Читать книгу Das Siegel des letzten Templers - Kai Kistenbrügger - Страница 15

(13) 2. April, Wolfgang Bergmanns Wohnung

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Christian stand etwas ratlos vor dem Haufen, der ehemals das große Bücherregal im Wohnzimmer geziert hatte. „Und, bereits was gefunden?“, fragte Wolff neugierig. Christian entgingen allerdings nicht der schnippische Unterton und der skeptische Blick, mit dem Wolff ihn bedachte. Christian hätte ihm am Liebsten das süffisante Lächeln zurück in den Hals gestopft. Er ließ sich allerdings nichts anmerken, sondern musterte scheinbar unberührt die traurigen Überbleibsel von Bergmanns Leben.

Das Wohnzimmer wirkte nicht sonderlich groß, auch wenn es fast über die Hälfte der Wohnung einnahm. Bis auf ein etwas durchgesessenes Sofa, zwei dazu passenden Sesseln und einer kleinen Büroecke mit Schreibtisch und Stuhl war das Bücherregal das vorherrschende Stück Mobiliar. Christian hatte fast intuitiv seine Suche in dem ehemals geordneten Stapel Bücher begonnen. Überall auf dem Boden zerstreut lag das Leben, das Wolfgang Bergmann die letzten Jahre geführt hatte. Unzählige Bücher, die sich mit dem Templerorden oder Nachfolgeorganisationen beschäftigen, hatten ein trauriges, zerfleddertes Ende auf dem grauen Teppich gefunden. Alle trugen die Zeichen intensiven Gebrauchs; Eselsohren, Flecken, geknickte Buchrücken. Ihrem Aussehen nach zu urteilen, hatten die Bücher eine zentrale Rolle in Bergmanns Leben gespielt; er musste Stunden um Stunden mit ihrer Lektüre verbracht haben. Beim Durchblättern ausgewählter Exemplare glaubte Christian, beinahe die Präsenz Bergmanns in den Seiten spüren zu können; als wäre in ihnen durch die Zeit, die er den Büchern gewidmet hatte, ein schwaches Echo seiner selbst hängen geblieben. Ein unheimliches Gefühl.

„Lassen Sie sich Zeit“, brummte Wolff beleidigt, als Christian nicht auf seine Anwesenheit oder seine Stichelleien reagierte. Ungeduldig klopfte er mit seinem Fuß gegen eines der Bücher, das vor ihm auf dem Boden lag, drehte sich danach jedoch um, um sich selbst durch Bergmanns Hinterlassenschaften zu wühlen. Auch wenn Christian es sich nicht anmerken ließ, er spürte durchaus, dass Wolff ihn lediglich provozieren wollte. Mit Erfolg. Langsam aber sicher ließ ihm Wolffs Alphamännchen-Gehabe die Zornesröte ins Gesicht steigen. „Ich war noch nie in dieser Wohnung“, rief Christian ihm gereizt hinterher, „und ich bin noch nicht einmal sicher, wonach wir suchen. Sie müssen mir schon etwas Zeit zugestehen, mich zu orientieren und mich umzuschauen.“

Das war allerdings leichter gesagt als getan. Das Chaos, das der Einbrecher hinterlassen hatte, erschwerte die Suche erheblich. Wenn es überhaupt noch etwas von Interesse zu finden gab. Die Hoffnung, einen Hinweis auf die Herkunft des Schlüssels oder auf den Verbleib des Siegels zu finden, hatte Christian bereits abgeschrieben. Wahrscheinlich würden sie sich mit weniger zufrieden geben müssen.

Er ließ seinen Blick durch den Raum streifen. Der Eindringling hatte sich Zeit gelassen. Für einen simplen Einbruch war der Einbrecher viel zu gründlich vorgegangen. So wie es aussah, hatte er systematisch alle Räume durchkämmt, Möbel verrückt, Bilder abgehängt und stellenweise sogar den Teppich in den Ecken gelöst. Hier hatte jemand nach etwas ganz bestimmten gesucht.

Zumindest klärte sich die Frage, warum Bergmann sich Christian als Ansprechpartner ausgesucht hatte. Unter dem Haufen von Büchern fanden sich auch ein, zwei Werke von ihm selbst. Sie waren von gelben Haftnotizen geradezu übersäht. Offensichtlich hatte sich Bergmann ebenso intensiv mit seinen Büchern beschäftigt wie mit allen anderen, die ausgebreitet vor Christian auf dem Boden lagen. Wolff zuckte allerdings desinteressiert mit den Schultern, als Christian ihn darauf hinwies. „Beeindruckend, ja“, murmelte er, als er hinter dem Schreibtisch in der Ecke aufblickte, dessen Schubladen er durchwühlte, „aber das ändert nichts daran, dass Sie vermutlich die letzte Person waren, die mit Wolfgang Bergmann gesprochen hat.“ Er grinste herausfordernd. Als er Wolffs Gesicht sah, fühlte Christian den unwiderstehlichen Drang in sich aufsteigen, Wolff so lange zu würgen, bis sein schäbiges Grinsen verschwunden war. Da ein Angriff auf einen Polizeibeamten seine Gesamtsituation allerdings nur bedingt verbessern würde, entschied er sich dagegen.

Stattdessen begann er zu überlegen, wo er an Bergmanns Stelle Dinge von besonderem Wert versteckt hätte. Bergmann hatte am Telefon wie ein notorischer Paranoiker geklungen. Jemand, der sich generell von aller Welt verfolgt fühlt, ist vermutlich besonders gründlich, wenn es darum geht, seine Kostbarkeiten zu verbergen. Darüber hinaus zeigte die Wohnung Anzeichen für einen sehr strukturiert denkenden Menschen. Alles im Wohnzimmer schien sich aus einem bestimmten Grund an seinem Platz zu befinden. Die kleine Büroecke, in der sich Wolff in seiner Rolle als Ermittler austobte, wirkte zwar vergleichsweise vollgestellt, aber dennoch hatte alles seinen geordneten Platz gefunden. Seine Unterlagen hatte Bergmann penibel in Ordnern abgeheftet, bis sie dem Einbrecher in die nicht gerade zimperlichen Hände gefallen waren. Kontoauszüge, Quittungen, Rechnungen, alles hatte seinen chronologisch sortierten Platz in den schwarzen Ordnern erhalten, bis sie von unbarmherziger Hand aus dem Regal gerissen und auf dem Boden verteilt worden waren.

Christian hob eines seiner Bücher vom Boden auf. Es war sein drittes Werk. Zwei Jahre intensiver Recherchen hatte er hineingesteckt, die er besser Jennifer hätte widmen sollen. Unbewusst schüttelte Christian den Kopf, um sich auf andere Gedanken zu bringen; er durfte sich nicht von seinen Emotionen ablenken lassen, wenn er in dieser verwüsteten Wohnung etwas finden wollte. Irgendetwas, das es wahrscheinlich noch nicht einmal gab.

Auch in diesem Buch hatte Bergmann beinahe auf jeder Seite in seiner kleinen, kaum lesbaren Schrift seine Anmerkungen hinterlassen. Es waren nur kurze Gedanken, die er niedergeschrieben hatte, wie „Interessanter Ansatz – Prüfen“, „Abweichung zu anderen Standardwerken – glaubwürdige Quelle?“ In dem Kapitel, in dem Christian die Auflösung des Ordens beschrieben hatte, hatte Bergmann vermerkt: „Wem konnten die Tempelritter noch trauen?“ Eine interessante Frage, die Christian sich auch oft gestellt hatte. Kurz vor ihrer Verhaftung in Frankreich waren die Ritter gewarnt worden, so dass sie ihre Habseligkeiten rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Die Frage war allerdings: Durch wen? Und wohin konnten Sie fliehen? Eine Flotte von mehreren Schiffen, bis an die Oberkante beladen, erregte sicherlich auch am Anfang des 14. Jahrhunderts Aufmerksamkeit. Aber auch Christian hatte bislang noch keine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage gefunden.

Gegen Ende des Buches häuften sich Bergmanns Vermerke. Sie gipfelten auf der letzten Seite in einer simplen Notiz, die Christian aufhorchen ließ: „Interessante Ideen. Könnte helfen“, hatte Bergmann geschrieben. Der Einbrecher hatte mit Sicherheit ebenfalls in diesem Buch geblättert, um zwischen den Seiten verborgene Schriftstücke zu finden. Wusste er inzwischen, dass Bergmann mit ihm Kontakt aufgenommen hatte? Christian fühlte eine beunruhigende Angst in sich aufsteigen. Schwebte er inzwischen in der gleichen Gefahr wie Bergmann?

Er kam jedoch nicht mehr dazu, Wolff seine Sorgen mitzuteilen. Bevor er überhaupt etwas sagen konnte, durchbrach plötzlich eine laute Stimme die geschäftige Stille, die sich bei der Suche in den Räumen ausgebreitet hatte. Vor Schreck ließ Christian das Buch fallen. Es fiel mit einem dumpfen Aufprall zurück auf den Boden. In der Tür stand eine unbekannte Person, in einen schwarzen Mantel gehüllt, mit Sonnenbrille und einem tief in das Gesicht gezogenen schwarzen Hut. Christian blickte direkt in den glänzenden Lauf einer Pistole. Mit überraschtem Blick tauchte Wolff hinter dem Schreibtisch auf. Er stand in direkter Linie zum Eindringling. „Hände hoch!“, kommandierte der Unbekannte. Seine Stimme klang merkwürdig, wie absichtlich verstellt. „Wer sind Sie? Was machen Sie hier?“

„Das gleiche könnte ich Sie fragen“, erwiderte Wolff bissig. Seine anfängliche Überraschung war seiner üblichen Arroganz gewichen. Er nickte in Richtung der Waffe: „Was soll das?“, fragte er knurrig. „Sie wissen hoffentlich, dass es strafbar ist, Polizisten zu bedrohen?“ Trotzdem streckte er vorsichtig seine offenen Handflächen nach vorne.

„Polizei?“, murmelte der Unbekannte. Christian glaubte so etwas wie Verblüffung aus seiner Stimme herauszuhören. Die Waffe begann ein wenig zu zittern, als der Fremde sie zwischen Christian und Wolff hin und her schwenkte. „Und wo ist der andere?“, kreischte er.

Die Antwort folgte auf dem Fuße. „Hier!“, polterte Glattbach hinter dem Eindringling. Bevor dieser auf die plötzliche Bedrohung reagieren konnte, hatte der Polizist den Arm mit der Waffe in einer ruckartigen Bewegung nach hinten gerissen und die Pistole aus der Hand geschlagen. Sie fiel auf den Teppich. Brutal stieß Glattbach den Schwarzgekleideten gegen die Wand, den rechten Arm schmerzhaft nach hinten gebogen. „So, Freundchen“, knurrte Glattbach, „das war keine gute Idee.“

„Lassen Sie mich los!“, quiekte der Unbekannte weinerlich. „Bitte!“ Irritiert keuchte Christian auf. Die Stimme klang auf einmal völlig anders. Vorher wirkte sie dunkel, angestrengt, jetzt erklang sie auf einmal mindestens eine Oktave höher. „Moment mal“, grummelte Glattbach erstaunt und riss den schwarzen Hut vom Kopf des Übeltäters. Langes, braunes Haar fiel dem Unbekannten auf die Schultern. Korrektur, der Unbekannten. „Eine Frau!“, keuchte er. Überrascht lockerte er seinen vormals festen, unbarmherzigen Griff.

„Mit einem Feuerzeug als Waffe“, grummelte Wolff, mit leicht verblüfftem Unterton in der Stimme. Er hielt demonstrativ die Pistole in die Luft, die dem Eindringling aus der Hand gefallen war. An der Pistolenmündung brannte eine kleine Flamme. „ Ein Spielzeug! Was hat das zu bedeuten?“

„Bitte lassen Sie mich los, Sie tun mir weh“, weinte die Frau. Wolff nickte Glattbach kurz zu, worauf dieser die Frau tatsächlich losließ. „Aber keine Sperenzchen“, grummelte er, als er sich mit finsterem Blick einen Schritt von ihr entfernte.

„Danke“, flüsterte die Frau und knetete mit schmerzverzerrtem Gesicht ihr Handgelenk, das rote Spuren von Glattbachs Umklammerung aufwies. „Wer sind Sie?“, nahm Wolff seinen Faden wieder auf und musterte die Unbekannte kritisch.

Sie sah verloren aus, als sie antwortete. Christian versuchte, sie einzuschätzen. Sie war etwa Anfang dreißig und wirkte kaum wie ein gefährlicher Einbrecher, geschweige denn wie ein Mörder. Ihre langen, braunen Haare fielen ihr sanft ins Gesicht. Sie schob etwas trotzig ihre Unterlippe nach vorne, wenn sie sprach. Eine einzelne Träne glitt sachte ihre Wange hinab. Spätestens jetzt wäre es Christian sehr schwer gefallen, sie mit einem Mord, oder mit irgendeiner anderen Gewalttat in Verbindung zu bringen. So wie sie vor den drei Männern stand, wirkte sie unglaublich verletzlich und zart.

„Katharina“, erwiderte sie leise.

Wolff schüttelte ungnädig den Kopf. „Katharina Wer?“, fragte er genervt. Christian hatte Mitleid mit der Frau. Er selbst hatte am eigenen Leib erfahren, wie unangenehm Wolff werden konnte, wenn er nicht die Antworten erhielt, nach denen er suchte. Es war nicht zu übersehen, dass sie sich zusammenreißen musste, um Wolffs starrem Blick standhalten zu können. Trotzdem reckte sie kämpferisch ihr Kinn nach vorne, als sie antwortete: „Mein Name ist Katharina Bergmann“, flüsterte sie und ergänzte beim Anblick von Christians erstauntem Blick: „Wolfgang Bergmanns Tochter.“

Das Siegel des letzten Templers

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