Читать книгу Die Macht der virtuellen Distanz - Karen Sobel Lojeski - Страница 36

Fallbeispiel

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Vor einiger Zeit hielt Greta Thunberg, eine mutige und pragmatische Teenagerin, vor den Vereinten Nationen eine Brandrede über die Gefahr einer nahenden Klimakatastrophe. Sie wies darauf hin, dass technologische Lösungen, »die kaum vorhanden sind«, ihre Generation nicht vor der möglicherweise lebensbeendenden Zerstörung durch Unwetter und Umweltverschmutzung bewahren können. Als Aktivistin und Stimme ihrer Generation forderte sie stattdessen Lösungen, die menschenbasiert, einfallsreich und unverzüglich umsetzbar sind, um die tickende Uhr aufzuhalten, mit der das CO2‐Budget schwindet.

Einer der erstaunlichsten Aspekte ist, dass sie aus der nächsten Generation stammt, den Jüngsten unter uns. Ihre Fokussierung auf die menschliche Kreativität, um ein politisches Rahmenwerk zu entwickeln, hat nichts mit technologischen Lösungen zu tun, zum Teil, weil sie noch nicht existieren, vor allem aber, weil es wichtiger und dringlicher ist, das menschliche Verhalten anzupassen.

Fazit: Millennials wünschen sich ähnliche Dinge vom Leben wie alle anderen Generationen: einen guten Job, ein erfülltes Sozialleben, finanzielle Sicherheit und Gründe für den Glauben an eine vielversprechende Zukunft. Angesichts der katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels gehört auch das Bedürfnis dazu, Mittel und Wege zu finden, die dazu beitragen, das Überleben der Menschheit zu sichern – ein Thema, das die Grenzen des Buches sprengen würde, aber den innersten Kern des »Wann« ihrer Lebenszeit beeinflusst. Wirtschaftsführer müssen sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Jugend eine Zukunft ins Auge fasst, die ein Auslöschen ihrer Nachkommen, wenn nicht gar ihrer eigenen Generation, mit sich bringen könnte.

Leider wird die HOME‐basierte Sicht auf »das Wann« unserer Lebenszeit, die nicht die Unterschiede, sondern die Ähnlichkeiten zwischen uns Menschen betont, von älteren Generationen oft vernachlässigt, weil ihnen beim Gedanken an die Jugend als Erstes die Fixierung auf ihre elektronischen Geräte in den Sinn kommt. Es gibt, wie bereits erwähnt, triftige Gründe, sich Sorgen über die soziale Isolation zu machen. Aber Führungskräfte, die einen genaueren Blick auf den Menschen werfen, der sich hinter den leuchtenden Bildschirmen verbirgt, erkennen, dass die Generation Y in besonders hohem Maß unter den Folgen der virtuellen Arbeit leidet, beispielsweise unter Depressionen, Ängsten und Unzufriedenheit mit ihrem Leben, auch ohne die oben beschriebenen fatalen Konsequenzen einzubeziehen.

Unsere Daten zeigen auch, dass Millennials größere Probleme mit »Fremdgruppen« haben, weil sich ihre Teams überwiegend aus Mitgliedern mit völlig unterschiedlicher Vorgeschichte zusammensetzen. In einer Arbeitswelt, in der zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit vier, wenn nicht sogar fünf Generation gleichzeitig zusammenarbeiten, ist das Gefühl von Zugehörigkeit bei den Millennials besonders schwach.

Die zugehörigkeitsbezogene virtuelle Distanz erzeugt insgesamt gesehen ein ausgeprägtes Siloverhalten. Doch wir haben festgestellt, dass dieses mangelnde Gefühl der Verbundenheit bei den Millennials auch andere Ursachen hat. Ein Beispiel ist die Gestaltung des Onboarding‐Prozesses. In vielen Unternehmen gibt es noch formale Eingliederungsprogramme, doch oft fehlt dabei die Fokussierung auf den Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen, sodass den frischgebackenen jungen Mitarbeitern Aufgaben zugewiesen werden, die vor allem darauf ausgerichtet sind, ihr technologisches Können zu nutzen. Bei dieser Vorgehensweise lässt man sich die potenziellen Vorteile entgehen, die zutage treten könnten, wenn man sie »ganzheitlich« in das Unternehmen integrieren würde. Unternehmen, die robustere Onboarding‐Prozesse eingeführt haben, sind eher imstande, Teams zu bilden, bei denen auch Neuzugänge in der Gruppe Gemeinschaftsgefühl entwickeln.

Das Modell der virtuellen Distanz deckt noch ein weiteres Problem auf: Die Generation Y macht übermäßig Gebrauch von einem einzigen Kommunikationsmodus, im Gegensatz zu einer vielfältigeren Mischung aus Telefonaten und anderen »Live«‐Kontaktmöglichkeiten. Das überrascht nicht. Doch in Verbindung mit dem Gefühl, Außenseiter zu sein, die nur wenige Erfahrungen mit anderen Generationen teilen, und den schwerwiegenden Defiziten, die mit der Affinitätsdistanz einhergehen, kann die Funktionsfähigkeit der Teams noch stärker beeinträchtigt werden.

Das äußert sich beispielweise auch im Fehlen gemeinsamer sozialer Aktivitäten im Kollegenkreis, verglichen mit anderen Generationen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Millennials den Mitgliedern ihrer Teams mit mehr Misstrauen begegnen als jede andere Generation. Und Vertrauen hat grundlegende Auswirkungen auf alle anderen Einflussfaktoren.

In Abbildung E.7 sind die signifikanten Unterschiede zwischen den Generationen bei einer Reihe von Schlüsselindikatoren für die Leistung dargestellt.

Die Millennials hatten erheblich weniger Vertrauen als alle anderen Generationen. Diese Forschungsergebnisse sollten Arbeitgebern Anlass zur Sorge geben, denn mangelndes Vertrauen oder oft sogar ausgesprochenes Misstrauen verringert das altruistische Verhalten am Arbeitsplatz und das Mitarbeiterengagement.

Wie wir im 4. Kapitel sehen werden, hat unkontrollierte virtuelle Distanz erhebliche Auswirkungen auf das Vertrauen und führt zu hochproblematischen Einflüssen auf nahezu alle Verhaltensweisen, was sich schlussendlich in einem Abfall des Leistungsniveaus und des Wohlbefindens der Mitarbeiter niederschlägt. Die Tatsache, dass sich Millennials auf der persönlichen und beruflichen Ebene isolierter fühlen, sollte der Unternehmensführung signalisieren, dass Initiativen den Vorrang erhalten müssen, die Ursache‐Wirkung‐Beziehungen rund um dieses höchst wichtige Thema aufdecken. Ähnliche Vertrauensmuster der Millennials lassen sich auch in den Kategorien OCB und Mitarbeiterengagement erkennen.

Die gute Nachricht lautet: Die Verringerung der virtuellen Distanz verändert diese kausalen Beziehungen und das Vertrauensmuster der Millennials, wenn die Teams enger »zusammenrücken«.

Und was könnte nachhaltiger motivieren als unsere Ergebnisse bezüglich des Lernverhaltens? Millennials sind diejenigen, die sich am intensivsten in Organisationale Lernprozesse einbringen. Das mag man in Anbetracht unserer bisherigen Aussagen nicht vermuten. Doch trotz aller anderen Indikatoren sind sie bestrebt, ihren Horizont zu erweitern. Sie sind hochgradig motiviert, sich neue Fähigkeiten und Fertigkeiten anzueignen, Lektionen aus Teambesprechungen abzuleiten und sie auf andere Aufgaben ihres Teams zu übertragen. Das ist einer der Hauptgründe, warum Millennials auch dann zahlreiche fähigkeitsbasierte Kompetenzen entwickeln können, wenn sie sich auf der sozialen Ebene nicht nahestehen. Doch da sie häufiger abgeschottet arbeiten, sind sie eher geneigt, den Arbeitgeber zu wechseln. Im Zeitalter der digitalen Transformation konzentrieren sich Unternehmen daher stärker als jemals zuvor darauf, das langfristig erworbene institutionelle Wissen zu binden und in einen klaren Wettbewerbsvorteil zu verwandeln. Und in dieser Hinsicht stellen die Millennials die wichtigste Ressource dar.


Abb. E.7: Benchmark‐Daten der virtuellen Distanz und Unternehmensergebnisse im Generationenvergleich

Unternehmen, die auf ein robustes Kommunikationstraining, eine strukturierte Führungskräfteentwicklung sowie Arbeitsaufgaben achten, die Millennials eine aktive Rolle beim Teilen ihrer hart erarbeiteten Kenntnisse zuweisen, werden im Wettbewerb die Nase vorne haben.

Die Macht der virtuellen Distanz

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