Читать книгу Das Siegel des letzten Templers - Kai Kistenbrügger - Страница 13

(11) 2. April, Christian Roths Wohnung

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Rastlos wanderte Christian in der Wohnung umher. An Arbeit war nicht mehr zu denken, abschalten konnte er allerdings erst recht nicht. Er hatte versucht, sich mit ein paar belanglosen Vormittagsendungen im Fernsehen abzulenken, aber selbst die stupiden, Gehirn erweichenden Talkshows schafften es nicht, ihn von dem kleinen, unscheinbaren Schlüssel abzulenken, der auf seinem Küchentresen lag.

Stattdessen hatte Christian die Berichte im Fernsehen verfolgt, die mittlerweile über jeden Sender flimmerten, seitdem der Mord in der Münchener Innenstadt an die wachsamen Ohren der Medien gedrungen war. Die Polizei kam in den kurzen Reportagen nicht sonderlich gut weg. Sie konnte außer Mutmaßungen weder Angaben zum Motiv, noch zum Tathergang liefern, geschweige denn einen Mörder präsentieren. Die in breiten Bevölkerungsschichten populäre Bildzeitung hatte den unbekannten Mörder bereits unter dem einprägsamen Namen ‚Der Parkplatzschlächter’ bis über die Ländergrenzen bekannt gemacht, jedenfalls war Christian im Laufe des Vormittags über einen spanischen Sender gestolpert, der über den Mordfall in München berichtete und stolz die Bildzeitung zitierte.

Christians Name war im Zusammenhang mit den Ermittlungen nicht gefallen. Glücklicherweise, eine Meldung wie diese konnte eine vielversprechende Karriere wie seine über Nacht beenden.

Ein paar traurige Blumen auf dem Parkplatz zeugten in den Reportagen der Nachrichtensender von der Anteilnahme unbekannter Passanten. Nichtsdestotrotz war über den Mann Wolfgang Bergmann nur wenig bekannt. Er wurde als ein etwas verschrobener Wissenschaftler und ehemaliger Universitätsprofessor, mit dem Forschungsschwerpunkt Geschichte, dargestellt. Allerdings hatte er sich bereits vor Jahren aus dem aktiven Dienst zurückgezogen, um einem ehemaligen Kollegen zufolge ‚einer fixen Idee’ nachzugehen, die der angebliche Zeuge nicht näher spezifizierte. Christian konnte ihm ansehen, dass er im Interview mit dem jung aussehenden Reporter aus Respekt vor dem Toten nicht das sagte, was er wirklich dachte. Sein Mund verzog sich verächtlich, wenn er von Bergmann sprach, und seine Augen klagten Bergmann als verwirrten, alten Mann ohne soziale Bindungen an. Die Fernsehsender zeichneten einhellig das Bild eines einsamen Mannes, der sich zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort befunden hatte. Doch Christian glaubte nicht daran. Die ‚fixe Idee’, die Bergmanns wenig charmanter Ex-Kollege erwähnt hatte, hing sicherlich mit dem Siegel, oder zumindest mit dem Templerorden zusammen. Der Mord war nicht zufällig geschehen, davon war Christian überzeugt. Der Mörder hatte etwas gesucht, etwas, für das Christian den Schlüssel in der Hand hielt.

Der Poststempel des einfachen, zerknitterten Briefumschlages trug das Datum von gestern. Bergmann musste ihn kurz vor seinem Tod aufgegeben haben. Vermutlich hatte er nicht das Risiko eingehen wollen, ihn persönlich mit sich zu führen. Wobei, rückblickend hatten sich seine Ängste, jemand könnte ihm den Schlüssel oder das Siegel abnehmen, offensichtlich als berechtigt erwiesen. Sein unglückliches Ende ließ diesen Schluss auf jeden Fall zu. Wahrscheinlich hatte er geplant, bei ihrem Treffen weitere Instruktionen zu geben, was es mit dem Schlüssel auf sich hatte. Nur war es nie zu diesem Treffen gekommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Bergmann bereits tot auf der Straße gelegen, eiskalt dahingemeuchelt von einem unbekannten Täter. Hatte der Täter wirklich diesen Schlüssel gesucht? War für diesen Schlüssel ein Mensch brutal ermordet worden? Oder hatte der Täter mit dem Siegel bereits gefunden, was er gesucht hatte?

Eine leichte Gänsehaut kündigte sich mit einem deutlichen Kribbeln auf Christians Rücken an. Während er in seinem Fernsehsessel saß und die Nachrichten auf sich einrieseln ließ, fühlte er die Präsenz des Schlüssels in seinem Nacken bedrohlich pochen, in einer unerträglichen Art und Weise. Die kleinen, feinen Härchen an seinem Hals hatten sich warnend aufgestellt, als würde er unbewusst eine unterschwellige, dunkle Energie wahrnehmen, die pulsierend von dem Schlüssel ausging. Christian war nicht abergläubisch, aber er glaubte daran, dass Orte oder Gegenstände negative Energie absorbieren konnten. Vielleicht gab es keine Geister, aber Christian war überzeugt davon, dass Gräueltaten wie der Mord an Bergmann eine Art Abdruck in der Realität hinterließen, der zwar nicht sichtbar, aber zumindest im Unterbewusstsein spürbar war.

Die logische Konsequenz wäre gewesen, den Schlüssel bei der Polizei abzugeben und die Affäre um Bergmann zu vergessen; dem Bösen die Tür zu seinem Leben zu verschließen. Christian war sich allerdings nicht sicher, ob er diesen Schritt noch gehen konnte. Er hatte zu viel gesehen, zu viel gehört. Er wusste nicht, wer die Drahtzieher hinter Bergmanns Tod waren, aber er spürte das brennende Verlangen, dem Geheimnis um den Schlüssel selbst auf den Grund zu gehen. Dieser Schlüssel musste ihn zu dem Templersiegel führen, das war der einzige logische Schluss aus den Vorfällen. Und Bergmanns Ermordung bewies, dass mindestens eine weitere Partei an die Echtheit des Siegels glaubte. Und bereit war, dafür über Leichen zu gehen. Vielleicht war diese Hinterlassenschaft der Tempelritter der Hinweis auf etwas Großes, auf eine atemberaubende Entdeckung. Der Beweis, dass die Tempelritter nach ihrer Auflösung weiterexistiert hatten. Und damit war das Siegel vielleicht ein Anhaltspunkt auf den Verbleib ihres Vermögens oder der sagenumwobenen Reliquien, die sie den Legenden zufolge dem harten Boden unter dem Tempelberg in einer Jahre andauernden Suche abgerungen und gehütet hatten wie ihr eigenes Leben. Der heilige Gral. Die Bundeslade. Gegenstände, für die so manche Menschen über Leichen gehen würden. Christian musste nur aufpassen, dass es nicht die eigene war. Er schluckte schwer. Es widersprach seiner Natur, sich wissentlich in Gefahr zu begeben, allerdings hatte er sein Leben lang auf einen Fund wie diesen gewartet. Und wider besseres Wissens war er nicht in der Lage, diese Gelegenheit verstreichen zu lassen.

Alleine würde er allerdings nicht sonderlich weit kommen. Er hatte keinerlei Anhaltspunkte, wo er mit seiner Suche beginnen sollte. Der Schlüssel konnte zu jedem Schloss in der Stadt passen. Schließfächer am Bahnhof, Bankschließfächer, Schränke. Die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Die Stadt war groß, und er war nur ein einzelner Mann. Zudem lief irgendwo ein wahnsinniger Mörder herum, der wahrscheinlich nicht zögern würde, Christian für diesen Schlüssel eiskalt zu ermorden.

Unsicher strich Christian über den Hörer des Telefons. Im Moment fiel ihm nur eine Person ein, an die er sich wenden konnte. Ein Umstand, der ihm nicht sonderlich behagte. Wolff war leider die einzige Möglichkeit für ihn, im Spiel zu bleiben. Außerdem war er sich nicht sicher, ob er sich nicht doch strafbar machte, wenn er ein Beweisstück wie den Schlüssel einfach unterschlug. Wolff mochte anderer Meinung sein, aber Christian war zeitlebens ein gesetzestreuer Bürger gewesen. Und er wollte ungern mit dieser bewährten Tradition brechen.

Er seufzte resignierend. Widerwillig wählte er nach kurzem Zögern die Nummer des Polizeireviers.

Das Siegel des letzten Templers

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