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Die Natur ist der größte Arzt.

(RHAZES, 865-925)

Ich darf mich keinem Menschen, der glaubt, dass ich ihm helfen kann, und sei es auch nur mit einem Autogramm, versagen. Vielleicht empfängt er davon einmal in einer dunklen Stunde Ermutigung.

(ALBERT SCHWEITZER, 1960)

EINFÜHRUNG

Die Sorge um Gesundheit ist so alt wie die Menschheit selbst. Jede Generation bringt ihre eigenen Heilkundigen hervor, die sich nach den Kenntnissen ihrer Zeit darum bemühen, Krankheiten zu behandeln und Schmerzen zu lindern. Dabei hat die Medizin im Laufe der Jahrhunderte große Fortschritte gemacht. Viele Infektionskrankheiten, an denen unsere Vorfahren unweigerlich starben, haben ihre Schrecken dank vorbeugender Impfungen und Antibiotika heute verloren. Doch der Kampf der Medizin geht unaufhörlich weiter. Neue Krankheiten wie AIDS oder Ebola stellen die Mediziner vor neue Herausforderungen. Noch immer sterben jährlich Tausende an den Folgen von Krebsleiden, ohne dass die medizinischen Kenntnisse der Gegenwart ausgereicht hätten, dem Tod einen mehr oder weniger langen Aufschub abzutrotzen. Dies sollte man stets bedenken, bevor man nur allzu schnell die Heilkunde früherer Epochen als »rückständig« bewertet. Denn wie auch heute noch haben Mediziner auf der Basis jeweils zeitspezifischer Lehren und Kenntnisse gewirkt. Wie werden die Menschen des 23. Jahrhunderts über unsere Medizin denken?

Dass sich die Medizin weiterentwickelt hat, verdankt sie wie jede Disziplin jenen besonderen Vertreterinnen und Vertretern des Faches, die die Grenzen des Bekannten mit ihren Ideen erfolgreich zu erweitern versuchten. Dabei stießen sie auf manche Widerstände. So wie jener Andreas Vesalius (1514–1564), der die spätantiken Lehren des Galen von Pergamon (129–199/202/216), die über mehr als ein Jahrtausend unangefochten die Grundlagen der Medizin bildeten, im wahrsten Sinne des Wortes auf den Seziertisch zerrte. Beide werden uns im Laufe dieses Buches noch begegnen. Oder die ersten Vertreter der Mikrobiologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die ihre Erkenntnis, nur unter dem Mikroskop sichtbare Kleinstlebewesen lösten Infektionskrankheiten wie etwa Typhus oder Cholera aus, anfangs gegen so bedeutende Autoritäten wie Rudolf Virchow (1821–1902) verteidigen mussten. Noch 1848 hatte Virchow bei der Untersuchung einer »Typhus«-Epidemie in Oberschlesien die Ansicht vertreten, dass die Krankheit offenbar nicht ansteckend sei. Er hat seinen Platz in diesem Werk wie auch die Begründer der modernen Bakteriologie und Mikrobiologie, Robert Koch (1843–1910) und Louis Pasteur (1822–1895).

Dabei war Pasteur Chemiker und kein Arzt. Doch hat er die Entwicklung der modernen Medizin durch seine Entdeckungen in so herausragender Weise geprägt und erscheint in seinem Wirken so mit dem Robert Kochs verbunden, dass seine Präsenz hier mehr als gerechtfertigt erscheint. Die Person Pasteurs führt zugleich zu der berechtigten Frage nach den Auswahlkriterien für das vorliegende Werk. Es vermag keine Vollständigkeit zu bieten und kommt deshalb nicht ohne schmerzliche Einschnitte aus. Bei der Frage nach den »berühmtesten« Ärzten kommt man zunächst an jenen Personen nicht vorbei, deren Namen auch außerhalb von medizinhistorischen Fachkreisen weithin bekannt sind, so wie der legendäre Hippokrates von Kos (ca. 460–ca. 375 v. Chr.), Paracelsus (1499–1541), Robert Koch, Paul Ehrlich (1854–1915) oder Emil von Behring (1845–1917). Sie erscheinen auf Straßenschildern, zierten D-Markscheine, finden sich als Namen von Krankenhäusern und Forschungseinrichtungen oder spielen die Hauptrolle in Filmen. Dann folgen all jene Mediziner zumeist früherer Epochen, die heutigen Zeitgenossen weitgehend unbekannt sind, doch in ihrer eigenen Lebenswelt als Koryphäen galten. Stellvertretend hierfür steht etwa der im niederländischen Leiden wirkende Hermann Boerhaave (1668–1738), der zu den größten Ärzten des 18. Jahrhunderts zählt. Die weitere Auswahl wurde geleitet von der Absicht, Entwicklungsstränge der Medizin von der Antike bis in die jüngere Zeit hinein aufzuzeigen und jede Epoche durch repräsentative Vertreter aus möglichst unterschiedlichen geographischen Räumen darzustellen. Christliche, jüdische und muslimische Ärzte finden sich in dem Band nebeneinander wieder. Dass die männlichen Vertreter der Medizin dabei unverkennbar in der Überzahl sind, liegt allein in der Geschichte begründet.

Ist für Frauen ein Medizinstudium heutzutage etwas Selbstverständliches geworden, so wurde ihnen der Zugang zu medizinischer Bildung wie den Universitäten jahrhundertelang weitgehend vorenthalten. In England beispielsweise wurden Frauen zwar im Jahre 1878 zum Medizinstudium an der Universität London zugelassen, doch blieb ihnen ein Studium an den führenden Bildungsinstitutionen wie Oxford oder Cambridge auch weiterhin verwehrt. In Frankreich war der Besuch einer Privatschule Voraussetzung für die Aufnahme eines Studiums, so dass der Frauenanteil unter den Studierenden selbst nach ihrer allgemeinen Zulassung im Jahre 1863 gering blieb. In Deutschland mahlten die Mühlen noch langsamer. Noch 1893 sperrte sich der Reichstag gegen eine Zulassung von Frauen zum Studium, die in einer Petition mit 60.000 Unterschriften gefordert worden war. Heidelberg und Freiburg waren im Jahre 1900 die ersten deutschen Universitäten, die Studentinnen ihre Tore öffneten. Berlin folgte erst 1908. Unter solchen Umständen gelang es zuvor nur Einzelnen, die hohen Hürden in der viel stärker als heute durch Männer dominierten Lebenswelt zu überwinden und ärztliche oder wundärztliche Tätigkeit auszuüben. So wie Dorothea Christiane Erxleben (1715–1762), die im Jahre 1754 als erste Frau in den deutschsprachigen Ländern in Medizin promovierte. Bis in das frühe 20. Jahrhundert hinein sind es aber kaum mehr als die Namen heilkundlich tätiger Frauen, die mitunter in zeitgenössischen Quellen auftauchen. Die überlieferten Informationen reichen in den allermeisten Fällen nicht einmal zu einer fragmentarischen Rekonstruktion ihrer Lebenswege aus. In anderen Fällen macht es die Überlieferung schwierig, Fiktives und Reales zu trennen. Etwa in dem der sogenannten Trotula, Trota oder Trocta. Sie soll am Ende des 11. oder am Beginn des 12. Jahrhunderts an der berühmten Medizinschule im süditalienischen Salerno gewirkt haben. Manchen medizinhistorischen Deutungen zufolge ist sie aber lediglich die fiktive Verfasserin eines gemeinhin mit diesem Namen in Verbindung gebrachten gynäkologischen Werkes. Auf gesichertem Boden bewegen wir uns für die mittelalterlichen Jahrhunderte hingegen mit Hildegard von Bingen (1098–1179), die somit gewissermaßen stellvertretend für all die heilkundigen Frauen der Vormoderne steht, deren Spuren sich in den Nebeln der Geschichte verloren haben.

Schließlich ging es bei der Wahl noch darum, ein möglichst breites Spektrum ärztlichen Wirkens mitsamt seinen jeweils zugehörigen »Ärztetypen« aufzuzeigen. Auf der einen Seite finden sich jene Berühmtheiten, die durch unermüdliche Forschung im Labor und den Unterricht ihrer Studenten ihren Teil an der Weiterentwicklung der Medizin geleistet haben. Auf der anderen Seite jene nicht weniger berühmten Vertreter, die ihr erworbenes Wissen schier unermüdlich in der alltäglichen Praxis zum Wohle der ihnen anvertrauten Patienten angewandt haben. Für sie steht gleichsam beispielhaft der Name Albert Schweitzer (1875–1965), dessen Porträtfoto den Titel des vorliegenden Buches schmückt. Einen bedeutenden Teil seines langen Lebens verbrachte Schweitzer im Dienste für die Kranken seines Spitals in Lambarene im afrikanischen Gabun. Keine freie Stunde habe er und keinen Sonntag. Aber das verstehe keiner, äußerte sich der hochbetagte Urwaldarzt 1964 in einem »Rundbrief für den Freundeskreis Albert Schweitzers« in Deutschland. Im folgenden Jahr starb er 90-jährig in Lambarene.

Da in diesem Buch die »berühmtesten« Ärzte im Mittelpunkt stehen und die Patienten mit ihrer Sicht der Dinge angesichts dessen in der Darstellung in den Hintergrund treten, scheinen ein paar grundsätzliche Bemerkungen zur Entwicklung der Beziehung zwischen Heilkundigen und Kranken unerlässlich. Über die Jahrhunderte hinweg waren das Bild des Mediziners und die Stellung des Patienten grundlegenden Wandlungsprozessen unterworfen. Zwischen dem Heilkundigen des frühen Mittelalters und dem vielfach als »Halbgott in Weiß« bewunderten Arzt liegen Welten. Gemäß den Vorschriften der Lex Visigothorum, der westgotischen Rechtsvorschriften aus dem späten 7. Jahrhundert, erhielten Heilkundige bei fehlgeschlagenen Behandlungen nicht nur keinen Lohn, war der Kranke durch ihr Wirken zusätzlich in seiner Gesundheit beeinträchtigt worden, mussten sie außerdem eine Strafzahlung leisten. Ihrer Heilkunst stand stets der Verdacht der Giftmischerei gegenüber. Mitunter büßten mittelalterliche Heilkundige ihre Behandlungsmisserfolge gar mit dem Leben wie etwa der Chronist Gregor von Tours († 593) berichtet. Überhaupt wirkte der Heilkundige nach zeitgenössischer Auffassung bis weit in die frühe Neuzeit hinein allein durch göttlichen Willen. Christus war der eigentliche Arzt. Noch im frühen 17. Jahrhundert heißt es in einer Schrift mit ärztlichen Empfehlungen zum Verhalten in Seuchenzeiten aus der Feder eines Stadtarztes im Nordwesten Deutschlands: »Medizin hilfet, wenn Gott es will. Wenn nicht, da ist des Todes viel!«. So entwickelte sich das gesellschaftliche Ansehen des Arztes erst allmählich im Zuge einer Ausrichtung der Medizin an den Methoden der aufstrebenden Naturwissenschaften. Damit wuchs zugleich die ärztliche Autorität gegenüber den Patienten, die eine andere Rolle einzunehmen begannen als in den Jahrhunderten zuvor.

Um Leben und Wirken der in diesem Buch porträtierten Vertreterinnen und Vertreter der Medizin besser verstehen zu können, sind den biographischen Abrissen stets Verweise auf berühmte Zeitgenossen und zeitgleiche Geschehnisse mit weiterführenden Erläuterungen beigegeben. Sie dienen den Leserinnen und Lesern zugleich als Orientierungshilfe für eine leichtere Einordnung der Persönlichkeiten in den übergeordneten historischen Gesamtrahmen, der sich in einem weiten Bogen vom Griechenland des 5. Jahrhunderts vor Christi Geburt bis in das Europa des 20. Jahrhunderts spannt.

Mein herzlicher Dank gebührt einmal mehr meiner Frau Isabelle, unserer Tochter Neele und unserem Sohn Raphael, ohne deren Verständnis und Zuspruch dieses Buch nicht hätte entstehen können.

Kay Peter Jankrift

Augsburg im März 2007

Die großen Ärzte im Porträt

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