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Kapitel 12

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Wir waren als Kinder ständig draußen. Auf diese Weise wollte unser Vater uns unter anderem für die harte Wirklichkeit stählen und uns beibringen, nicht so zimperlich zu sein. Wir wurden keine Memmen. Keines von uns. Wohl eher im Gegenteil. Wir konnten immer schwer einschätzen, wann es genug war und wann die Grenze des Zumutbaren erreicht war. Zwar alberten wir viel herum. Überspielten damit aber häufig, wie es wirklich in uns aussah.

Im Winter ging es in die Berge zum Skifahren. Kein Schneefall, kein Kälteeinbruch oder jedwede schlechte Sicht hielten unseren Vater davon ab, mit uns die Bretter anzuschnallen. Besonders liebte er es, wenn der Nebel in Fetzen am Hang hing – als partielle Unschärfe.

„So ist das Leben in den Bergen“, lachte er gegen Wind und Wetter an.

Unsere Mutter war währenddessen im warmen Hotel und ließ sich Masken auflegen und Ganzkörper massieren. Sie fühlte sich seit ihren drei Geburten aus der Form geraten und tat alles, um wieder in sie zurückzufinden. Mit den neusten Diäten und Gymnastikarten. Aber Schnee mochte sie nicht. Und so blieb sie lieber Drinnen.

Mein Vater ließ sich dennoch nicht von unseren Skiferien abbringen. Sie waren mein ganzes Glück. Dann aber irgendwann auch mein ganzes Unglück. Doch dazu später mehr. Am besten viel später. Ich kann nicht darüber sprechen. Noch immer nicht.

Eine Skiwoche verbrachten wir beinahe ausnahmslos ohne Skifahren. Wir waren eingeschneit. Es war aus dem Tal kein Heraus- und kein Hereinkommen. Kein Lift ging. Erst recht keine Gondel. Ich erinnere mich noch gut an einen Schneespaziergang. Wir liefen alle in Skiklamotten los. Meine Mutter war ausnahmsweise auch dabei. Sie wollte sich bewegen und trug einen wuchtigen Fuchspelz. Der passte perfekt zu ihrem schwarzen Haar, das sich unter der passenden Fellmütze wie Pech über den fuchsfarbenen Pelz ergoss. An den Füßen trug sie Fellstiefel.

Unser Vater warf uns abwechselnd in den Schnee und wir quietschten und kreischten vor Vergnügen. Wir waren kaum wieder aufgestanden, da schubste er uns erneut. Immer wieder. Und manchmal tat er so, als stolperte er über unsere Beine und fiel gleich auch noch hinterher. Diese Slapstick-Showeinlagen waren für uns die Krönung. Wir kamen aus dem Lachen nicht heraus. Es war eine Sorglosigkeit um uns gewesen, wie selten. Unsere Mutter forderte unseren Vater dann jedoch recht bald auf, mit dem Unsinn aufzuhören, da wir ja sonst nicht vorwärts kämen. Außerdem fröre sie. Was nur schwer zu glauben war, angesichts ihres üppigen Fuchspelzes. Aber so war sie eben. Sie langweilte sich bei unseren Kindereien. Unser Vater machte dagegen oft Spaß mit uns und war sich dabei für nichts zu erwachsen.

Im Hotel hatte sich ein fieser Erkältungsvirus ausgebreitet. Die Stimmung kippte ins Sanatoriumshafte. Die Bronchien der Menschen rasselten.

Wie in einem Agatha Christie Krimi erwischte es einen nach dem anderen, bis schließlich alle infiziert waren. Nur an unserem Tisch waren alle gesund geblieben. Warum auch immer. Vielleicht weil unser Vater uns immer nach draußen schickte.

Alle musterten sich misstrauisch um herauszufinden, an welchem Tisch das Virus seinen Anfang genommen hatte. Die Spannung war deutlich spürbar gewesen. Es gab kein Entkommen. Für keinen.

Die Amerikaner konnten nicht zurück nach Amerika fliegen. Die Engländer nicht zurück nach England. Und wir konnten nicht nach Hause fahren. Kein Hubschrauber konnte Essen bringen, weil es ununterbrochen schneite. Mein Vater hatte längst den kompletten Pilsvorrat aus der Bar leergetrunken. Damit hatte er sich nicht beliebt gemacht bei den anderen Gästen. Aber die Kranken sollten eh Tee trinken, fand er. Selbst die Mädels an der Rezeption hatten schlechte Laune. Was wirklich ungewöhnlich war, da sie von besonders sonnigem Gemüt waren. Schuld war meine Mutter. Sie hatte sich die komplette Vogue faxen lassen, um auf andere Gedanken zu kommen. Vierhundert Seiten. Da kam kein anderes Fax mehr durch. Die Arbeit im Hotel blieb einen ganzen Tag lang liegen. Damals gab es eben noch kein Internet. Und so machte sich auch meine Mutter im Hotel unbeliebt.

In der nächsten Saison wechselten wir das Hotel. Meine Mutter hatte sich brüskiert gefühlt, weil eine der Rezeptionistinnen es gewagt hatte, sie zu bitten, sich das nächste Mal doch bitte die Zeitschriften, so wie andere Menschen, am Kiosk zu kaufen.

Die Putzfrauen meiner Mutter

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