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Kapitel 10
ОглавлениеArian sehnte den Tag herbei, an dem er Silkarnon verlassen konnte. Zwei Sonnenaufgänge waren eine lange Zeit, wenn man ständig von den Erinnerungen an eine schmerzliche Vergangenheit eingeholt wurde.
Auf Silkarnon hatte er für kurze Zeit mit Ivendura gelebt, eine der beiden Frauen, die ihn ins Verderben gestürzt hatten. Das schöne, strahlende Mädchen, das sich ihm stolz und unbeugsam genähert hatte. Eine der wenigen, die sich nicht vor seinem Blick fürchtete, von dem man sagte, er könne töten. Er wäre nie imstande gewesen, einem Lebewesen etwas zu leide zu tun, aber die furchtbaren Geschichten, die man sich über die Wächter des Lichts erzählte, hatten sich bereits tief in das Bewusstsein der Menschen eingebrannt. Ivendura scherte sich nicht darum. Sie wagte, ihn anzusehen, ihr Lachen erfüllte sein einsames Herz mit einer nie gekannten Freude. Ihre Berührungen, ihre Hingabe … Sie hatte ihn dazu gebracht, Unverzeihliches zu tun …
Er stoppte seine Gedanken, schüttelte unwillig den Kopf und wartete, bis die Welle des hilflosen Zorns verebbte, die ihn immer überfiel, wenn er an sie dachte. Ivendura, die Zügellose, die Verräterin.
Er schloss die Augen und hielt sein Gesicht in die Sonne. Er war müde. Die Wärme, die laue, vom Blütenduft geschwängerte Luft Ladarnons machten ihm besonders in den Nächten zu schaffen. Er war nicht mehr daran gewöhnt, liebte das kühle, reine Klima Sardaryons. Der Geruch der Wälder fehlte ihm. Er lächelte leicht. Solche Anwandlungen passten eher zu einem alten Tattergreis, der sich nicht mehr einfügen konnte!
Jetzt hatte er sich auf seinen Lieblingsplatz zurückgezogen. Der Pavillon in der Mitte des Teichs, der im Park der Burg angelegt worden war, bot den Vorzug, ungestört sein zu können. Die Wände, mit filigranen, durchbrochenen Schnitzereien verziert, schirmten ihn vor neugierigen Blicken ab und boten gleichzeitig die Möglichkeit, die Umgebung zu beobachten. Das Gebäude war zum Teich hin offen, sodass er eine schöne Aussicht über die Wasserfläche auf die dahinterliegende Ebene hatte. Das Gelände fiel leicht ab, wurde durch eine Mauer begrenzt.
Sein Blick verlor sich in der grünen Ferne. Einen Teil seiner Müdigkeit hatte er natürlich auch den ausgiebigen Ausflügen mit Sylhyan zu verdanken. Er verbrachte viel Zeit mit seinem Aylfar, was beide durchaus genossen. Er wollte Ifan nicht im Weg sein, der sich um seine eigenen Anliegen und um die Abreise kümmern musste.
Arian hatte die Provinz Ladarnon überflogen und festgestellt, dass Ifans Reich blühte und gedieh. Die Auswirkungen der schrecklichen Kriege waren so gut wie getilgt worden. Nur ab und zu erspähte er die Überreste einer Burg, die von der Armee der Schwarzen überrannt und vernichtet worden war. Die Felder versprachen reiche Ernte, die Ansiedlungen hatten sich seit seinem letzten Besuch in Silkarnon vergrößert. Drei Sonnenumläufe war es her, dass er fortgegangen war, mit Groll und Schmerz im Herzen, mit dem Gefühl, als hätte alles sich gegen ihn verschworen. Nun, das hatte sich nicht geändert. Seine selbst erwählte Einsamkeit hatte ihn zu keinem besseren Wesen gemacht und die finsteren Erinnerungen quälten ihn noch immer. Unwillkürlich fuhr seine Hand wieder zu seiner Brust. Die Kälte hatte sich zurückgezogen, aber er spürte sie immer noch tief in ihm. Es gab keinen Ausweg. Er würde seiner Todfeindin noch einmal gegenübertreten müssen, um alles endgültig zu beenden. Aber wie sollte er das tun? Er war allein viel zu schwach dazu.
Die Aufzeichnungen, die sein Vater hinterlassen hatte, sprachen von einem Retter aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt, der gemeinsam mit ihm die Schwarze besiegen würde. Aber mittlerweile hielt er diese Visionen für Schwachsinn, für das Wunschdenken eines verwirrten Geistes. Sein Vater hatte sich womöglich für ein Luftschloss geopfert und er, Arian, war nun der Letzte, der das verhängnisvolle Erbe trug. Wächter des Lichts zu sein, als Einziger über diese Gabe zu verfügen, die so viel Unheil über das Reich der Sardars gebracht hatte.
Tränen sickerten unter seinen geschlossenen Lidern hervor. Er machte sich nicht die Mühe, sie abzuwischen, ließ sie über seine Wangen laufen.
Er musste eingeschlafen sein, denn als ihn ein sanfter Luftzug weckte, stand die Sonne schon tief.
Es war Zeit, sich umzukleiden und zum Abendessen zu erscheinen.
Wenig später betrat er den Salon und fand Edrina d’Ordana darin vor. Sie stand vor der gedeckten Tafel und inspizierte die Gedecke. Trotz ihrer Jugend schien sie eine gute Ausbildung darin erhalten zu haben, eine vollendete Gastgeberin zu sein. Sie zuckte bei seinem Anblick erschrocken zusammen, senkte den Kopf und wagte nicht mehr, sich zu bewegen.
Arian spürte ihre Angst wie eine heiße, alles verschlingende Welle. Er schluckte, versuchte ein Lächeln. „Ich wünsche einen guten Abend und hoffe, Ihr seid wohlauf“, sagte er behutsam.
Sie stand noch immer da wie gelähmt. Dann räusperte sie sich. „Ich … ich danke Euch, Euer Hochwohlgeboren“, flüsterte sie. Arian nahm ihren Herzschlag wahr, der an ihrem zarten Hals pulsierte. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen. Sie sah aus wie ein Vogel, der aus dem Nest gefallen war.
Vage Gedanken drifteten auf ihn zu. Ungeheuer! Vorsicht! Oh Heldon, verschone mich! Bitte, bitte!
Er zuckte zusammen. „Ich werde Euch nichts zuleide tun. Ich möchte Euch helfen.“
Arian streckte vorsichtig seine Hand aus. Sie wich zurück, den Blick noch immer auf den Boden gerichtet.
Nein! Geht weg! Lasst mich …
Eine Mischung aus Angst, Ekel und Entsetzen breitete sich in ihm aus, als er noch einmal ihre Gedanken aufnahm. Ein nackter Mann, eine Frau, Schreie, Schmerzen.
Er zuckte zusammen. Die kalte Stelle in seinem Herzen begann zu pochen. Er fasste an seine Brust, stöhnte auf. Jetzt wusste er, was mit ihr geschehen war.
Sie stieß einen spitzen Schrei aus, wandte sich ab und flüchtete aus dem Raum.
Traurig sah er ihr nach. Er konnte ihr nicht helfen. Vielleicht schaffte es Ifan mit Geduld und Güte, ihre Angst und die Erinnerung an die Gräuel, die sie erlebt hatte, zu vertreiben.