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Fehler

Euch nach eurer geringsten Tat zu messen, heißt,

die Kraft des Ozeans nach der Zartheit seines Schaums zu berechnen.

Euch nach euren Misserfolgen zu beurteilen, heißt,

den Jahreszeiten ihre Unbeständigkeit vorzuwerfen.

Ja, ihr seid wie der Ozean,

und obwohl fest verankerte Schiffe an euren Küsten die Flut erwarten,

könnt ihr wie der Ozean doch nicht die Flut schneller herbeiführen.

Und auch wie die Jahreszeiten seid ihr,

und obwohl ihr in eurem Winter euren Frühling leugnet,

ruht doch der Frühling in euch

und lächelt in seiner Benommenheit

und ist nicht gekränkt.31

Khalil Gibran

Fehler sind unvermeidlich, Gott sei Dank. Zunehmend spricht man von einer neuen Fehlerkultur und dem Recht darauf Fehler zu machen. Das ist eine erfreuliche Entwicklung. Denn das Recht Fehler zu machen, ist im Grunde ein Menschenrecht. Von allen Naturwesen kann es sich nur der Mensch leisten Fehler zu machen – und das sein Leben lang.

Die Tiere sind uns in Sachen Perfektion haushoch überlegen, sie verfügen von Natur aus über ausgezeichnete Instinkte, sie wissen von klein auf, was sie zu tun haben, um zu überleben und sich bestmöglich zu entwickeln. Und sie müssen in rasend schnellem Tempo erwachsen werden, verglichen mit den Menschenkindern, die bis in ihre Dreißiger oft noch Zuhause wohnen bleiben und sich versorgen lassen. Wer möchte es ihnen in jungen Jahren nicht manchmal gleichtun und schneller groß werden! Das Privileg, Fehler zu machen, zeichnet uns Menschen zwar aus, wird von uns aber oft nicht als solches erlebt. Denn Fehler sind ungeliebte Entwicklungshelfer, weil sie unser Ego nicht füttern. Sie geben uns aber ausgezeichnete Gelegenheiten, über uns selbst hinauszuwachsen, indem sie uns an Grenzen stoßen lassen, uns diese so bewusst machen und uns herausfordern sie zu überwinden.

Dennoch ist unser ganzes Schulsystem darauf ausgelegt, Fehler zu vermeiden, anstatt sie willkommen zu heißen.

Wäre es nicht wunderbar, wenn in den Schulen Fehler gefeiert würden als das, was sie sind: als Helfer zum Erfolg?

Wenn diejenigen, die sie machen, dafür gelobt würden, dass sie für alle Gelegenheiten erschaffen zu lernen und dadurch weiterzukommen?

Wenn man zugleich bedenkt, dass Lernen am besten in einer freudevollen, entspannten, hingegebenen Situation gelingt, ist diese Haltung die einzig sinnvolle, denn sie öffnet die Türen für Entwicklung. Obwohl wir in unserer heutigen Zeit wollen, ja fordern, dass unsere Kinder sich entwickeln, sich besser entwickeln als bisher im Vergleich mit anderen, schlagen wir ihnen die Türen zu den Räumen zu, in denen diese Entwicklung mit Leichtigkeit stattfinden würde. Wir trichtern unseren Kindern die Haltung ein, dass Fehler unbedingt zu vermeiden sind, indem wir sie dafür bestrafen. Das geht oft schon vor der Schule im Kindergarten los.

Das Vermeiden von Fehlern hat die entwicklungsfeindliche Nebenwirkung, dass man sich immer weniger traut, sich immer weniger spontan einbringt, dass man den Fluss unterbricht, wieder und immer wieder. Und genau das ist der größte Fehler. Anstatt zu lernen, Fehler für die Selbstoptimierung zu nutzen, perfektionieren wir uns darin Fehler zu vermeiden, sie zu vertuschen, die Verantwortung dafür von uns zu schieben, kurz: Wir sind blind für das Potenzial, das in jedem (unserer) Fehler steckt.

Dieses Thema betrifft nicht nur Lehrer, die mit den Fehlern ihrer Schüler umgehen müssen – und anders umgehen sollten als bisher in unserem Schulsystem – es betrifft uns alle. Eben weil wir dieses Schulsystem durchlaufen haben und in dieser Gesellschaft groß geworden sind, die Fehler geringschätzt, neigen wir alle dazu, Fehler bei anderen anzuprangern, mit dem Finger darauf zu zeigen, die Betreffenden dafür zu verurteilen.

Fehler können aber so viel mehr sein als etwas, das man vermeiden sollte. Indem sie ein Umdenken bewirken, verwandeln sie sich in eine Morgendämmerung neuer Erkenntnisse über uns selbst, unsere Erfahrungen, unser Leben. Dankbar für das, was aus dem einstigen Fehler erwachsen ist, richten wir den Blick nach vorn und starten neu durch.

Worte der Besinnung:

Fehler sind Meilensteine der Entwicklung.

Leuchtspuren

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