringen, sonst wird er zerrissen!“

Während Jaswant Singh sprach, hatte der 15-jähige Prem Singh mit den beiden Kleinen bewegungslos am Feuer gesessen, das Gesicht eine reglose Maske. Auch jetzt stimmte er nicht in das fröhliche Gelächter ein. Es sah eher aus, als müsse er sich zur Tapferkeit zwingen. Plötzlich liefen Tränen wie Sturzbäche über seine Wangen. Als die Flüchtlinge im Hof ihn fragend ansahen brach es kehlig aus ihm heraus: „Ich und die Kleinen hier, wir haben Unerträgliches erlebt!“

„Achcha, achcha?“, taten die Männer in der Runde etwas ungläubig. Dieser Junge war wohl ein Weichling. Saß einfach da, sagte seit Tagen nichts, und nun heulte er auch noch. Die Frauen wiegten mitleidig ihre Köpfe. Sie spürten den inneren Kampf dieses Jungen.

„Dann erzähl uns doch, was euch passiert ist“, forderten sie ihn auf. Behäbig stand Samanta Kaur auf, setzte sich neben die Kinder und nahm die beiden kleinen in die Arme. Die dürren Körper verschwanden fast vollständig unter ihren gewaltigen Brüsten. Sie strich ihnen mit ihren großen Händen über die Köpfe und wiegte sie beruhigend wie zwei Säuglinge – „Beta, sub thiek ho joyega- alles wird gut!“

Prem Singh hatte Mühe, einen Anfang zu finden. Erst nach einigen Minuten hatte er sich soweit beruhigt, dass er beginnen konnte.

„In unserem Dorf Jalalpur“, begann er mit zitternder Stimme, „wohnten meine Eltern und ich an der Hauptstraße des Dorfes.“ Er schluckte schwer. „Vor einer Woche umstellten die Muslime aus der Nachbarschaft unser Viertel und brüllten: ‚Raus aus Pakistan, raus, raus, raus! Die Ungläubigen, müssen raus, sonst droht ihnen der Garaus!’“ Wieder liefen ihm die Tränen über die Wangen. Er wischte sich mit dem Handrücken die Nase und griff mit einer schnellen Bewegung nach den Jungen in Samanta Kaurs Armen, als wolle er sich vergewissern, dass sie noch da waren. Prem Singh sprach leise. Die Flüchtlinge verstanden ihn kaum und beugten sich näher.

„Wir rannten zum Haus unseres alten Guru-ji, der uns immer geholfen hatte. Es waren schon andere zu ihm geflüchtet...“ Prem Sings Stimme bebte. „Sie kamen mit Schwertern, Messern und Eisenstangen, mit Tüchern, die sie in Kerosin getaucht hatten. Verbrennen... Sie wollten uns verbrennen.“ Er starrte ins Feuer, als sehe er dort brennende Leiber. „Ich sehe wieder alles vor mir“, murmelte er.

„Wir warfen Steine. Die hielten sie nicht auf. Sie zündeten das Haus des Gurus an. Dann ging alles ganz schnell. Ich weiß nicht, was alles passierte. Sie packten die Männer, die aus dem brennenden Haus liefen. Durchbohrten sie auf der Straße. Ich sah meinen Vater... mein Vater“, er schluchzte auf. „Er und der Guru starben nebeneinander. Nichts konnte ich machen! Meine Mutter… Ich rannte mit ihr auf das Dach. Da waren schon Frauen mit Babys und Kindern. Alle Männer auf der Straße wurden umgebracht. Wir wussten, dass wir die nächsten sein würden. Und die Frauen!“ Prem Singh schaute die Frauen am Feuer an. Niemand sagte ein Wort. Er zuckte die Achseln und wischte sich wieder mit dem Handrücken die Nase. „Die Flammen hatten das Dach noch nicht erreicht, aber die Hitze wurde unerträglich. Manche Frauen schienen ganz ruhig. Sie legten ihre Babys an die Brust und nahmen ihre schreienden Kinder in die Arme. Als das Feuer das Dach erreichte, stürzte sich die erste mit ihrem Baby im Arm und einem Kind an der Hand in die Flammen. Die anderen folgten ihr.“

Der junge Sikh hielt sich die Ohren zu, als hörte er immer noch die Schreie der sterbenden Kinder und Frauen. „Die Flammen! Die Kinder! Die Toten!“ Er wischte sich mit dem Ärmel seines Hemdes Speichel und Tränen aus dem Gesicht. Savitri legte ihm den Arm um die Schulter: „Erzähl weiter Junge“, sagte sie beschwichtigend und drückte ihn an sich.

Prem Singh schnäuzte sich, entwand sich Savitris Armen und fuhr fort: „Die größeren Kinder schrien vor Angst. Ihre Mütter zogen sie mit ins Feuer. Meine Mutter blickte mich noch einmal an und sprang. Ein Inferno! Ich flüchtete ans andere Ende des Daches, dorthin, wo es noch nicht brannte, wahnsinnig vor Angst. Konnte nicht mehr hinschauen. Dann spürte ich Hände an mir. Ich dachte, jetzt wollen sie mich hinunterstoßen. Aber es waren die beiden Jungen hier. Sie hatten sich von ihrer Mutter losgerissen, als sie ins Feuer gesprungen war.“

Die Kleinen schnieften in Samanta Kaurs Armen. Prem Singh unterdrückte ein Aufschluchzen.

„Ich nahm jeden von ihnen an eine Hand und schrie: Wir springen! Und wir sprangen auf der Rückseite des Hauses vom Dach herab in den Gemüsegarten des Guru, wo das Feuer noch nicht wütete. Gebückt liefen wir zu einem großen Baum in der Nähe des brennenden Hauses und versteckten uns hinter dem Stamm. Wir sahen, wie die Flammen auf dem Dach in die Höhe schlugen. Dann brannten auch die Sträucher im Gemüsegarten. Das Haus war ein einziges Flammenmeer. Dieses gleißende, gelbe Licht. Nie werde ich das vergessen. Und dann das Triumphgeschrei! - Aber, Guru Nanak sei Dank, niemand suchte die Umgebung ab. Als die Nacht kam, hob ich zuerst Udai, den Älteren, und danach Sudhir, den Jüngeren auf den untersten Ast des Baumes und kletterte dann hinterher. Vorsichtig stiegen wir Ast um Ast weiter hinauf, bis in die Krone. Im dichten Gehölz gab es Halt und wir konnten uns für die nächsten Stunden verstecken. Die Jungen zitterten und klapperten mit den Zähnen. Ich musste überlegen... Denken! Wenn sie nun weinen oder schreien würden? Ich redete leise auf sie ein. Immer wieder musste ich aber mich selbst beruhigen. Ich sagte ihnen, wenn sie überleben wollten, müssten sie sich ganz ruhig verhalten, keinen Laut von sich geben. Sonst würden die Mörder uns finden. Sie verstanden, trotz ihrer Angst. Sie pressten die Lippen zusammen, das Klappern hörte auf. Wir klammerten uns an die Äste. Und dann kam der Gestank. Der Wind fegte Gestank, Gestank von verbranntem Fleisch vom Haus herüber. Wir drei haben unsere Eltern verloren“, sagte er dumpf. „Nur noch wir... Alle Hindus und Sikhs im Dorf tot. Vor Verzweiflung konnte ich kaum noch atmen. Wegen der kleinen Jungen musste ich so tun, als sei ich stark. Aber ich hatte doch selbst meine Eltern verloren.“ Das Schluchzen schüttelte ihn wieder. Er brauchte Zeit sich zu beruhigen. Dann fuhr er noch leiser fort: „Die Nacht im Baum neben dem Totenhaus. Wir konnten nicht einmal weinen. Damit wir nicht einschliefen und vom Baum fielen, redete ich die ganze Nacht leise flüsternd auf die Kleinen ein. Als die Morgendämmerung kam, wurde es ruhig in den Straßen. Aus dem Haus stieg immer noch Qualm auf.“

Im Hof herrschte beklemmende Stille. Einigen der Flüchtlinge liefen Tränen über die Wangen. Prem Singh konnte lange nicht weitersprechen.

„Dann wagten wir es; kletterten vom Baum. Ich befahl den Jungen zu warten und schlich mich zu dem niedergebrannten Haus. Überall Leichen, zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen. Ich konnte meine Eltern nicht finden. Und der Gestank... Die Mörder hatten die ermordeten Männer ins Feuer geworfen. Irgendwie tröstete mich das aber. Durch das Feuer hatten die Toten wenigstens ihre Würde behalten. Und die Mörder... Sie schliefen ruhig in ihren Häusern.

Ich wollte weg, nur weg. Mit einem blutverkrusteten Messer, das ich aufhob und im Gras säuberte, schnitt ich mir und den beiden Jungen das Haar kurz. Niemand sollte uns mehr als Sikhs erkennen. Wir mussten uns beeilen, mussten fliehen. Wenn die Mörder wach geworden wären und uns gefunden hätten...“

Im Hof war die gute Stimmung einer bedrückenden Stille gewichen. Savitri Puri strich den beiden schluchzenden Jungen in Samanta Kaurs Armen sanft mit dem Rücken ihres Zeigefingers über die Wangen. „Weint ruhig, das ist gut. Weint um eure Eltern, weint um eure Geschwister. Jetzt könnt ihr weinen.“

Prem Singh hob abwehrend die Hände, als eine der Frauen ihn in den Arm nehmen wollte.

Die Wut auf die Muslime schien im Hof greifbar wie Materie. Schwer, grau und ohne jeden Hoffnungsstrahl hatte sich in den Gemütern die finstere Keimzelle des Hasses eingenistet. Die Gräuel und das Leid in diesen Wochen machten keinen Unterschied zwischen den Religionsgruppen. Die Menschen handelten blind nach der Devise, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

Amar Singh, den sein fröhliches Gemüt und seine Zuversicht gewöhnlich nie lange im Stich ließen, sah Prem Singh und den Menschen um das Feuer in die Augen.

„Ich bin auch Sikh“, sagte er. „Meiner Familie ist auch großes Unrecht zugefügt worden. Aber wie viele muslimische Kinder sind auch Waisen, weil Hindus und Sikhs ihre Eltern umgebracht haben.“ Unwilliges Gemurmel wurde laut. Doch Amar Sing sagte mit belegter Stimme: „Dieser gegenseitige Hass vernichtet uns. Vielleicht eines Tages“, sagte er langsam, „wird es ein neues Indien geben, in dem Herkunft und Religion keine Rolle mehr spielen werden, wenn wir nicht mehr hassen, nicht mehr Rache üben.“

Soviel auf einmal über ein ernstes Thema hatte er noch nie geredet. Er begegnete Gulshans Blick und blickte verlegen zu Boden, erstaunt über die eigenen Worte. Jetzt schrien die Flüchtlinge empört durcheinander: „Bist du von Sinnen? Wir sitzen hier! Wir sind die Opfer! Was kümmern uns die Kinder der Mörder? Geh doch zu diesen Allah-Anbetern, wenn du Mitleid mit ihnen hast!“

Amar Singh stand auf und verließ den Hof. Samanta Kaur folgte ihm.

Er hat Recht, dachte Gulshan Puri. Das Leben wurde einfach zu vordergründig gesehen. Hindus sahen die Muslime als Unberührbare, als unterste Gesellschaftsschicht, und die Muslime betrachteten alle Andersgläubigen als Ungläubige, die ihnen also in keiner Weise ebenbürtig sein konnten. Bisher war es zwar selten zu Konflikten gekommen, weil ja alle unter dem Joch des Kolonialismus standen. Nun hatte es nur einiger dogmatischer Extremisten und der aufhetzenden Propaganda indischer und englischer Politiker bedurft, um das am Grunde schon brodelnde Fass zum Überlaufen zu bringen. Er stand auf und suchte seinen Freund. Amar Singh stand draußen an eine Straßenecke gelehnt. Samanta Kaur strich ihm beruhigend über das Gesicht.

„Ich habe es falsch angefangen“, sagte Amar Singh deprimiert, als er Gulshan sah. Sein Gesicht spiegelte seine zwiespältigen Gefühle wider. „Ich wollte beruhigen und habe alle nur noch mehr aufgebracht.“ Gulshan nahm ihn in den Arm. „Du hast doch Recht!“ Er wollte sagen, dass es die Pflicht, die Verantwortung der Überlebenden sei, die Zukunft auch für diejenigen zu leben, die keine Zukunft mehr hatten. Aber auf einmal erschien ihm all das, was ihm leidlich logisch vorgekommen war, vor dem Hintergrund der bestürzenden Schicksale wirr und nebelhaft. Er wünschte sich brennend, Amar Singh ein paar bestätigende Worte mehr sagen zu können. Er konnte aber nichts von alledem ausdrücken.

Die Nacht kam und legte sich wie ein schützender Kokon über den Hof. Es wurde still im Dharamsala.

Dungfeuer

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