Читать книгу Die Putzfrauen meiner Mutter - Katja Pelzer - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеDie erste Putzhilfe, an die ich mich erinnere, ist die meiner Oma mütterlicherseits. Wenn meine Geschwister und ich übers Wochenende bei meiner Oma waren, wurden wir montags früh vom ziegenartigen Tremolo der Putzhilfe geweckt. Sie hieß Frau Pfeiffer, war groß und hager und führte, dirigiert von meiner Oma, ein strenges Putzregiment. Ursprünglich stammte sie aus Stuttgart, war aber ihrem Mann zuliebe ins Rheinland emigriert.
Alles roch mit einem Mal frisch nach Citrus und glänzte und über allem kreischte die Stimme von Frau Pfeiffer. Sie war flink und energisch und ich glaube, sie mochte Kinder sehr, auch wenn sie es nicht so recht zeigen konnte und selbst keine hatte. Auf ruppige Weise freute sie sich immer uns zu sehen. Trotzdem mussten wir drei Kinder immer in den Keller, wenn geputzt wurde. Dort lag die Waschküche. Mein großer Bruder Benedikt wurde mit Töpfen versorgt und hatte so sein improvisiertes Schlagzeug. Meine jüngere Schwester Claudia und ich durften bügeln. Claudia auf dem Minibrett, das zum Hemdsärmel bügeln diente und ich mit einem Bänkchen auf dem großen Bügelbrett. Das machte mir viel Spaß und war vermutlich mein Schlüsselerlebnis in Sachen instant gratification. Bis heute gibt es für mich kaum etwas Entspannenderes als zu bügeln. Ich möchte mich ungern als die Queen unter den Büglerinnen bezeichnen, aber ich bin es wohl!
Wenn früher bei meiner Oma alles fertig geputzt war, durften wir aus dem Keller nach oben kommen und es gab Mittagessen. Frau Pfeiffer aß mit uns. Und zwar so schnell, dass sie immer schon lange vor uns fertig war mit dem Essen. Ich habe sie dann einmal gefragt, warum sie so schnell essen würde und sie antwortete: „Wie ma esset, so schaffet ma“. Sie arbeitete tatsächlich rasend schnell.
Gleichzeitig nahm sie alles sehr genau. Wenn der Teppich unter dem schwarzen Flügel meiner Großeltern eine Welle schlug, schob sie die Schulter unter das wuchtige Instrument, stemmte es mal eben nach oben und zog den Teppich mit einem Fuß gerade. Wann immer ich das zu Gesicht bekam, war ich fast ohnmächtig vor Bewunderung. Sie war dermaßen hager und trotzdem hatte sie so viel Kraft.
Die brauchte sie auch, denn ihr Leben ging nicht gerade zart mit ihr um. Sie war kaum fünfzig gewesen, da kam ihr Mann bei einem Motorradunfall ums Leben.
Mein Opa hat uns immer wieder die Geschichte erzählt, wie Oma ihn zum Kondolieren zu Frau Pfeiffer geschickt hat. Frau Pfeiffer bewohnte eine Ein-Zimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Sie hatte einen grüngelben Wellensittich, der frei herumfliegen durfte.
Mein Großvater stand in diesem Zimmer und wollte Frau Pfeiffer sein Beileid aussprechen, da landete der Wellensittich auf seinem Kopf. Es schien meinem Opa unmöglich, dem Ernst der Lage gerecht zu werden, während auf seinem Kopf ein Vogel saß. An dieser Stelle prustete ich als kleines Mädchen immer heraus. Das Bild in meinem Kopf war wirklich zu absurd. Es schien mir beinahe zu albern um wahr zu sein. Scheint es mir heute noch. Wäre die Geschichte nicht so ernst, hätte ich meinem Großvater unterstellt, er hätte sie erfunden.
Mein Opa fand das Ganze erst einmal gar nicht lustig und dachte krampfhaft darüber nach, was er tun könnte, um die Situation zu retten. Also machte er eine formvollendete Verbeugung vor Frau Pfeiffer, in der Hoffnung, der Vogel würde dann auffliegen. Aber der Wellensittich ergriff die Gunst des Augenblicks, lief den Hinterkopf meines Großvaters hinunter bis in den Nacken, so dass mein Opa sich nun nicht mehr traute, sich wieder aufzurichten. Da kam ihm Frau Pfeiffer zur Hilfe. Sie scheuchte den Vogel mit der Hand und einem vorwurfsvollen „Piet, was soll der Unsinn?“, fort. Mein Opa streckte sich, nun wieder ganz Herr der Lage. Er schaute Frau Pfeiffer fest und ernst in die Augen und konnte ihr nun angemessen versichern, wie leid ihm der Verlust ihres Ehemanns tat. Frau Pfeiffer vergaß daraufhin einmal für kurze Zeit ihre sonst recht ruppige Art und dankte ihm mit feuchten Augen und von Herzen für sein Kommen. Damals wurde dann ein Schnaps zusammen gekippt. In diesem Fall kippte jeder zwei. Was der Geschichte möglicherweise im Nachhinein noch ein wenig mehr Farbe verliehen hat, als sie nüchtern betrachtet gehabt hätte.