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Kapitel 15

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Mit derlei Fragestellungen habe ich längst abgeschlossen. Mittlerweile entwickle ich bei Themen, bei denen andere Menschen emotional werden, so etwas wie taube Stellen oder blinde Flecken. Nur die Natur, die ringt mir dann und wann noch große Gefühle ab. So wie jetzt.

Die Kornfelder stehen gelb im Sonnenlicht unter dem Blau des Sommers als wäre August. Dabei ist erst Juni. Ein Dienstag. An Dienstagen habe ich frei.

Der längste Tag steht kurz bevor. Ein trockener Sommer. Der dritte in Folge schon.

Die Bäume malen Bilder aus Licht und Schatten auf den Asphalt, wie in einem Gemälde von Silke Leverkühne.

Ich radele nach Kaiserswerth, immer am Rhein entlang. Ich mag die ländliche Atmosphäre. Frische Luft tanken. Auf der Hauptgeschäftsstraße mit ihrem ruppigen Kopfsteinpflaster, wird gerade der Markt abgebaut. Die Händler rufen sich gegenseitig allerlei zu. Die Bewohner laufen mit ihren frisch gefüllten Tüten zwischen den halbabgebauten Ständen entlang und machen sich auf den Weg nach Hause oder in ein Café. Davon gibt es hier einige. Für jeden Geschmack und Geldbeutel ist etwas dabei.

Ich kaufe mir ein Eis.

Ich atme tief durch, als könnte ich mit der Luft auch ein Stück von der Atmosphäre einatmen. Mit der einen Hand halte ich mein Eis, mit der anderen schiebe ich mein Rennrad zurück an die Uferpromenade. Dort lehne ich es gegen das Geländer und blicke auf das Grün des Wassers. Allein der Anblick entspannt und erfrischt. Genüsslich schlecke ich mein Eis.

„Guten Tag“, spricht mich jemand von der Seite an. Das kann ich nicht besonders gut leiden. Zumal gefühlt nicht einmal eine Minute der Ruhe vergangen ist. Ich wende den Kopf der tiefen Stimme entgegen, weil alles andere unhöflich gewesen wäre und blicke in das Gesicht eines jungen Mannes. Eines sehr jungen Mannes. Eines sehr schönen, sehr jungen Mannes. „Ich habe auch gerade ein Eis gegessen“, sagt er. Ich hatte ihn bemerkt. Er hat Minuten zuvor an einer Mauer gelehnt, mit einem Eis im Becher. Nicht wie ich, im Hörnchen. Ich hasse es, Müll zu produzieren, wenn es sich vermeiden lässt. Bei einem Eis im Hörnchen bleibt am Ende nichts übrig. Das gefällt mir.

„Und ich fragte mich, ob ich Sie wohl zu einem Milchshake einladen dürfte.“ Er drückt sich recht geschwollen aus, mit einem leichten Akzent, der eine östliche Herkunft verrät.

„Das ist sehr nett“, sage ich, „Aber ich bin ja noch mit meinem Eis beschäftigt und Milch vertrage ich ohnehin nicht.“

„Ich vertrage auch keine Milch“, er lacht, beinahe erleichtert.

Er trägt die Uniform der Schifffahrtsgesellschaft. Ein weißes Hemd mit entsprechender Aufschrift und einer schwarzen Hose.

„Arbeiten Sie auf dem Schiff?“, ich deute mit dem Kinn auf den schönen weißen Ausflugsdampfer, an dessen Deck stilvolle dunkle Holztische stehen, auf jedem eine Vase mit einer Blume. Das ist mir voller Wohlwollen aufgefallen, als ich mich dem Ufer näherte.

„Ja“, sagt der junge Mann. „Aber das ist nur so ein Job.“

„Kein so schlechter“, sage ich und meine das auch so.

„Ich arbeite auch auf Messen“, sagt er. Männliche Hostess, denke ich, wieder voller Wohlwollen, mit einem innerlichen Lächeln. Er hat dunkles Haar, auffallend markante Wangenknochen, volle Lippen und intensive braune Augen, die mich dabei beobachten, wie ich mein Eis esse.

So viel Aufmerksamkeit zumal eines jungen Mannes bin ich mit meinen am äußersten Ende angelangten Vierzigern nicht mehr gewöhnt. Es verunsichert mich. Kurz höre ich auf zu schlecken. Doch ein Eis schmilzt, wenn es nicht gegessen wird und so entscheide ich mich Sekunden später, es weiter zu essen.

Eigentlich hatte ich mich auf ein wenig Ruhe gefreut hier draußen. Auf Kommunikation bin ich nicht eingestellt.

„Eigentlich mache ich gerade eine Ausbildung zum Wellnessmasseur“, sagt er ungefragt in meine Verlegenheit hinein.

„Schön“, was Besseres fällt mir in meinem Zustand nicht ein. Die armen Frauen, geht es mir gleichzeitig durch den Sinn.

„Am liebsten wäre ich aber an der Kunstakademie. Wurde aber nicht genommen“, sagt er etwas leiser.

„Wie heißen Sie“, fragt er dann wieder etwas lauter.

„Christine“, sage ich. „Ich bin Dean“, sagt der junge Mann. Er reicht mir die Hand, die ich ergreife. Er dreht seine Hand so, dass er meine küssen kann, was er dann noch durch ein „Freut mich, Sie kennenzulernen“ unterstreicht. Ich finde das höflich. Aber er trägt ziemlich dick auf.

„Dean, wie James Dean?“, frage ich. Mein Idol aus Jugendtagen, obwohl er zeitlich eher ein Idol meiner Mutter hätte sein müssen. Doch die interessierte sich nicht für Filme und Schauspieler. ..., denn sie wissen nicht, was sie tun war jedenfalls ein cineastisches Schlüsselerlebnis für mich gewesen. Es wurde im Schulkino gezeigt, als ich in der Oberstufe war. Ich war stilmäßig Retro. Die Kleidung, die Musik, Elvis, Buddy Holly. Als Kind hatte ich immer rechtzeitig für die Oldie-Hitparade auf WDR2 am Radio gesessen und alles auf Kassette aufgenommen. Nach dem Film kaufte ich mir ein Poster von James Dean – lebensgroß – und pappte es an meine Zimmertür. Dieser verletzliche und gleichzeitig wilde und rebellische Ausdruck in seinen Augen traf mich mitten ins Herz. Die Tatsache, dass er bereits einen Monat tot war, als der Film 1955 in den USA in die Kinos gekommen war, machte mich regelrecht beklommen.

„Wer ist James Dean?“, fragt Dean.

„Ach nicht so wichtig“, sage ich. Dass die Jungen heute nicht einmal mehr die großen Hollywoodidole kennen, nervt mich.

„Es sieht sehr erotisch aus, wie Sie Ihr Eis essen“, sagt Dean und schaut mir auf den Mund. Ich bin jetzt nicht mehr genervt, sondern unangenehm berührt. Am liebsten würde ich auf mein Rad steigen und einfach davon fahren. Aber das wäre unhöflich. Und unhöflich sein kann ich nur in seltenen Ausnahmefällen. Der hier gehört nicht dazu.

„Sie sind mir sofort aufgefallen. Ich musste sie unbedingt ansprechen, bevor sie wieder fort sind. Ich finde sie sehr attraktiv.“

Ich lache. Jetzt bin ich verlegen. Das höre ich in meinem Alter nicht mehr so oft. Die Hollywood-Ikone Grace Kelly hat in irgendeinem Interview mal gesagt, dass man ab vierzig als Frau unsichtbar wird. Ganz so schlimm ist das heute zwar nicht mehr. Zumal ich mich als Frau nicht über mein Äußeres definiere und Zuhörer finde ich heute sogar mehr als früher. Aber zumindest ist die Aufdringlichkeit, mit der Männer einem den Hof machen, wenn man jung ist, deutlich abgeflaut.

„Ich könnte Ihre Mutter sein“, sage ich. Dabei weiß ich nicht so genau, ob ich das nicht gerade vor allem mir selbst in Erinnerung rufe. Denn irgendetwas macht dieser dunkle intensive Blick mit mir.

„Sagen Sie so etwas nicht. Ich bin gar nicht so jung. Ich habe nur ein Babyface“, er lacht und runzelt dann leicht die Stirn, als könnte er durch Mimikfalten sein Alter hochkorrigieren.

„Und wie alt sind Sie?“, frage ich, obwohl ich sicher bin, es bereits zu wissen.

„Was glauben Sie denn?“

„Neunzehn, zwanzig, zweiundzwanzig“, jetzt unterschätze ich ihn absichtlich. Wieder um nicht unhöflich zu sein.

„Na, danke.“ Er lacht. „Ich bin siebenundzwanzig.“

„Dann könnte ich trotzdem ihre Mutter sein“, beharre ich, auch um die Distanz wieder zu vergrößern, die er zu reduzieren sucht.

„Alter interessiert mich nicht. Ich finde, Sie sehen einfach total toll aus. Und ich möchte gerne mit Ihnen einen Kaffee trinken. Vielleicht einen, vielleicht hundert. Wer weiß? Und jetzt werden sie mir sicher sagen, dass sie verheiratet sind.“ Er schmollt mit diesen vollen Lippen und rollt dramatisch mit den Augen. Oh Herr, ist der süß!

Ich nicke. Auch um zu unterstreichen, dass ich ganz sicher nicht auf seine Masche hereinfallen werde. Aber natürlich auch, weil ich verheiratet bin.

Plötzlich nähert sich Deans Hand meinem Gesicht. Seine Finger gehen durch mein Haar. Ich wünschte, er würde das nicht tun. Ich stehe gar nicht mehr sicher auf meinen Beinen.

„Lassen Sie uns doch das Glück annehmen, dass wir uns heute hier begegnet sind. Wir können diesem langweiligen Leben doch etwas Schönes entgegensetzen.“ Er lächelt.

Ein männliches Pin-up, schießt es mir durch den Kopf. Eigentlich bin ich ja viel zu intelligent für einen solchen Casanova. Aber er verfehlt seine Wirkung trotzdem nicht.

„Geben Sie mir Ihre Nummer, dann schicke ich Ihnen eine Nachricht. Und dann verabreden wir uns“, sagt das Pin-up.

Ich beiße in mein Hörnchen. Ein bisschen aggressiver als nötig, um mich zu entzaubern und kaue still auf meinen Gedanken herum. In meinem Innern spielen Herz und Kopf Tauziehen. Gespannt beobachte ich die beiden dabei. Es ist nicht abzusehen, wer gewinnen wird. Mal ist der Kopf stärker, dann wieder das Herz.

„Also schön“, sage ich und atme tief durch. „Geben Sie mir Ihre Nummer und ich melde mich, wenn es passt.“

„Einverstanden.“ Er lächelt, wirkt dabei aber leicht verstimmt. Das ist mir nur Recht. Er diktiert mir seine Nummer und ich tippe sie in mein Handy.

Deans Blick zuckt plötzlich unruhig auf. Er schaut auf seine Uhr und ruft erschrocken „Oh, ich muss zum Schiff!“ Rasch drückt er mir mit seinen vollen Lippen einen warmen Kuss auf die Wange und läuft davon. Unwillkürlich folgt mein Blick dem sich entfernenden Dean. Sein Körper bewegt sich mit der geschmeidigen Leichtigkeit der Jugend, ganz selbstverständlich und sehr schön. Ich muss jetzt sehr stark sein. Natürlich werde ich mich nicht bei ihm melden!

Die Putzfrauen meiner Mutter

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