Читать книгу Die Putzfrauen meiner Mutter - Katja Pelzer - Страница 4

Kapitel 2

Оглавление

Apropos England: Mein Mann ist also Engländer und heißt sehr englisch George. Die Nächte verbringt er eher mit den Sternen als mit mir. Er ist zwar eigentlich Augenarzt, aber vom Herzen her ist er Astronom beziehungsweise seit Neustem Hobby-Exosoziologe. Das ist der jüngste Trend auf dem Gebiet. Exosoziologen beschäftigen sich mit allem, was im Universum – jenseits unseres blauen Planeten – existiert und passiert und was das mit uns – also den Menschen – macht. Das ist interessant, finde ich, aber folgen möchte ich George in diese Sphären nicht. Ich will nämlich gar nicht wissen, was das mit mir macht. Wirklich nicht. Es ist mir unheimlich, mir vorzustellen, da würde ein Paralleluniversum in Form einer zweiten Erde existieren. Bevölkert von menschenähnlichen Wesen mit eigener Weltanschauung und Politik, eigenen Schicksalen, in einem eigenen Mikrokosmos.

„Ja eben“, sagt George dazu. „Genau damit beschäftigt sich ja die Exosoziologie. Mit genau diesen Ängsten. Siehst du, das macht selbst mit dir was!“

„Wie meinst du das – selbst mit dir was?“, frage ich. Vielleicht klinge ich ein wenig gereizt.

„Na ja, selbst so nüchterne Naturelle wie du, wühlt dieses Phänomen auf.“

„Ich bin doch kein nüchternes Naturell“, widerspreche ich nüchtern.

„Doch bist du“, widerspricht mir George. „Aber das ist okay. Und das bedeutet, dass es mit emotionaleren Menschen erst recht etwas macht. Das Phänomen, meine ich. Und um das zu erforschen, was eben dieses Phänomen mit den Menschen macht, dazu dient die Exosoziologie.“

„Aha“, sage ich skeptisch. Und denke mir – noch eine weitere Spinnerei macht jetzt auch nichts mehr.

George spricht mir von Kometen und Meteoritenschauern. Vom Asteroiden-Hauptgürtel zwischen Mars und Jupiter.

Dem Radianten der Perseiden und den Aurigiden, von Leoniden und Geminiden. Ich schaue ihn bei diesen Vorträgen andächtig an. Ich sehe die Haare, die ihm aus der Nase wachsen und frage mich, ob ich ihn bitten darf, sie sich zu zupfen, ohne, dass er es übergriffig findet. Auch aus den Ohren wachsen ihm Härchen. Auf der Brust dafür gar keine, was natürlich okay ist. Ich komme ohne Haare auf der Brust klar. Aber ich möchte als Ausgleich nicht von denen in seiner Nase gekitzelt werden, wenn er mich mal küsst. Was nicht mehr oft passiert. Eigentlich kaum noch. Fast nie. Na ja, wir sind ja auch immerhin schon dreiundzwanzig Jahre verheiratet.

Weil ich mir aber über all’ diese Sachen Gedanken mache, weiß ich nie, was er mir von den Sternen erzählt. Ich kenne mich also überhaupt nicht aus. Denn die Sterne sind ja zwar sehr schön, spielen aber in meinem Leben nicht einmal in Form von Astrologie eine Rolle. Ich glaube nicht an das Schicksal. Jetzt sind wir hier. Morgen vielleicht schon nicht mehr. Wir sind für unser Schicksal ganz allein verantwortlich. Sterne sehen wirklich toll aus, wenn man sie in der Stadt auch kaum je sieht. Dafür auf dem Land umso deutlicher. Aber am Ende mache ich mir da nichts vor. Sie können mir im Alltag nicht helfen. Den muss ich schon ganz alleine wuppen. Noch dazu ohne Putzhilfe. Ja, ich weiß, das habe ich selbst zu verantworten. Die Sterne jedenfalls haben außer schön auszusehen für mich tatsächlich keinen weiteren Nutzen. Und ob schön auszusehen als Nutzen ausreicht, sei hier auch mal dahin gestellt.

Wo war ich stehengeblieben? Ach ja. Mein Mann, also. Mit deutschen Männern habe ich nie so recht etwas anfangen können. (Verzeihung, deutsche Männer!) Sie sind mir einfach immer entweder ein Stück zu selbstgefällig oder zu ungehobelt. Daher habe ich mir dann diesen Engländer ausgesucht. Er entspricht so ziemlich allen Klischees, die einem bei einem Engländer einfallen könnten. Er ist höflich, reserviert, sagt kaum je etwas, wenn er nicht angesprochen wird, er steht vorbildlich Schlange, weil er auch darüberhinaus noch sehr geduldig ist, nur für den britischen Humor hat es bei ihm nicht ausgereicht mit dem Britisch sein. Das mag an seiner ernsten Kindheit liegen. Er war das jüngste von zehn Kindern einer Bauernfamilie mit eher bescheidenem Auskommen. Als er noch ein kleiner Junge war, hat seine Mutter ihm die Ohren mit Hansaplast an den Kopf geklebt, wegen der Segelohren. Es hat aber nichts genutzt. Georges Ohren stehen noch immer in aller Schönheit ab.

Meine Schwiegereltern starben lange, bevor ich ihre Bekanntschaft hätte machen können. Das finde ich aus erwähntem Grund gar nicht so bedauerlich. Welche Mutter klebt Segelohren an einen Kinderkopf?

Mein Mann war immer so hervorragend in der Schule, dass er sich von Stipendium zu Stipendium hangeln konnte und schließlich sogar in Oxford studierte, mit einem Gastsemester in Heidelberg, wo wir uns auf einer Party bei Freunden kennenlernten und wo aus seinem Gastsemester zwei wurden und er hier schließlich sein Studium abschloss.

Seine Leidenschaft bin jedoch nicht ich. Sondern ein Stern, oder besser ein Komet. Der C/2006 P1 McNaught. Entdeckt hat diesen Kometen ein Australier, der hieß natürlich McNaught, das habe sogar ich kapiert. Geht man das Risiko ein, George auf dieses Himmelsphänomen anzusprechen, kann man sich auf einen Vortrag gefasst machen, bei dem seine Augen leuchten und der sich in die Länge zieht, wie der gekrümmte Staubschweif des Kometen, der meinen Mann 2007 komplett in seinen Bann zog. So sehr, wie ich es nie vermochte. Ehrlich gesagt aber auch nie vorhatte. Dazu hat aber auch noch etwas anderes beigetragen. Ein weiteres Phänomen. Aber davon später, sonst verfranse ich mich.

Mir liegt ein ruhiges Leben. Die Kinder fordern mich schon genug. Nicht meine Kinder. Eigene haben wir nicht. Die Blagen in der Schule meine ich. Ich bin Lehrerin. Für Deutsch, Englisch und Kunst.

Mein Mann ist sympathisch, er ist freundlich. Aber eigentlich weiß ich manchmal gar nicht so genau, was ihn bewegt. Ich meine, abgesehen von seiner Leidenschaft für das Funkeln da oben. Ich kenne seinen Namen. Ich weiß, wo er herkommt. Er hat mir das Kaff seiner Kindheit mal während des Studiums gezeigt. In England heißt auf dem Land ja noch etwas. Da gibt es auf dem Land wirklich nichts als Land. Die nächste Stadt ist mehrere Stunden entfernt.

Ich weiß auch, was er gerne isst. Und was er gar nicht mag. Ich denke auch, dass er mir zugetan ist. Wir kommen wunderbar miteinander aus. Streit gibt es zwischen uns nie. Nein, wirklich nicht. Nie! Langweilig? Überhaupt nicht. Ich glaube nicht daran, dass Streit zu einer Beziehung gehört. Es erhöht die Spannung, sagt meine Kollegin Judith. Reibung sei nun mal nötig, damit Funken fliegen. Das mag ja sein, aber was, wenn ich überhaupt keine Spannung will? Spannung kostet doch Energie. Und als Lehrerin brauche ich all meine Energie für die Arbeit. Und mein Mann braucht ohnehin alles, was ihm an Energie nach der Arbeit übrig bleibt, für seine Sternen-Guckerei, von unserer Dachterrasse aus, die er sich eigens dafür zugelegt und mit einem Teleskop ausgestattet hat. Selbst ich finde es im übrigen einigermaßen beeindruckend, dass das erste Teleskop bereits im 16. Jahrhundert entwickelt worden ist und dass es heute sogar im Weltall eines gibt – Hubble, nach seinem Erfinder benannt.

Weil das Sternengucken mit einem passenden Teleskop natürlich viel mehr Freude macht, so etwas aber teuer ist und ja auch immer wieder nachgerüstet werden muss, hat mir mein Mann noch nie Schmuck geschenkt. Aber was will ich auch mit dem ganzen Tand? Ich will ja schließlich nicht das ganze Jahr behängt wie ein Weihnachtsbaum herumlaufen. In der Schule wäre das ohnehin nicht angebracht.

Die Putzfrauen meiner Mutter

Подняться наверх