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Kapitel 11

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Mittlerweile glaube ich ja, dass mein Vater der wichtigste Mann in meinem Leben ist. Er ist mein Kompass. Auf ihn ist immer Verlass und er ist immer richtig eingestellt. Er hat mir stets aufs Neue gezeigt, was Bescheidenheit, Nächstenliebe, Verzeihen und Großzügigkeit bedeuten. Denn für ihn sind das nicht bloß Begrifflichkeiten, sondern gelebtes Leben.

Er ist außerdem ein sehr gläubiger Mensch. Vielleicht bedingt ja auch eins das andere. Vielleicht ist er ein so liebenswerter, großzügiger Mensch, weil er so gläubig ist. Wir wurden jedenfalls Sonntag für Sonntag wie die Schäfchen in die Kirche getrieben.

Da saß ich dann in der harten, kalten, unbequemen Holzbank, eingeschüchtert von der donnernden Stimme des Pastors, der über zwei Meter lang war, weit über die Kanzel ragte und jedes Mal vornüber zu kippen drohte, wenn er uns mal wieder in großer Geste die Bedrohlichkeit des Jenseits für alle Sünder predigte. Eingeschüchtert war ich aber auch, von all den Heiligen, die auf den Gemälden und Fresken an den Wänden und der Decke der alten Kirche abgebildet waren und nie auch nur ein bisschen fröhlich oder lebensfreudig wirkten. Viel Blut war überall, tiefes Leid und Höllenqualen. Von Jesus Leidensweg mal ganz abgesehen. Alles schien ein einziges tiefes Jammertal zu sein.

Manchmal erlaubte ich mir daher einen Ausflug in positivere weltliche Gefilde. Zumindest im Geiste.

Es gab zwei Lichtgestalten, die zu unterschiedlichen anderen Kirchgängerfamilien gehörten. Die eine war ein Er und sah aus, wie ein griechischer Gott. Ich hätte mich stundenlang in sein klassisches olivfarbenes Gesicht versenken können, vor allem in sein markantes Profil, das ich manchmal erhaschte, wenn er sich zur Seite wendete, seinen Eltern oder seinem Bruder zu.

Die andere Lichtgestalt, war die engelsgleiche blonde Tochter einer sehr adeligen Familie. Durchscheinend schön. Sie wirkte wie aus anderen Sphären und war es auch. Schließlich war ihr Großvater einer der Hitler-Attentäter gewesen. Und erhob diese Tatsache nicht sie und ihre Familie über uns andere?

An diesen beiden Erscheinungen jedenfalls hielt ich mich fest, so gut es ging, um nicht von den Drohgebärden des Pastors und seinen Höllenversprechen ins diesseitige Fegefeuer heruntergezogen zu werden. Das Leben durfte einfach nicht nur schrecklich sein. Das wollte ich nicht glauben.

Ich habe meinem Vater zu Liebe auch wirklich versucht, mich in der katholischen Welt zurechtzufinden. Meine Schwester Claudia und ich wollten sogar Messdienerinnen werden. Meine Schwester mehr als ich. Aber ich hoffte, wenn ich einfach die Perspektive wechseln würde, wäre der Sonntagsgottesdienst erträglicher. Ich hätte eine Aufgabe gehabt und wäre den ganzen Heiligen nicht mehr so schutzlos ausgeliefert gewesen. Außerdem müsste ich den Pastor nicht mehr von vorne über die Kanzel wettern sehen, sondern häufig nur seinen Rücken.

Aber was war das für ein weiter Weg! Erst mal wurden wir im sozialen Miteinander auf Eignung getestet. Einmal in der Woche trafen sich alle Anwärter und auch schon die zu Messdienern gekürten Mädchen und Jungen zum Spielen in einer Jugendgruppe im Pfarrheim. Ich erinnere mich an einen künstlich beleuchteten, fensterlosen, muffig riechenden Raum, in dem wir Mensch-ärgere-Dich-nicht oder Karten, aber auch Tauziehen spielten und in dem man nie wusste, ob gerade die Sonne schien oder es wie aus Eimern schüttete.

Aber darum ging es den Jugendgruppenleitern auch gar nicht. Sie wollten sehen, ob wir Teamplayer waren. Und ich war kein Teamplayer. Das erkannte ich ziemlich bald. Leider lange bevor ich auch nur in die Nähe des Messdiener-Trainings gekommen wäre.

Claudia zog es dagegen durch, so wie sie alles durchzog. Manchmal auch einfach des Durchziehens wegen. Ich dagegen erwartete immer das bestmögliche Ergebnis für minimalen Einsatz. Beides vermutlich nicht die besten Wege. Aber wir waren Kinder.

Es war ein bestimmter Nachmittag der meinen Weg zum Messdienerin-sein beendete. Der von mir angeschwärmte Junge mit dem markanten Profil war im Pfarrheim und spielte mit einer Gruppe anderer Kinder Mau Mau. Heute spielen Kinder Uno, wir haben Mau Mau gespielt. Klar, dass ich unbedingt mitmachen wollte. An einem Tisch sitzen mit diesem Jungen? Ein Traum, der in diesem Moment zum Greifen nahe war. Und Wirklichkeit wurde, als ich ihm gegenüber Platz nahm. Allerdings war ich so in den Anblick des Jungen vertieft, dass ich nicht merkte, dass auch andere Mädchen für ihn schwärmten. Natürlich.

Das Mau Mau-Spiel wurde, nachdem ich mich dazugesellt hatte, willkürlich umgemünzt zu Folter-Mau-Mau oder Fingerkloppe. Wer als letzter die Karten ablegt, bekommt mit dem Kartenstapel Schläge auf die Hand. Leider war ich nicht wirklich bei der Sache, sondern mit meinem Blick und meinen Gedanken immer bei dem Jungen.

Das Mädchen, das die Schläge verabreichte, war schon an sich derb. Sie hatte einen harten Ausdruck im Gesicht und benutzte Ausdrücke, die ich bis dahin noch nie gehört hatte. Unsere Mutter wollte nicht einmal, dass wir „Quatsch“ sagten oder „Was?“ fragten, statt „Wie bitte“.

Während dieses derbe Mädchen die anderen Verträumten – außer mir waren das nur zwei andere, und nur jeweils einmal – wie angekündigt auf den Handrücken schlug, änderte sie die Strafe für mich speziell noch einmal ab.

Im Nachhinein dachte ich, dass sie mich besonders hasste, weil der Junge häufig meinen Blick erwiderte und mir sogar zulächelte, während er sie gar nicht beachtete.

Sie schlug nicht auf meinen Handrücken. Sie schabte mit den Kartenenden darüber. Ich schluckte den Schmerz und die Schmach herunter, obwohl meine Haut schon nach dem ersten Mal aufgekratzt war. Der Junge versuchte das Mädchen sofort zu bremsen, genauso erschrocken, wie ich über ihre Aggressivität. Doch das schien das Mädchen nur noch rabiater zu machen.

Ich konnte aber auch nicht aufhören oder gar gehen. Ich wollte in seiner Nähe sein. Und wenn das der Preis war, dann musste ich ihn eben zahlen.

Ich versuchte, mich besser zu konzentrieren. Doch es gelang mir einfach nicht.

Nach dem dritten Mal war mein Handrücken eine einzige blutende Wunde. Noch heute spüre ich den Schmerz. Ich fühlte mich gedemütigt und gleichzeitig durch die Freundlichkeit des Jungen geadelt. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass in meinem Leben Liebe ein Synonym für Schmerz sein würde.

Damals war ja auch alles noch ganz einfach. Als ich abends nach Hause kam, versorgte mein Vater meine Hand mit Jod und einem Verband und alles war wieder gut. Zumindest für mich. Während mein Vater mich verarztete, schüttelte er immer wieder entgeistert den Kopf.

„Das hat ein Mädchen aus dem Pfarrheim getan?“

Er konnte es nicht fassen. Obwohl er wie der Pastor und als guter Katholik davon überzeugt war, dass das Leben hart und unerbittlich war. Aber dass Kinder so bösartig andere verletzten, war nicht vereinbar mit seiner Vorstellung von tätiger Nächstenliebe.

Ich bin danach nie wieder ins Pfarrheim gegangen. Claudia wurde alleine Messdienerin.

Die Putzfrauen meiner Mutter

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