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Savitri betrachtete stolz den neuen Anbau im Hof ihres Hauses. Gulshan hatte Habib, den Maurer, vor Wochen damit beauftragt. In Khushab war das Baugewerbe schon immer fest in muslimischer Hand gewesen. Sie waren die geschicktesten Maurer und Zimmerleute. Der beste Freund Habibs war Naved, der Milchmann. Unzertrennlich waren die beiden, Habib, der Muslim und Naved, der Hindu. Savitri sah sie vor sich, wie Naved ihr eines Morgens die Milch gebracht und Habib sofort seine Arbeit am Anbau unterbrochen hatte. Die Politik war wieder das Thema gewesen. Mit wichtiger Geste hatte Habib seinen Freund beiseite geschoben: „Habt ihr von Gandhis Auftritt in London gehört?“, hatte er aufgeregt mit hörbarem Stolz in der Stimme gefragt.

„In Lendentuch und Sandalen, in seiner üblichen Bekleidung, ist er zum Tee beim König erschienen. Und als er dann von einem englischen Reporter gefragt wurde, ob er diese Bekleidung angemessen finde, hat er geantwortet: ‚Der König hatte genug für uns beide an.“ Dröhnend hatte Habib gelacht und den Milchmann übermütig in die Brust geboxt.

„In der Zeitung schreiben sie, Churchill habe Gift und Galle gespuckt. Und der ist ja jetzt nicht einmal mehr Premierminister.“

„Dieser verlogene Fettwanst“, war Naved dazwischengefahren, er, der sich sonst aus der Politik nichts machte, sich lieber nur um seine Milch kümmerte. „Dieser Churchill, dieser Pavianarsch, wollte uns Inder doch schon immer blöd halten. Der und seine englischen Milchgesichter denken, dass wir ohne sie nichts sind. Wenn der sich gedemütigt fühlt – gut so!“ Er wackelte mit dem Kopf und grinste.

Savitri hatte genickt und ihm die Milch abgenommen.

„Irgendwann werden wir frei sein“, hatte Habib noch gesagt und sich wieder an seine Arbeit gemacht.

Wie einig sie sich waren, der Hindu Naved und der Muslim Habib, wenn es um die Unabhängigkeit Indiens ging, dachte Savitri.

Auch Gulshan und sie hatten natürlich gelesen wie London auf Gandhi reagiert, welch tiefen Eindruck er hinterlassen hatte. Englands Presse und Öffentlichkeit waren fasziniert von diesem kleinen Mann, der das Empire durch Sanftmut in die Knie zwingen wollte. Er war berühmt geworden im Königreich durch die Wochenschauaufnahmen seines Salzmarsches. Für die englischen Massen, die unter der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit und großer sozialer Ungerechtigkeit litten, war dieser seltsame kleine Mann aus dem Osten eine faszinierende Persönlichkeit. Fast beruhigend hatte er gewirkt in seinem Baumwolltuch mit seiner an Christus erinnernden Botschaft der Nächstenliebe. Vielleicht, dachte Savitri, wird Gandhi mit seiner Entschlossenheit und seinem Mut erreichen, dass England reif für einen Wandel wird.

Wenn Savitri sich manchmal fragte, wie es kam, dass Gulshan trotz ihrer häufigen Auseinandersetzungen im richtigen Moment immer das Richtige getan hatte, so kam ihr stets seine bedingungslose Liebe zu ihr in den Sinn.

Schon als sie sich kennenlernten, hatte er sie so geliebt wie sie war: unabhängig in ihrer Meinung und oftmals rebellisch.

Sie hatten sich in der ersten Zeit meist in der Nähe des Jhelum getroffen, waren an seinen Ufern entlang gewandert und hatten geredet. Gulshan hatte von seinen Eltern erzählt, von seinem Bruder, zu dem er immer ein zwiespältiges Verhältnis hatte. Der von ihm einerseits den Respekt des jüngeren Bruders vor dem älteren forderte, andererseits den Eltern gerade diesen Respekt nicht entgegenbrachte. Und Savitri hatte von ihrer Familie gesprochen und von dem Leben, das sie bisher in Khushab geführt hatte.

Im ersten Jahr ihrer Ehe hatte es häufig Streit gegeben. Savitri war keine Frau, die sich nicht einmischte. Sie sagte Gulshan klar ihre Meinung zu den täglichen Dingen des Lebens.

Auch zur Politik, zu Gandhis Aktionen und der schwierigen Lage im Land hatte sie eine Auffassung, die der seinen nicht entsprach. Aber Gulshan hatte immer gewusst, dass sie nicht wie die meisten Frauen, die Ansichten des Ehemannes vertrat, sondern vehement ihre eigenen. Sie war sich bewusst, dass ihr zuweilen cholerisches Temperament, der Strom ihrer Gedanken und Gefühle eine solche Wucht hatte, dass ihre Worte alles wegschwemmten, was Gulshan sagte. Manchmal warf er ihr Überheblichkeit vor, woraufhin sie seine Ignoranz beklagte. Erst als Deepak und drei Jahre später Ram Chand geboren wurden, harmonisierte sich ihr Verhältnis. Die Kinder sorgten für Ausgleich. Savitris überschäumende Ausbrüche wurden etwas gedämpfter. Doch im Grunde wusste sie, dass Gulshan sie gerade auch wegen ihres Temperaments liebte, wenn sie vor Leben sprühte und das, was sie sagte, auch ehrlich meinte. Durch die Jahrhunderte währende männliche Unterdrückung bedienten sich viele indische Frauen listiger Schachzüge, um auf diese Weise ihre Wünsche durchzusetzen. Solcherlei Tricks verachtete Savitri.

Immer wieder hatte Savitri von Gulshan gehört, wie er ihre Lebhaftigkeit vermisste, wenn er abends nach Hause kam und sie nicht vorfand. An einem solchen Abend hatte er Pläne gemacht. Er hatte beschlossen, dem Haus einen kleinen Anbau hinzuzufügen, in dem zwei Kinderzimmer entstehen sollten. Deepak kränkelte etwas, konnte immer noch nicht laufen, als Ram Chand geboren wurde. Aber Savitri ging das Herz über, wenn sie den lebhaften Blick ihres Jungen aus den blitzenden braunen Kinderaugen sah. Dankbar dachte sie an die alte Kräuterfrau, die ihn damals auf so wundersame Weise geheilt hatte. Nachdem Deepak gesund geworden war, hatte sie sich gewünscht, dass es bei zwei Kindern nicht bleiben sollte. Und hierin war sie sich mit Gulshan einig gewesen.

Den Anbau für die Kinderzimmer hatte Gulshan veranlasst, kurz bevor sie bemerkt hatte, dass sie wieder ein Kind erwartete.

Und dann war zu den beiden Jungen Deepak und Ram Chand noch die kleine Namita hinzugekommen. Welch ein Glück sie doch hatte, dachte Savitri oft.

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