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4.Nichtigkeitsgründe

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74Ein zentraler Grundsatz des Schuldrechts lautet: pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten). Das bedeutet, dass die Parteien eines einmal geschlossenen Vertrages diesen auch erfüllen müssen. Hiervon gibt es wenige, aber praxisrelevante, Ausnahmen, die sogenannten Nichtigkeitsgründe.

75Liegt ein Nichtigkeitsgrund vor, ist der Vertrag von Anfang an (ex tunc) unwirksam. Diese Unwirksamkeit greift unabhängig vom Willen der Vertragsparteien ein und gilt absolut, also gegenüber jedermann. Das Gesetz spricht in diesen Fällen von Nichtigkeit.

Beispiel: § 138 Abs. 1 BGB: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig“.

75aNichtigkeitsgründe unterscheiden sich daher von Gründen, die einen Vertrag, insbesondere Dauerschuldverhältnisse, erst nach einer gewissen Zeit beenden (z. B. eine Kündigung, ein Rücktritt vom Vertrag oder der Abschluss eines Aufhebungsvertrages). Diese Beendigungsgründe wirken ex nunc. Das bedeutet, sie lassen den Vertrag und die Rechte und Pflichten der Parteien für den Zeitraum der Vertragslaufzeit unberührt und haben nur Wirkung für die Zukunft.

76Die wichtigsten Nichtigkeitsgründe sind:

– die Anfechtung, § 142 BGB,

– der geheime Vorbehalt, § 116 Satz 2 BGB,

– das Scheingeschäft, § 117 BGB,

– der Mangel der Ernstlichkeit, § 118 BGB,

– die Geschäftsunfähigkeit, § 105 BGB,

– die Sittenwidrigkeit, § 138 BGB,

– der Formmangel, § 125 BGB,

– der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot, § 134 BGB.

77Liegt ein Nichtigkeitsgrund vor, ist im Normalfall der Vertrag insgesamt nichtig. Lediglich in Ausnahmefällen liegt nur eine Teilnichtigkeit vor.

Abbildung 10: Nichtigkeitsgründe


Beachten Sie:

Sind im Vertrag allgemeine Geschäftsbedingungen vereinbart, die gegen gesetzliche Regelungen verstoßen, so ist nach § 306 Abs. 1 BGB nur die betroffene Klausel unwirksam, der Rest des Vertrages bleibt davon aber unberührt und damit wirksam.

78a) Anfechtung. Nach § 142 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft nichtig, wenn es angefochten wurde. Ein Rechtsgeschäft ist anfechtbar, wenn ein Anfechtungsgrund vorliegt. Die Anfechtungsgründe sind in den §§ 119–123 BGB abschließend geregelt. Eine Nichtigkeit aufgrund einer Anfechtung setzt voraus, dass die Anfechtung innerhalb der Anfechtungsfrist (§§ 121 Abs. 1, § 124 Abs. 1 BGB) erklärt wurde (§ 143 BGB) und dass das anfechtbare Rechtsgeschäft nicht nach § 144 BGB bestätigt wurde.

Abbildung 11: Voraussetzungen der Anfechtung


79aa) Anfechtungsgründe. Eine Willenserklärung kann ausschließlich angefochten werden, wenn

– ein Inhaltsirrtum vorliegt (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB),

– ein Erklärungsirrtum vorliegt (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB),

– ein Übermittlungsirrtum vorliegt (§ 120 BGB),

– ein Eigenschaftsirrtum vorliegt (§ 119 Abs. 2 BGB) oder

– der Erklärende arglistig getäuscht oder bedroht wurde (§ 123 BGB).

80Alle anderen Irrtümer, bspw. Motivirrtümer oder interne Kalkulationsfehler berechtigen nicht zur Anfechtung. Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn sich der Erklärende unbewusst verschrieben oder vertippt hat.

Beispiel: A möchte ein Tablet für 499 € verkaufen, verschreibt sich jedoch und bietet das Tablet versehentlich für 49,90 € an.

81Wird die Erklärung richtig auf den Weg gebracht, kommt sie jedoch in Folge eines Fehlers des Übermittlungsmediums beim Erklärungsempfänger falsch an, kann ebenfalls, wegen eines sogenannten Übermittlungsirrtums nach § 120 BGB angefochten werden.

Beispiel: A bittet den B, dem C auszurichten, dass er sein Tablet für 499 € verkaufen will. Versehentlich erklärt B dem C, A wolle sein Tablet für 49,90 € verkaufen.

82Ein Inhaltsirrtum nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB liegt hingegen vor, wenn das tatsächlich Erklärte und das vom Erklärenden mit der Erklärung Gewollte unbewusst auseinanderfallen.

Beispiel: Im Weinversteigerungsbeispiel (s. Rn. 58) hat A mit dem Handheben aus Sicht des Erklärungsempfängers erklärt, er wolle den Wein zu einem bestimmten Kaufpreis erwerben. Tatsächlich wollte A nur seinen Freund begrüßen. Hier fallen Wille und Erklärung unbewusst auseinander, weshalb A den Kaufvertrag wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB anfechten kann.

83Ein Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB liegt vor, wenn der Erklärende sich über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person oder Sache irrt, die Gegenstand des jeweiligen Rechtsgeschäfts sind. Eigenschaften sind alle auf Dauer angelegten, wertbildenden Faktoren.

Beispiel: Alter eines Pkw, Echtheit eines Kunstwerks, Bebaubarkeit eines Grundstücks etc.

Beachten Sie:

Der Preis selbst ist keine Eigenschaft, denn er bildet die Summe der verkehrswesentlichen Eigenschaften einer Sache ab.

84Nach § 123 BGB kann eine Willenserklärung schließlich angefochten werden, wenn der Erklärende durch arglistige Täuschung oder Drohung zu ihrer Abgabe veranlasst worden ist. Unter einer Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines empfindlichen Übels.

Beispiel: A droht dem B ihn einzusperren, wenn dieser den Vertrag nicht unterzeichnet.

85Eine Täuschung liegt im Vorspiegeln falscher Tatsachen. Tatsachen sind im Unterschied zu Werturteilen alle Umstände, die dem Beweis zugänglich sind. Die Täuschung muss arglistig sein, das bedeutet, dass sich der Täuschende bewusst sein muss, dass falsche Tatsachen vorgespiegelt werden. Eine solche Arglist kann aber auch vorliegen, wenn der Täuschende Angaben „ins Blaue hinein“ macht, er also eine Erklärung abgibt, von der er weiß, dass sie nicht stimmen könnte.

Beispiel: Bei einem Wohnungsverkauf erklärt der Verkäufer A dem Käufer B, die Wohnung habe 80 m². Tatsächlich weiß A gar nicht, ob diese Angabe richtig ist, er macht die Angabe einfach „ins Blaue“. Stellt sich später heraus, dass die Wohnung nur 75 m² hat, kann B den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten.

86bb) Vollzug der Anfechtung. Derjenige, der eine anfechtbare Willenserklärung abgegeben hat, muss diese nicht anfechten, er kann es aber. Hierfür ist eine fristgesetzte Anfechtungserklärung erforderlich. Die Erklärung selbst muss nicht den Begriff „Anfechtung“ gebrauchen, sie muss nur gegenüber der anderen Partei erklärt werden und zum Ausdruck bringen, dass der Anfechtende sich an seiner Willenserklärung nicht mehr festhalten lassen will (§ 143 BGB).

87Die Anfechtung kann jedoch nur innerhalb einer bestimmten Frist erfolgen:

– Bei einer Anfechtung nach den §§ 119 und 120 BGB muss die Erklärung nach § 121 BGB unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat.

– Bei einer Anfechtung nach § 123 BGB muss die Anfechtung gemäß § 124 BGB innerhalb eines Jahres erfolgen. Die Frist beginnt bei der Täuschung in dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung erkannt hat, bei einer Drohung in dem Zeitpunkt, indem die Zwangslage beendet wurde. Spätestens erlischt das Anfechtungsrecht jedoch 10 Jahre nach Abgabe der Erklärung, unabhängig von dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung.

88Wird die Anfechtung fristgerecht erklärt, ist der Vertrag nach § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an (ex tunc) als nichtig anzusehen.

89Bei einer Irrtumsanfechtung nach den §§ 119, 120 BGB muss der Anfechtende nach § 122 BGB Schadenersatz zahlen. Der Schadenersatz umfasst den Schaden, den der andere dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut. Es handelt sich hierbei um das sogenannte negative Interesse, d. h. der andere ist so zu stellen, also in die Situation zu versetzen, als hätte der Anfechtende seine Willenserklärung nicht abgegeben (s. dazu auch Rn. 205).

Beispiel: A hat dem B seinen Pkw verkauft. B hat daraufhin den defekten Motor des Pkw für 500 € Instand setzen lassen. Erklärt A die Anfechtung des Kaufvertrages wegen Irrtums, kann B Ersatz dieser nutzlosen Aufwendungen nach § 122 BGB verlangen.

90b) Geheimer Vorbehalt, Scheingeschäft, Mangel der Ernstlichkeit. Nach § 116 Satz 1 BGB ist eine Willenserklärung nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Eine Ausnahme besteht nach § 116 Satz 2 BGB nur dann, wenn der Empfänger der Willenserklärung den Vorbehalt kennt. In diesem Fall ist die Willenserklärung nichtig.

91Eine nicht ernst gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, dass der Empfänger den Mangel an Ernstlichkeit erkennen kann, ist nichtig. Es handelt sich um ein sogenanntes Scherzgeschäft (§ 118 BGB).

92Nach § 117 Abs. 1 BGB ist eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, nichtig, wenn sie mit dem Einverständnis des anderen nur zum Schein abgegeben wird. Soweit durch das Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt werden soll, finden nach § 117 Abs. 2 BGB die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung.

Beispiel: A verkauft dem B ein Grundstück. A und B sind sich einig, dass der Kaufpreis für dieses Grundstück 500.000 € betragen soll. Da der Vertrag zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück gemäß § 311b Abs. 1 BGB der notariellen Beurkundung bedarf, lassen A und B den Vertrag beim Notar beurkunden. Hier geben sie jedoch – um Grunderwerbssteuer zu sparen – nur einen Kaufpreis von 300.000 € an.

In diesem Fall ist der Vertrag über den Kauf des Grundstücks zum Preis von 300.000 € gemäß § 117 Abs. 1 BGB nichtig, da sowohl A als auch B ihre Willenserklärung nur zum Schein abgegeben haben.

Der tatsächlich von A und B gewollte Vertrag des Verkaufs des Grundstücks für 500.000 € ist gemäß § 117 Abs. 2 BGB nach den gesetzlichen Vorschriften zu behandeln. Da A und B für diesen Vertrag die Formvorschrift des § 311b Abs. 1 BGB nicht eingehalten haben, ist (auch) dieser Vertrag nichtig, denn nach § 125 Satz 1 BGB führt der Formmangel zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts.

93c) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot. Nach § 134 BGB sind Rechtsgeschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, nichtig, wenn sich aus dem jeweiligen Verbotsgesetz nicht etwas anderes ergibt. Eine gesetzliche Verbotsvorschrift führt immer dann nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Vertrages, wenn das Verbot gerade den Abschluss eines solchen Vertrages verhindern will. Die Frage, wann ein solches Verbotsgesetz vorliegt, ist oft schwierig zu bestimmen. Hier hilft der Wortlaut des Gesetzes weiter.

94So regelt bspw. das Kartellverbot in § 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), dass Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die eine Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten sind (s. Rn. 812 ff.).

Beispiel: Vereinbaren zwei Unternehmen also eine Wettbewerbsbeschränkung (bspw. Mindestpreise für ein bestimmtes Produkt), so ist diese Vereinbarung nach § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB nichtig.

95Weitere Verbotsgesetze sind bspw. das Schwarzarbeitsgesetz, gesetzliche Gebührenregelungen (HOAI für Architekten, RVG für Rechtsanwälte etc.) oder die Antikorruptionsvorschriften des Strafgesetzbuchs (§§ 298 ff. StGB). Richtet sich das gesetzliche Verbot hingegen nur gegen die äußeren Umstände eines Rechtsgeschäfts und nicht gegen dessen Abschluss als solchen, so tritt keine Nichtigkeit nach § 134 BGB ein.

Beispiel: So lautet bspw. § 3 Ladenschlussgesetz, dass Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen und montags bis samstags bis 6 Uhr und ab 20 Uhr geschlossen sein müssen. Ein Verstoß gegen das Ladenschlussgesetz führt aber nicht zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 134 BGB, da nach dem Wortlaut der Norm der Abschluss eines Geschäfts außerhalb der Ladenöffnungszeiten nicht dem Inhalt nach nichtig ist.

96d) Sittenwidrigkeit. Nach § 138 Abs. 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, nichtig. Sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung, was gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Diese Beschreibung hilft allerdings auf den ersten Blick kaum weiter (wer sind die billig und gerecht Denkenden? Was ist deren Anstandsgefühl?).

Beachten Sie:

In der Klausur müssen Sie den Begriff der Sittenwidrigkeit eng verstehen. Es geht nicht darum, ein Rechtsgeschäft seinem moralischen Inhalt nach zu bewerten, sondern vielmehr darum, ob es wesentliche Werte unserer Rechtsordnung verletzt. Ein unsittliches Rechtsgeschäft ist daher nicht notwendig sittenwidrig im rechtlichen Sinn. In den meisten Fällen werden sie die Sittenwidrigkeit in der Klausur aber klar erkennen. So ist bspw. die Beauftragung eines Mörders klar erkennbar sittenwidrig. Gleiches gilt bspw. für Verträge über Menschenhandel.

97Im Wirtschaftsrecht hilft Ihnen die sogenannte Kasuistik der Rechtsprechung. Das bedeutet, dass Sie sich hier an Fällen orientieren können, die von der Rechtsprechung schon einmal entschieden wurden. Eine weitere wesentliche Hilfestellung ist die Regelung des § 138 Abs. 2 BGB. Danach sind insbesondere Rechtsgeschäfte nichtig, bei denen ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht und das auf der Ausnutzung einer Schwäche des Vertragspartners, bspw. seiner Unerfahrenheit oder einer Zwangslage, beruht (Wucher).

Beispiel:

– Bei Darlehen besteht ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, wenn der vertragliche Zinssatz den marktüblichen Effektivzinssatz um 100 % oder absolut um 12 % übersteigt. Nutzt der Kreditgeber hier die schwächere Stellung des Kreditnehmers bewusst aus oder verschließt er sich leichtfertig der Erkenntnis, dass der schwächere Teil sich nur wegen seiner Lage den Bedingungen unterwirft, so liegt ein Fall des § 138 Abs. 2 BGB vor.

– Bei Verträgen über Kreditsicherheiten (insbesondere Bürgschaften) hat die Rechtsprechung die Formel entwickelt, dass ein auffälliges Missverhältnis vorliegt, wenn das pfändbare Einkommen des Sicherungsgebers, gerechnet auf einen Zeitraum von 5 Jahren, nicht ausreichend ist, um 25 % der Hauptforderung (zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses) zu tilgen. Liegt eine derart krasse finanzielle Überforderung des Kreditnehmers vor und hat dieser eine starke emotionale Verbundenheit zum Hauptschuldner (Eltern, Kinder, Ehegatten), so kann von einer entsprechenden Zwangslage im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB ausgegangen werden.

Beispiel: A arbeitet als Bauingenieur bei der Baufirma C. Er verdient monatlich 2.200 € netto, wovon ein Betrag von 564 € pfändbar ist. Als die Firma C in finanzielle Schwierigkeiten gerät, verhandelt sie mit der Volksbank K über die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 200.000 €. Aus Angst seinen Arbeitsplatz zu verlieren, übernimmt A zugunsten der Firma C eine selbstschuldnerische Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 200.000 €. Einige Zeit später muss die Firma C Insolvenz anmelden. Die Volksbank K nimmt daraufhin den A auf Zahlung des noch offenen Darlehensbetrages von 121.000 € in Anspruch.

Lösung: Der Bürgschaftsvertrag (§ 765 BGB) ist nach § 138 Abs. 2 BGB nichtig. A war mit der Bürgschaft krass finanziell überfordert. Sein pfändbares Einkommen betrug 564 € im Monat, gerechnet auf 5 Jahre mithin 33.840 €. Dieser Betrag war nicht ausreichend, um 25 % der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden Hauptforderung zu tilgen (200.000 € x 0,25 = 50.000 €). A befand sich auch wegen des drohenden Verlustes seines Arbeitsplatzes in einer Zwangslage. Unterstellt, die Volksbank K kannte diese Umstände, hat sie die Zwangslage des A auch bewusst ausgenutzt.

98e) Formmangel. Nach § 125 Satz 1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, nichtig.

Beachten Sie:

Grundsätzlich bedürfen die meisten Rechtsgeschäfte keiner bestimmten Form. So können die meisten Verträge auch mündlich geschlossen werden. Die Frage, ob sich ein solcher Vertragsschluss beweisen lässt, ist eine rein prozessuale Frage und hat mit der Form des Rechtsgeschäfts nichts zu tun.

99Lediglich in Ausnahmefällen sieht das Gesetz die Einhaltung bestimmter Formvorschriften vor. Hiermit verfolgt der Gesetzgeber im Regelfall drei Ziele:

(1)Warnfunktion

Formvorschriften sollen die Parteien auf die Risiken des Geschäfts aufmerksam machen und sie vor übereilten Bindungen schützen, indem ihnen ihre Verpflichtungen schriftlich vor Augen geführt werden.

(2)Beweisfunktion

Ein Formzwang für bestimmte Rechtsgeschäfte kann auch eine Beweisfunktion erfüllen, mithin klarstellen, ob und mit welchem Inhalt das Geschäft zustande gekommen ist.

(3)Beratungsfunktion

Insbesondere die notarielle Beurkundung soll darüber hinaus gewährleisten, dass ein sachkundiger Dritter zur Beratung über den Inhalt und die Tragweite des Rechtsgeschäfts und für eine entsprechende Belehrung der Beteiligten zur Verfügung steht.

Beispiele für gesetzliche Formvorschriften sind:

§ 311b BGB, § 81 BGB, § 518 BGB, § 766 BGB, § 2 Abs. 1 GmbHG, § 484 BGB, § 492 BGB, § 23 AktG, …

100Im Wortlaut der jeweiligen Formvorschrift finden Sie entweder, dass

– Schriftform (§ 126 BGB),

– Textform (§ 126b BGB),

– öffentliche Beglaubigung (§ 129 BGB) oder

– notarielle Beurkundung (§ 128 BGB)

erforderlich ist.

Beispiele: Für einen Grundstückskaufvertrag ist nach § 311b BGB notarielle Beurkundung im Sinne von § 128 BGB erforderlich. Ein Verbraucherdarlehensvertrag im Sinne von § 491 Abs. 2 Satz 1 BGB muss nach § 492 Abs. 1 BGB schriftlich im Sinne von § 126 BGB abgeschlossen werden. Beim Ratenlieferungsvertrag muss der Unternehmer den Verbraucher nach § 510 Abs. 1 Satz 3 BGB über den Vertragsinhalt in Textform im Sinne des § 126b BGB informieren.

Abbildung 12: Funktion von Formvorschriften


101Schriftform bedeutet hierbei, dass die schriftlich abgefasste Urkunde vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder durch notariell beglaubigtes Handzeichen zu unterzeichnen ist (§ 126 Abs. 1 BGB). Bei einem Vertrag müssen die Vertragsparteien auf derselben Urkunde unterschreiben (§ 126 Abs. 2 BGB).

102Die Unterschrift muss den Vertragstext räumlich abschließen. Die Vertragsparteien können für alle an sich formfreien Rechtsgeschäfte zur Beweiserleichterung auch die sogenannte gewillkürte Schriftform vereinbaren (§ 127 BGB).

Beachten Sie:

Das Schriftformerfordernis ist insbesondere in folgenden Regelungen vorgesehen:

§ 368 BGB, § 492 Abs. 1 BGB, § 550 BGB, § 578 Abs. 2 BGB, § 623 BGB, § 761 BGB, § 766 BGB, § 780 BGB, § 781 BGB, § 784 BGB, § 793 BGB, § 1154 Abs. 1 BGB, § 2247 BGB.

103Erklärungen auf Telefax und E-Mail erfüllen mangels Unterschrift nicht die Voraussetzungen der Schriftform nach § 126 BGB. Es handelt sich vielmehr um Erklärungen in Textform gemäß § 126b BGB.

104Nach § 126a BGB kann die Schriftform aber durch die elektronische Form ersetzt werden, wenn der Aussteller der Erklärung seinen Namen hinzufügt und das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur gemäß dem Signaturgesetz versehen ist. Das Signaturgesetz verweist hierbei auf ein asynchrones Verschlüsselungsverfahren unter Verwendung von sogenannten Schlüsselpaaren aus öffentlichen und privaten Schlüsselteilen, das dann qualifiziert ist, wenn das Schlüsselpaar und die dazugehörige Chipkarte von einem vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifizierten Anbieter stammen.

105Wenn das Gesetz eine öffentliche Beglaubigung vorsieht, muss die Erklärung schriftlich abgefasst sein und die Unterschrift durch öffentliche Beglaubigung vor einem Notar geleistet werden (§ 129 BGB). Der Notar bestätigt mit seiner Beglaubigung, dass die Unterschrift des Ausstellers in Gegenwart des Notars zum angegebenen Zeitpunkt von dem Erklärenden vollzogen wurde. Sie bestätigt ferner, dass der im Beglaubigungsvermerk des Notars Genannte auch tatsächlich der Erklärende ist.

Beispiel: Vorschriften, die eine öffentliche Beglaubigung vorsehen, sind bspw. § 12 Abs. 1 HGB, § 29 Abs. 2 GBO.

106Die notarielle Beurkundung ist die strengste Formvorschrift. Nach § 128 BGB müssen Antrag und Annahme (gegebenenfalls auch nacheinander) von einem Notar beurkundet werden. Der Notar muss über den Vertragsinhalt eine Niederschrift aufnehmen, diese vorlesen und von den Beteiligten genehmigen lassen. Dann müssen die Beteiligten und der Notar die Erklärung eigenhändig unterschreiben. Im Rahmen der Belehrung hat der Notar als rechtskundige Person den Willen und die Ziele der Parteien zu erforschen, sie über rechtliche Gefahren und über die Rechtsfolgen des beurkundeten Geschäfts umfassend aufzuklären, sowie die getroffene Regelung eindeutig und beweiskräftig zu formulieren.

Beispiel: Formvorschriften, die eine notarielle Beurkundung vorsehen, sind bspw.: § 311b Abs. 1 BGB, § 311b Abs. 2 BGB, § 518 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 1410 BGB, § 2033 BGB, § 2232 BGB, § 2267 BGB, § 2348 BGB, § 2371 BGB, § 15 Abs. 3 GmbHG, § 23 Abs. 1 AktG, § 2 GmbHG, § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, § 130 Abs. 1 AktG.

107Nach § 311b Abs. 1 BGB bedürfen insbesondere Kaufverträge über Immobilien der notariellen Beurkundung. Diese Beurkundungspflicht gilt nicht nur für den Kaufvertrag selbst, sondern auch für alle Nebenabreden, die Bestandteil des Kaufvertrages sein sollen. Ebenso sind alle Rechtsgeschäfte formbedürftig, die den Kaufvertrag mittelbar herbeiführen sollen.

Beispiel: Der mittelbare Zwang zum Grundstückskauf durch eine Vertragsstrafe in einem Vorvertrag, eine unwiderrufliche Vollmacht oder Vollmachten an den Geschäftsgegner bedürfen bereits der notariellen Beurkundung nach § 311b Abs. 1 BGB.

Beachten Sie:

In einigen Fällen lässt das Gesetz ausdrücklich zu, dass durch den Vollzug eines an sich formnichtigen Vertrages die Heilung des Formmangels eintritt. Dies gilt allerdings nur in den Fällen, in denen das Gesetz ausdrücklich eine Heilung vorsieht.

Beispiel:

– Nach § 494 Abs. 2 BGB ist ein nicht schriftlich abgeschlossener Verbraucherdarlehensvertrag gültig, wenn das Darlehen ausgezahlt wird.

– Eine Schenkung wird mit dem Vollzug nach § 518 Abs. 2 BGB wirksam.

– Eine nicht notariell beurkundete Verpflichtung zur Abtretung eines GmbH-Anteils wird wirksam, wenn die Abtretung notariell beurkundet erfolgt (§ 15 Abs. 4 GmbHG).

108f) Geschäftsunfähigkeit. Ein Minderjähriger, der das 7. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist nach § 104 Nr. 1 BGB geschäftsunfähig.

Beachten Sie:

Das 7. Lebensjahr wird mit dem 7. Geburtstag vollendet!

109Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist nach § 105 Abs. 1 BGB nichtig. Der Geschäftsunfähige benötigt also für die Abgabe einer Willenserklärung einen gesetzlichen Vertreter. Bei Minderjährigen sind dies im Regelfall die Eltern (§ 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB).

110Nach § 106 BGB sind Minderjährige vom vollendeten 7. bis zum vollendeten 18. Lebensjahr beschränkt geschäftsfähig. Rechtsgeschäfte, die beschränkt Geschäftsfähige schließen, sind schwebend unwirksam, wenn sie nicht mit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters geschlossen werden (§ 107 BGB, die Einwilligung ist nach § 183 Satz 1 BGB die vorherige Zustimmung). § 108 Abs. 1 BGB sagt hierzu:

„Schließt der Minderjährige einen Vertrag ohne die erforderliche Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung des Vertreters ab.“

Nach § 108 Abs. 1 BGB können die gesetzlichen Vertreter dem Rechtsgeschäft also nachträglich zustimmen, d. h. dieses genehmigen (§ 184 Abs. 1 BGB). Damit wird das Rechtsgeschäft dann wirksam.

111Eine Besonderheit ergibt sich aus § 108 Abs. 2 BGB. Nachfolgendes Fallbeispiel verdeutlicht, worauf hierbei zu achten ist.

Beispiel: Der 17-jährige K kauft ohne die Einwilligung seiner Eltern beim Motorradhändler V eine Vespa und verpflichtet sich zur Zahlung des Kaufpreises von 5.000 € in 12 Monatsraten. K berichtet dies daraufhin seinen Eltern, die ihm gegenüber die Genehmigung erteilen. Eine Woche später schreibt V an die Eltern des K, sie mögen bitte die Genehmigung des Kaufes erklären. Die Eltern unternehmen hieraufhin nichts, da sie die Genehmigung ja bereits gegenüber dem K erklärt haben. Nach 4 Wochen hat K von der Vespa genug und gibt diese an V zurück. Kann er dies?

Lösung:

Da der minderjährige K (§ 106 BGB) keine Einwilligung seiner Eltern nach § 107 BGB hatte und das Geschäft nicht lediglich rechtlich vorteilhaft ist, war es zunächst schwebend unwirksam. Mit der Genehmigung der Eltern nach § 108 Abs. 1 BGB, die gemäß § 182 Abs. 1 BGB auch gegenüber dem Minderjährigen erklärt werden konnte, wurde der Vertrag dann wirksam.

Nachdem V die Eltern des K allerdings zur Genehmigung aufforderte, wurde die bereits erteilte Genehmigung nach § 108 Abs. 2 BGB unwirksam. Da die Eltern gegenüber V nicht innerhalb von zwei Wochen die Genehmigung (erneut) erklärten, gilt diese nach § 108 Abs. 2 Satz 2 BGB als verweigert. Daher besteht kein wirksamer Kaufvertrag zwischen V und K.

112Nach § 165 BGB kann ein beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger dennoch in vollem Umfang geschäftsfähig sein, wenn er als Vertreter auftritt. Von dem Grundsatz der Erforderlichkeit der Zustimmung seitens des gesetzlichen Vertreters gibt es Ausnahmen.

– Nach § 107 BGB sind Willenserklärungen, die für den beschränkt Geschäftsfähigen lediglich rechtlich vorteilhaft sind, auch ohne Zustimmung wirksam.

Beispiel: Annahme von Schenkungen.

– Beschränkt Geschäftsfähige können aber nach § 110 BGB (dem sogenannten „Taschengeldparagraf“) wirksam Rechtsgeschäfte eingehen, die sie mit Mitteln bewirken, die ihnen vom gesetzlichen Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten zur freien Verfügung überlassen worden sind. Es handelt sich hierbei um eine Art „antizipierte Einwilligung“.

– Weiterhin kann ein Minderjähriger in bestimmten Lebensbereichen voll geschäftsfähig sein. Ein solcher Lebensbereich ergibt sich aus § 112 BGB, wenn der gesetzliche Vertreter dem Minderjährigen den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts gestattet hat. Hier ist der Minderjährige jedoch nur für solche Rechtsgeschäfte voll geschäftsfähig, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Die Ermächtigung zum Betrieb eines Erwerbsgeschäfts durch den gesetzlichen Vertreter ist nur mit Genehmigung des Familiengerichts (§ 1645 BGB) oder einem Vormund des Familiengerichts möglich (§ 1823 BGB).

– Ermächtigt der gesetzliche Vertreter den Minderjährigen in ein Dienst- oder Arbeitsverhältnis zu treten, so ist der Minderjährige nach § 113 Abs. 1 BGB auch für solche Rechtsgeschäfte unbeschränkt geschäftsfähig, welche die Eingehung oder Aufhebung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses mit sich bringt.

Beachten Sie:

Dies gilt nicht für eine Berufsausbildung, da dies kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis ist.

Nach § 104 BGB ist im Übrigen neben Minderjährigen unter 7 Jahren derjenige geschäftsunfähig, der sich in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, die die freie Willensbestimmung ausschließt, sofern der Zustand seiner Natur nach nicht ein vorübergehender ist.

Abbildung 13: Zusammenfassung Willenserklärung von beschränkt geschäftsfähigen Personen


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