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Längst hatte die Mittagssonne den Morgendunst über dem sich träge dahinwälzenden Jhelum in flirrende Hitze verwandelt. Der Fluss und die durch ihn gespendete Fruchtbarkeit der Erde in einer überbordenden Natur hatten schon immer das Leben der Menschen im Punjab der Kornkammer Indiens bestimmt. Und so wie der Fluss, gemächlich und unveränderlich, war bisher auch das Leben der Menschen in Khushab verlaufen. Warum sollte sich das ändern, fragte sich Gulshan. Bestrebungen, die zur Unabhängigkeit Indiens führen sollten, hatte es doch schon seit Jahrzehnten gegeben. In anderen Teilen des Landes war es oft zu Unruhen gekommen, die von der britischen Kolonialmacht immer wieder blutig niedergeschlagen worden waren. Hier in Khushab wollte man zwar auch die Unabhängigkeit, aber den Kampf darum überließ man den Städtern und Menschen wie Gandhi, versuchte Gulshan seine Befürchtungen zu zerstreuen.

Bei seiner Ankunft in Khushab vor elf Jahren hätte er nicht gedacht, dass dieses Dorf sein weiteres Schicksal bestimmen würde. Als Abgesandter der Behörde für staatliche Bauprojekte sollte er den Bau einer Brücke über den Jhelum überwachen und die Arbeiten koordinieren.

In den Wintermonaten der vorangegangenen Jahre war der Jhelum nach kräftigen Regenfällen immer öfter so stark angeschwollen, dass es zu gefährlich geworden war, den Fluss mit der Fähre zu überqueren. Der Fährmann hatte die eher einem großen Floß als einem stabilen Fährschiff ähnelnde Fähre am Ufer an Holzpfosten vertäut. Zwischen Khushab und den jenseits des Flusses liegenden Dörfern gab es keine Verbindung mehr. Für die fahrenden Händler in der Region war das schlecht, doch wirklich problematisch war es für die Bewohner der Dörfer, die von der Versorgung mit frischen Waren abgeschnitten waren und von ihren Vorräten leben mussten. So hatten sich die Bürgermeister und die Händler der Region Sargodha zusammengetan und Petitionen verfasst, um den Bau einer Brücke über den Jhelum durchzusetzen. Die Regierung hatte letztlich dem Drängen der Menschen nachgegeben und den Bau der Brücke genehmigt.

Das friedliche Dorf und seine mit Gebüsch bewachsenen Hügel waren nicht ohne Eindruck auf Gulshan geblieben. Er liebte die ausgetretenen Dorfstraßen, auf denen Frauen mit bloßen Füßen täglich den Weg zu den Dorfbrunnen nahmen wie schon ihre Mütter und Großmütter, rotbraune, mit Wasser gefüllte tönerne Krüge auf den Köpfen tragend und sich in den Hüften wiegend. Ein Torbogen, dessen einstige von Steinmetzen geschaffene Pracht inzwischen dem Verfall anheim gegeben war, führte in die engen Gassen, vorbei an von Mauern umgebenen Grundstücken, an Hütten, vor denen die Dungfeuer brannten, auf denen Frauen in kupfernen Karais die täglichen Mahlzeiten zubereiteten. Weiter ging es durch die Gassen zu dem kleinen Basar und dem Dorfplatz von Khushab. Wenn die Schatten der Bäume länger wurden und die sengende Sonne ihre Kraft verlor, trafen sich hier die Dorfbewohner zu einem Schwätzchen oder auch, um ernste Angelegenheiten zu bereden.

Tag für Tag saß der behinderte Sohn des Schlachters auf einer Strohmatte unter einem Baum. Vorüberkommende strichen ihm über die dichten Haare oder richteten ein paar freundliche Worte an ihn. Eine Moschee mit drei Kuppeln stand am Ende des Dorfplatzes neben dem Hindu-Tempel. Nach den Gebeten trafen sich die Männer aus der Moschee mit den Männern aus dem benachbarten Tempel zu einem Schwatz oder zum Kartenspiel. Hier hatte es noch nie Unruhen zwischen den Anhängern verschiedener Religionen gegeben. Händler mit bunten Turbanen aus Rawalpindi, Peshawar, Lahore und Delhi versammelten sich auf dem Dorfplatz mit ihren Karawanen und boten ihr Korn, Salz, getrocknete Chilis und bunte Stoffe an, hockten sich neben ihren Verkaufsständen zusammen mit anderen Händlern und Dörflern im Halbkreis auf den Boden, zogen abwechselnd an einer blubbernden Wasserpfeife, reichten sie weiter, erzählten die Geschichten ihrer Reisen und diskutierten die politische Entwicklung im Land. Gulshan fühlte sich wohl in Khushab. Hindus und Muslime lebten freundschaftlich zusammen.

Von Heimweh war Gulshan nie geplagt worden, obgleich seine alten Eltern in der Stadt Jhelum am Jhelum zurückgeblieben waren. Sie hatten ihre Heimatstadt nicht verlassen wollen. Doch Jhelum war nur eine halbe Tagesfahrt mit der Eisenbahn entfernt. Wann immer es möglich gewesen war, hatte er sie sonntags besucht. Er wusste, dass es ihr größter Wunsch war, ihn zu verheiraten, jetzt, da er nicht mehr bei ihnen lebte. Bei jedem Besuch hatte sich das Ritual wiederholt: Sie hatten gedrängt und geschmeichelt, dass es einfach wäre für ihn, ihren gut aussehenden Sohn, so groß und schlank, mit ungewöhnlich hellen Augen, ein hübsches Mädchen aus guter Familie zu finden. Gulshan hatte sie nicht verletzen wollen und immer neue Ausflüchte gesucht.

Eine Frau zu heiraten, die seine Eltern ihm aussuchten und die er vor der Hochzeit weder gesehen noch gesprochen hatte, das wäre für ihn nicht in Frage gekommen, auch wenn er wusste, dass seine Eltern sich die größte Mühe gegeben hätten, ein für ihn passendes Mädchen zu finden. Aber nein, allein die Vorstellung Ehemann zu sein, fand er damals absurd. Und dann war da ja auch diese neue Aufgabe in Khushab, die ihn ganz in Anspruch nahm.

Und doch hatte es in Khushab ein Mädchen gegeben, das ihn beschäftigte. Die Tochter des Bürgermeisters, Savitri Narayan, selbstbewusst und ohne Scheu.

Sie hatten sich häufiger, immer außerhalb des Dorfes getroffen. Der Klatsch über Savitri trieb ohnehin schon Blüten. Hätte man sie öfter zusammen gesehen, wäre Savitris Ruf ruiniert gewesen. Ihre selbstbewusste Art hatte unter den Dorfbewohnern schon oft Befremden hervorgerufen, weil sie ihre Meinung frei heraus sagte und tat, was ihr gefiel. Viele im Dorf verurteilten, dass ihr Vater sie unterrichtet und gelehrt hatte, sich eine unabhängige Meinung zu bilden. Ein junges Mädchen wie Savitri, gebildet und selbstbewusst, mit einem dermaßen unverschämten Betragen, welcher Mann wollte so eine Frau, wurde hinter vorgehaltener Hand gefragt. Und ihr Vater, der Bürgermeister, unterstützte sie auch noch mit seinen freien Erziehungsmethoden. Doch obwohl Savitri sehr wohl wusste, was im Dorf geredet wurde, schien sie das nicht zu stören.

Der Bau der Brücke hatte sich hingezogen. Immer wieder waren Probleme aufgetaucht, die gelöst werden mussten. Mal war es die Behörde, die Materialanforderungen bürokratisch lange überprüfte, mal waren es Lieferverzögerungen oder fehlende Arbeitskräfte. Manchmal hatte Gulshan am Abend nicht gewusst, wie es am Morgen weitergehen sollte.

Und trotzdem war es für Gulshan eine schöne Zeit gewesen. Zeit, Savitri gut genug kennen zu lernen und den Eltern zu eröffnen, dass für beide eine arrangierte Ehe nicht in Frage käme, denn ihre Wahl hatten sie schon getroffen.

Und dann hatte ganz Khushab begeistert die Hochzeit der Bürgermeistertochter gefeiert, die nun wider Erwarten doch noch einen Ehemann gefunden hatte. Und was für einen! Gulshan war beliebt im Dorf. Er war inzwischen einer von ihnen, hatte sich angepasst und fühlte sich bei ihnen sichtlich wohl, obwohl er doch aus der Stadt kam.

Gulshan Puri schob die Erinnerungen beiseite und zwang sich zur Konzentration. Als er die letzte Akte weglegte, sah er vom Schreibtisch auf. Die Sonne stand schon lange nicht mehr im Zenit. Die Farbe des Himmels hatte sich von einem gleißenden Weiß in ein helles Violett verwandelt. Gulshan dachte daran, dass er bald nach Hause gehen würde. Er freute sich auf die Methi-Paranthas, die leckeren mit Spinat gefüllten Brotfladen. Savitri hatte versprochen, sie zum Abendessen zuzubereiten. Hoffentlich würde er nicht wieder von einem ängstlichen Dorfbewohner aufgehalten werden. Alle hatten plötzlich Angst und wollten von ihm, ihrem Bürgermeister, eine Bestätigung, dass die politischen Unruhen im Land und die Gewalt zwischen Hindus und Muslimen nicht auf ihr Dorf übergreifen konnten. Was verlangten sie von ihm? Zum Glück war es ihm bisher immer noch gelungen, die Menschen zu beruhigen. Vielleicht sollte er wie Gandhi von Hütte zu Hütte, von Haus zu Haus gehen und mit allen Dorfbewohnern reden. Oder vielleicht besser eine Versammlung einberufen, die Menschen miteinander sprechen lassen – selbst wenn es zum Streit käme? Wie oft hatte er in den letzten Monaten Streit schlichten müssen. Wenn er mit Savitri darüber gesprochen hatte, hatte sie nicht wahrhaben wollen, dass es ihn auch hier gab, den Hass. Doch nicht hier in ihrem Khushab!, hatte sie ihn zurechtgewiesen. Nicht hier, wo sie die meisten Menschen ein Leben lang kannte. Wo sie aufgewachsen war. Wo ihre Mutter einmal wöchentlich die Frauen des Dorfes, ob Muslima oder Hindu, zu einem Schwatz bei Tee und Gebäck in ihren Garten lud. Wo Gulshans Wort als Bürgermeister Gewicht hatte, etwas galt. In den großen Städten, in der Anonymität, konnte der Hass auf die Andersgläubigen geschürt werden, Blut und Zerstörung vor sich hertreiben und verbrannte Erde hinterlassen. Aber nein, nicht hier, glaubte sie. Wie oft hatte Savitri mit ihm in den letzten Wochen darüber gestritten und versucht, seine Bedenken zu zerstreuen.

Dungfeuer

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