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(5) 1. April, Münchener Innenstadt

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So musste sich ein Beutetier fühlen, das den Jäger bereits witterte, obwohl weit und breit keine Bedrohung zu sehen war. Seine Angst war nicht rational zu erklären; es war vielmehr ein Gefühl, ein Urinstinkt, der ihn mit leiser Stimme vor einer unbekannten Gefahr warnte.

Sein Pulsschlag beschleunigte sich mit jedem Schritt, während die Angst ihm die Luft abschnürte. Er begann zu laufen. Seine Atemnot manifestierte sich schmerzhaft in der Form von Seitenstechen; seine Beine schienen sich angesichts der ungewohnten Anstrengung in Pudding zu verwandeln. Bergmann ignorierte die Protestschreie seines Körpers. Er wagte es nicht, langsamer zu werden.

Der Weg schien endlos. Erst nach einer halben Ewigkeit erreichte Bergmann das Ende der Einkaufsstraße. An der nächsten Ecke bog er rechts ab. Im Vergleich zu der belebten Fußgängermeile wirkte die vor ihm liegende Straße nahezu wie ausgestorben. Sie war nicht mehr als eine schmale Seitengasse, in die sich nur selten ein Passant verirrte und in die zwischen den langen Häuserreihen kaum ein Lichtstrahl fiel.

Sein suchender Blick fiel auf einen gelben Kasten, der sich mit seiner Farbe leuchtend vom trüben Einheitsgrau der Gebäude abhob. Ein Briefkasten. Genau das, wonach er Ausschau gehalten hatte. Er zog einen Umschlag aus seinem Anzug und ließ ihn hinter der gelben Klappe verschwinden.

Er fühlte sich etwas besser, nachdem er diese Bürde losgeworden war, aber sicher würde er sich erst fühlen, wenn er endlich seine Fahrertür zugezogen und hinter sich verriegelt hatte. Sein Auto stand nicht weit entfernt. Dreihundert Meter, und er war endlich in Sicherheit. Er zog seinen Mantel in einer nutzlosen Schutzgeste enger um den Körper und verfiel wieder in einen regelmäßigen Trab, obwohl seine Kräfte zusehends erlahmten. Seine Füße schlurften eher über den Asphalt, als dass sie liefen. Die Panik hatte sich inzwischen wie ein stählernes Korsett um sein Herz gelegt, das sich immer enger zuzog. Die Angst war es, die ihn unaufhörlich vorantrieb.

Vielleicht bildete er sich tatsächlich alles nur ein. Er war alt und sicherlich nicht mehr ganz bei der Sache. Kollegen hatten ihn bereits früher als Paranoiker beschimpft, was von der Wahrheit leider nicht sonderlich weit entfernt war.

Dieses Mal ging es allerdings über simplen Verfolgungswahn hinaus. Dieses Mal war alles anders. In der letzten Woche waren Sachen passiert, die er sich nicht erklären konnte. Beunruhigende Sachen. Seine Wohnung war zum Beispiel durchsucht worden, da war er sich sicher. Augenscheinlich hatte sich zwar alles an seinem angestammten Platz befunden, aber er hatte die ungebetene Präsenz einer anderen Person spüren können, als hätte der Eindringling einen unsichtbaren Abdruck seines Körpers in der Luft zurückgelassen. Es waren kleine Details, die ihm ins Auge gefallen waren. Stifte, die ein bisschen anders lagen, als er sie zurückgelassen hatte. Ein Papierstapel, der etwas näher zur Tischkante gerückt war. Und sein Schlüsselbund, der sich merkwürdig seifig anfühlte, als hätte jemand einen Abdruck von den einzelnen Schlüsseln gemacht.

Das hatte er sich alles nicht eingebildet. Ganz sicher nicht.

Das war allerdings nicht alles. So besorgniserregend, wie diese Entdeckung war, Todesangst hatte sie nicht ausgelöst. Im Gegensatz zu dem plötzlichen und brutalen Tod des Händlers, der ihm das Artefakt verkauft hatte. Er war in seinem Antiquitätenladen ermordet worden, die Kehle vom linken bis zum rechten Ohr durchgeschnitten, seine Habseligkeiten durchwühlt. Nur wenige Tage, nachdem sie sich getroffen hatten. Raubmord, sagte die Polizei, aber Bergmann wusste, dass der Mörder etwas anderes gesucht hatte. Etwas, das sich jetzt in seinem Besitz befand.

Er hatte keine Wahl. Er musste untertauchen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Mörder auch auf ihn aufmerksam werden würde, wer immer der Killer auch war. Und er konnte sich nicht sicher sein, ob ihn der Antiquitätenhändler nicht doch vor seinem Tod noch verraten hatte.

Inzwischen war sein Auto in Sichtweite geraten. Es war alt und schäbig, aber in diesem Moment wirkte es wie eine gewaltige Festung auf ihn, wie der sichere Schoß einer fürsorglichen Mutter. Erleichterung keimte in ihm auf und schenkte ihm die Kraft, die letzten Meter zu überstehen, ohne zusammenzubrechen.

Hektisch blickte er sich um. Weit und breit war niemand zu sehen. Der Parkplatz lag von Menschen verlassen vor ihm, lediglich ein paar Autos standen vereinzelt auf der großen Betonfläche. Er hatte außerhalb geparkt, in der Hoffnung, möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen, aber inzwischen bereute er seine Vorsicht. Diese Parkmöglichkeit war für die meisten Stadtbesucher zu weit entfernt. Es verirrte sich nur selten ein Geizhals auf diesen Abstellplatz, der die paar Euro für eines der Stadtparkhäuser sparen wollte. Das bedeutete allerdings auch, dass ihn hier draußen, weit entfernt von den belebten Straßen, niemand würde schreien hören. Dieser Gedanke zog sich wie eine Schlinge um seinen Hals und erschwerte das Atmen zusätzlich.

Bereits im Laufen fingerte Bergmann seinen Fahrzeugschlüssel aus der Tasche. Sein Auto war zu alt, um über neumodischen Schnickschnack wie eine Zentralverriegelung zu verfügen. Mit zitternder Hand versuchte er, den Schlüssel in das zerkratzte Schloss zu fummeln, aber er entglitt seinen steifen Fingern. Mit einem lauten Klirren verschwand er unter dem Fahrzeug. Leise fluchend sank Bergmann auf die Knie. Eine neue Welle von Schmerzen bahnte sich ihren Weg durch seine Beine. Er stöhnte auf.

Sein Zündschlüssel lag etwas unterhalb des Motorblocks. Er musste sich auf den Boden legen, um mit langem Arm an den lebensrettenden Türöffner heranzukommen. Sein triumphierendes Lächeln erstarb allerdings im gleichen Augenblick, wie sich seine Hand um das Kühle Metall des Schlüssels schloss. Als er sich aufrichtete, starrte er in das Gesicht eines fremden Mannes, der nur einen Meter entfernt hinter ihm stand. Zu Tode erschrocken fiel Bergmann rückwärts gegen seine Fahrertür. Das dünne Metall der Karosserie gab ihm etwas Halt, aber nur für einen kurzen Augenblick.

Der Fremde war riesig, ein Koloss mit tief liegenden, schwarzen Augen. Seine linke Schläfe wurde durch eine Wunde verunziert, die nur schlecht verheilt war und offensichtlich leicht eiterte. Angewidert wendete Bergmann seinen Blick ab. Doch was er stattdessen sah, war noch schlimmer als die leicht gelbe, verkrustete Wunde. Unter dem Saum des langen, schwarzen Mantels zeichnete sich deutlich die Kontur eines Messers ab.

Wer sind Sie?“, stammelte Bergmann entsetzt, nicht in der Lage, seinen Blick vom Messer abzuwenden.

Der Fremde ließ eine Reihe weißer Zähne blitzen. „Jemand, der Sie lange gesucht hat.“

Das Siegel des letzten Templers

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