Читать книгу Das Siegel des letzten Templers - Kai Kistenbrügger - Страница 5

(3) 1. April, Christian Roths Büro

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Die Nervosität des Anrufers war trotz der schlechten Verbindung kaum zu überhören. Christian Roth wechselte verstört den Telefonhörer vom rechten ans linke Ohr. „Bitte beruhigen Sie sich“, murmelte er beschwichtigend in die Sprechmuschel. „Wie war Ihr Name noch?“

„Bergmann. Wolfgang Bergmann“, quiekte die schrille Stimme unangenehm laut in den Hörer. „Ich brauche Ihre Hilfe. Nur Sie können mir noch helfen!“ Ein lautes, schnelles Atmen unterstrich jedes einzelne Wort, als würde der Anrufer unter akuter Atemnot leiden. „Eine Sache um Leben und Tod. Wir dürfen keine Zeit verlieren.“ Der Unbekannte sprach ruhelos, hektisch, und Christian hatte Schwierigkeiten, ihm zu folgen. Er ließ Christian keine Gelegenheit, um auf die zusammenhanglosen Sätze zu antworten. „Ich weiß, es klingt verrückt, aber sie sind hinter mir her, wollen es mir wegnehmen! Es bleibt nicht viel Zeit!“

„Ich verstehe nicht ganz“, fiel Christian ihm ins Wort, als Bergmann endlich nach einer gefühlten Ewigkeit eine kurze Atempause machte. „Bitte sammeln Sie sich erst einmal und erzählen mir dann in Ruhe, was Sie überhaupt von mir wollen. Ehrlich gesagt, verstehe ich nur Bahnhof. Und überhaupt, woher haben Sie meine Nummer? Soweit ich weiß, steht sie nicht im Telefonbuch.“

„Nein, nein!“, brabbelte sein Gesprächspartner, „Keine Erklärungen! Ich habe keine Zeit, so wenig Zeit! Sie sind hinter mir her!“ Er schluchzte. „Das kann nicht sein! So kurz vor dem Ziel!“ Bergmann verstummte schlagartig. Wäre nicht im Hintergrund weiterhin ein unterdrücktes Wimmern zu hören gewesen, Christian wäre davon ausgegangen, er hätte aufgelegt.

Hilflos starrte Christian das Telefon an. Offensichtlich war dieser Mann geisteskrank, oder litt zumindest an einer schweren Form von Paranoia. Kurzzeitig kämpfte er gegen den Impuls an, einfach aufzulegen. Er war eindeutig der denkbar schlechteste Ansprechpartner in dieser Situation, schließlich war er kein Psychiater, und mit Sicherheit fühlte er sich nicht qualifiziert, anderen Menschen die Psyche geradezubiegen. Allerdings hatte er noch nie anderen seine Hilfe verwehren können, vor allem nicht, wenn sie derart verzweifelt klangen.

„Herr Bergmann?“, fragte Christian schweren Herzens in die Leitung, obwohl er es bereits bereute, sich auf dieses Gespräch einzulassen. Ein kurzes Schniefen erklang, wie als Beweis, dass Bergmann tatsächlich noch am anderen Ende ausharrte. „Ich weiß nicht, was Sie von mir erwarten“, fuhr Christian vorsichtig fort. „Es tut mir wirklich leid. Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie müssen die falsche Nummer gewählt haben.“

„Nein, warten Sie! Sie sind doch Christian Roth, oder? Der berühmte Historiker? Derjenige, der das Buch über den Aufstieg und den Niedergang der ‚Armen Ritterschaft Christi und des salomonischen Tempels zu Jerusalem’ verfasst hat?“

Christian stutzte. Im Jargon der breiten Masse fielen grundsätzlich Begriffe wie Templer, Templerorden oder Tempelritter, selten verwendete jemand den richtigen Namen des Ordens. Vor allem, seitdem die Geschichte des Ordens in den Massenmedien finanziell ausgeschlachtet worden war. Bergmann kannte die ursprüngliche Bezeichnung des Ritterordens, was zumindest ein Indiz dafür war, dass er sein Buch tatsächlich gelesen hatte, oder er sich zumindest im Thema auskannte. Allein diese Tatsache stimmte Christian etwas milder. Es mochte ein Fehler sein, diesem Mann weiter Gehör zu schenken, aber Christian fühlte sich geschmeichelt.

Eitelkeit, dein Name ist Christian Roth.

„Ich habe kürzlich etwas erstanden, etwas Wertvolles, etwas Unschätzbares“, keuchte Bergmann in schnellen, abgehackten Worten in den Hörer, als hätte er in Christians Zögern eine Chance gewittert, ihn umstimmen zu können. „Das Artefakt selbst ist bereits eine kleine Sensation, aber seine Fundstelle macht es geradezu spektakulär. Stellen Sie sich vor; es ist wie der Heilige Gral der Archäologie!“

Sein Stimmungsumschwung im Vergleich zu den ersten paar Minuten des Telefongesprächs wirkte geradezu absurd. Innerhalb von Minuten hatte er seine Verzweiflung abgeschüttelt und wechselte zu Christians Überraschung übergangslos zu einem irritierenden Lachen. „Eine unglaubliche Entdeckung!“, hechelte er zwischen kurzen, stoßweise auftretenden Lachanfällen, die mehr an einen trockenen Husten erinnerten und vor Christians Augen das stereotypische Bild eines wahnsinnigen Wissenschaftler entstehen ließen. Weißer Laborkittel, wirres Haar, irrer Blick, verrücktes Lachen.

Der Drang aufzulegen wurde immer stärker. Doch seine Neugier siegte. Sicherlich, dieser Bergmann hatte wahrscheinlich nicht alle Tassen im Schrank, allerdings hatten seine Worte in ihm einen Nerv getroffen; einen Nerv, der ihn bereits früher in Schwierigkeiten gebracht hatte. Artefakt. Sensation.

„Was haben Sie gefunden?“, hörte er sich sagen, mit einer Stimme, die nicht nach seiner eigenen klang.

Bergmann gehecheltes Lachen verstummte schlagartig. „Nicht am Telefon“, flüsterte er. „Wir müssen uns treffen. Persönlich.“

Christian schüttelte den Kopf, bevor ihm einfiel, dass Bergmann ihn nicht sehen konnte. Energisch schob er ein „Nein“ hinterher. „Tut mir leid“, sagte er. „Sie können nicht von mir erwarten, mich zu einem persönlichen Treffen bereitzuerklären, ohne Sie oder den Grund Ihres Anrufs zu kennen. Ich fürchte, ich kann einem Treffen nicht zustimmen. Wenn Sie etwas von mir wollen, ist das jetzt Ihre Gelegenheit, es loszuwerden. Ansonsten werde ich auflegen.“

„Nein, warten Sie“, kreischte Bergmann. „Ich werde Ihnen etwas schicken, dass Ihre Meinung ändern wird.“ Ein Rascheln im Hintergrund erstickte seine Worte fast. „Bitte warten Sie“, wiederholte er nochmals flehentlich. Dann war er weg. Lediglich im schwachen Rauschen des Telefonhörers waren von Zeit zu Zeit Laute zu hören, die bewiesen, dass Bergmann nicht aufgelegt hatte, sondern mit irgendetwas geräuschvoll hantierte. Irritiert schaute Christian den Hörer an. Verrückt! Er konnte sich noch nicht einmal selbst erklären, warum er noch nicht aufgelegt hatte. Irgendetwas hinderte ihn daran, eine kleine nagende Stimme, die ihm zu verstehen gab, dass es sich lohnen könnte, diesem geistig verwirrten Mann zuzuhören.

Er nutzte die Zeit und pulte sich aus dem schweren Mantel, den er in der Eile noch nicht hatte ausziehen können. Sein Koffer stand immer noch dort, wo er ihn stehen gelassen hatte, als er überstürzt zum Telefon gehechtet war. Er ließ den Mantel achtlos über die Lehne seines Bürostuhles fallen und warf sich selbst mit einem müden Ächzen in das schwere Lederpolster des Stuhles. Der Tag war anstrengend gewesen. Die letzten drei Wochen war er kreuz und quer durchs Land gereist, hatte Seminare gegeben, unzählige Autogramme, endlos lange Sprechstunden. Erst heute war er im ersten Flieger aus Hamburg zurückgekehrt. Er war müde. Die Müdigkeit steckte tief in seinen Knochen wie eine schwere Grippe, und Christian bezweifelte, dass er noch einmal die Kraft finden würde, aus dem Bürostuhl aufzustehen. Er gähnte herzhaft, ohne die Hand vor den Mund zu halten.

Als in diesem Moment das Faxgerät mit einem lauten Surren ansprang, wäre Christian vor Schreck fast vom Stuhl gefallen. Er sprang alarmiert auf. Das Faxgerät verstummte, als ein Blatt Papier im Auswurfschacht erschien. Vorsichtig näherte sich Christian dem Gerät und dem Papier, als würde von beiden eine unsichtbare Gefahr ausgehen, die sich spürbar bedrohlich in seinem Büro wie zähflüssiger Nebel ausbreitete. Als er nach dem Papier griff, zitterte seine Hand leicht. Innerlich grinste er schwach. Es war wirklich Zeit, nach Hause zu gehen, statt sich von den Geschichten eines unbekannten, verwirrten Mannes irre machen zu lassen.

Das Papier zeigte ein Foto, naturgemäß durch das alte Faxgerät in einer schlechten Qualität und in Schwarzweiß, aber ein bestimmtes, kleines Detail des Bildes reichte, um Christians Interesse neu zu entflammen. „Was zum…?“, entwich überrascht seinen Lippen.

Mit zwei Sätzen war er wieder am Telefon. „Woher haben Sie das?“, schrie er in den Hörer. Seine Müdigkeit war wie verflogen.

„Wir müssen uns treffen“, beharrte Bergmann. „Dann kann ich Ihnen mehr darüber sagen. Halten Sie sich bereit, heute Abend um acht Uhr. In Ihrem Büro. Ich komme auf Sie zu.“

Und mit diesen Worten legte Bergmann einfach auf, als wäre damit alles gesagt.

Geistesabwesend hängte Christian den Hörer auf die Gabel. Mit großen Augen musterte er das Faxpapier, das sich noch warm vom Druck in seine Hände schmiegte. Der Gegenstand auf dem Foto war ihm nicht neu, aber in dieser Form war er ihm noch nie untergekommen. Erschöpft warf er sich zurück in den schweren Bürostuhl und seufzte gedehnt. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Bergmann hatte nicht übertrieben. Wenn dieser Gegenstand authentisch war, dann kam dieser Fund einer Sensation gleich.

Das Siegel des letzten Templers

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