Читать книгу Dungfeuer - Jutta Gujral - Страница 7

1

Оглавление

Der Sommer war mit großer Hitze über den Punjab hereingebrochen. Die Lehmwege in Khushab waren staubig, die Felder ausgedörrt und gelb. Heiße Luft waberte über der neuen Brücke, die den Jhelum überspannte. Es sah aus, als verdampfe gurgelnd der Fluss. Nur die Nächte brachten etwas Erleichterung.

Auch im Lande brodelte es. Indien stand nun endlich kurz vor der Unabhängigkeit. Der Vizekönig von Indien und Viscount of Birma, Lord Mountbatten, führte auf britischer Seite die Verhandlungen. Er zwang seine Regierung, öffentlich ein präzises Datum zu nennen, an dem die englische Herrschaft über Indien zu Ende gehen werde. Damit wollte er die skeptische Intelligenz Indiens davon überzeugen, dass die Briten auch wirklich das Land verlassen würden. Denn nur dann konnten seiner Meinung nach realistische Verhandlungen geführt werden. Doch Indien drohte die Teilung. Mohammed Ali Jinnah, der Führer der Muslime, forderte einen souveränen, islamisch bestimmten Staat „Pakistan“ mit der Begründung, dass Hindus und Muslime in zwei Nationen aufgespalten werden müssten. Mahatma Gandhi und der Präsident des Indian National Congress, Jawaharlal Nehru, taten alles in ihrer Macht stehende, um eine Teilung Indiens zu verhindern.

Gulshan Puri saß an diesem Augusttag an seinem Schreibtisch und sah nachdenklich auf den Dorfplatz hinaus. Kaum ein Dorfbewohner ließ sich blicken. Jeder versuchte, die heißeste Zeit des Tages an einem schattigen Platz oder im Haus zu verbringen. Gulshan schob einen Berg Akten achtlos zur Seite. Er war besorgt. Vieles hatte sich in Khushab verändert.

Sein Schwiegervater war vor einem Jahr an einer schweren Tuberkulose erkrankt und hatte seinen Verpflichtungen als Bürgermeister nicht mehr nachkommen können. Gulshan war von den Dorfältesten als Nachfolger in dessen Amt gewählt worden. Doch die Jahre, in denen das Leben gemächlich verlaufen war, schienen auch in Khushab vorbei. Die Aggression hatte zugenommen; nicht erst seit gestern, als ein durchreisender muslimischer Händler und ein Dorfbewohner mit Stöcken aufeinander losgegangen waren. Seit im vergangenen Jahr in Kalkutta Muslime über Hindus und Hindus über Muslime hergefallen waren und sich gegenseitig massakriert hatten, schien Gulshan die Stimmung auch hier bedrohlicher geworden zu sein. Es war zwar früher schon hin und wieder zu kleineren, meist harmlosen Streitereien über die unterschiedlichen Lebensweisen, die die Religionen vorschrieben, zwischen Hindus und Muslimen gekommen. Niemals aber hatte man in dem andersgläubigen Nachbarn einen Feind gesehen. Seit er Bürgermeister war, gehörte es nun auch zu seinen Aufgaben, Streit zu schlichten. Doch harmlose Streitereien waren es nicht mehr. Es schien Gulshan Puri, als verändere sich nicht nur die politische Lage im Land; das Land und seine Menschen schienen nicht mehr dieselben.

Gulshan Puri zog die obenauf liegende Akte wieder zu sich heran. Besonders wichtige Angelegenheiten hatte er heute nicht zu bearbeiten – und doch musste auch diese Arbeit getan werden. Er klappte den Aktendeckel auf: der Antrag des Milchmanns Naved, der ein größeres Ladengeschäft von der Gemeinde mieten wollte. Naved…, dachte Gulshan und trommelte mit seinem Kugelschreiber auf den Schreibtisch. Was war in den Milchmann gefahren? Der freundliche Hindu Naved, der mit seinem muslimischen Freund Habib früher immer einer Meinung gewesen war. Und jetzt dieser Wandel; heute Morgen diese hasserfüllten Worte, als er die Milch ins Haus gebracht hatte. Man müsse in jedes muslimische Haus eine Kobra setzen, damit diese Ungläubigen den Tod stürben, den sie verdienten, hatte er gesagt.

Und Naved stand nicht allein mit diesen unguten Ansichten.

Gulshan schüttelte den Kopf, Zweifel nagten an ihm und er zitterte innerlich vor der Welle der Gewalt, die sich seit Monaten über das Land wälzte und sicher auch vor dem Punjab nicht Halt machen würde. Und doch äußerte er diese Befürchtungen nur ein paar Freunden und Savitri gegenüber.

Er seufzte und versuchte, sich wieder auf seine Arbeit zu konzentrieren. Es gelang ihm nicht. Er stand auf und stellte sich ans Fenster.

Savitri, dachte er, und ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Savitri, wie sie heute Morgen am Herd in der Küche ihres Hauses gestanden und mit einem hölzernen Löffel in dem Wok gerührt hatte. Die kleine Namita, ihre Jüngste, hatte breitbeinig auf Savitris linker Hüfte gesessen, vor sich hin gebrabbelt und ihrer Mutter aufmerksam dabei zugesehen, wie sie den im Butterfett zischenden Zwiebeln Gewürze und eine Hand voll Auberginen hinzufügte. Ihre Händchen hatten sich am Sari ihrer Mutter festgeklammert. Der achtjährige Deepak und der fünfjährige Ram Chand waren im Hof gewesen. Durch die offene Küchentür hatte Gulshan Puri ihnen beim Spiel zusehen können. Deepak schien Ram Chand etwas erklärt zu haben, denn der Jüngere hatte bewundernd zu seinem großen Bruder aufgeschaut.

Gulshan liebte es, in der Küche zu sitzen und seiner Familie zuzusehen. Sein Lächeln vertiefte sich, als er daran dachte, dass Savitri morgens beim Ankleiden dem blaugrünen Georgette-Sari nicht hatte wiederstehen können. Und später in der Küche war sie ärgerlich geworden, als das Fett in dem Wok spritzte, und einen hässlichen Fettfleck auf der Seide hinterließ. Er hatte bemerkt, wie sie ihm einen schnellen Blick zuwarf. Gulshan fand seine Frau immer noch so anziehend wie bei der Hochzeit vor neun Jahren. Ihre grazile, mädchenhafte Figur hatte sich auch nach dem dritten Kind nicht verändert.

Er ging langsam zurück zu seinem Schreibtisch. Den trüben Gedanken wollte er an diesem Tag keinen Raum mehr lassen. Lieber dachte er an Savitri. Was für ein Glück er doch hatte! Von Anfang an hatte er gewusst: diese Frau und sonst keine. Selbst wenn man vorher nie wissen konnte, wie eine Ehe verlaufen würde. Natürlich nicht! Aber das Schicksal hatte es gut mit ihm gemeint. Und ihre drei Kinder…

Er konnte zufrieden sein.

Dungfeuer

Подняться наверх