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»Festival der freien Welt« – die Filmfestspiele von Cannes

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Die Signale aus Deutschland und Italien beunruhigten nicht nur die Politiker und Militärs. Auch die Künstler waren besorgt. Die konkretesten Erfahrungen machten die Filmschauspieler, Regisseure und Produzenten, wenn auch nicht mit Deutschland, so doch mit dessen Verbündetem Italien.

Das Festival von Cannes, dem die Franzosen so erwartungsvoll entgegenschauten, war zwar auch ein Ort der Schönheit. Mindestens ebenso sollte es aber auch ein politisches Bekenntnis sein, nämlich das zur Freiheit der Kunst, die ihrerseits nur in demokratischen Staaten zu haben war. In Cannes sollte nach dem Willen der Macher nicht irgendein Festival entstehen, sondern eines, das einem der bislang größten und dazu noch in unmittelbarer Nachbarschaft gehaltenen politisch Konkurrenz machen sollte, nämlich der Mostra internazionale d’arte cinematografica, den Internationalen Filmfestspielen von Venedig. Der Entschluss, das Festival ins Leben zu rufen, gründete allerdings zuletzt auf einer Illusion. Nämlich der, Kunst und Politik hätten nichts miteinander zu tun. Über Jahre hatten die französischen Filmemacher über die politischen Zustände im faschistischen Italien hinweggesehen. Die Kunst, fanden sie, sollte davon unberührt bleiben. So sah es auch der Regisseur Jean Renoir. Noch 1937 hatte er für seinen Film La grande illusion – ein engagiert auf Völkerverständigung und Pazifismus setzendes Werk – die Coppa Mussolini entgegengenommen, die bis 1942 vergebene Auszeichnung für den besten ausländischen Beitrag. Den Widerspruch, für einen pazifistischen Film eine Ehrung aus einem autoritär regierten Land entgegenzunehmen, nahm er hin.

Auch im Jahr 1938 hatten die Franzosen noch Filme zur Teilnahme an der Mostra eingereicht. Doch immer deutlicher zeigte sich, dass ihre Haltung selbst eine große Illusion war. Denn Kunst und Politik waren unter Mussolini eine allzu enge Bindung eingegangen. Der italienische Regierungschef wollte den Import ausländischer Filme kontrollieren – eine kaum hinnehmbare Maßnahme vor allem für die US-amerikanischen Produzenten. Das Maß war voll, als die Jury – eigentlich, so viel wusste man inzwischen, wollte sie den »Großen Preis« an einen amerikanischen Film vergeben – einen deutschen Film auszeichnete: Olympia von Leni Riefenstahl, aufgenommen während der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Die Vergabe war ein offener Bruch des Reglements: Diesem zufolge durften ausschließlich Spielfilme ausgezeichnet werden. Riefenstahls Arbeit war aber kein Spielfilm, sondern eine propagandistisch gefärbte Dokumentation.

Auch die Vergabe der Coppa Mussolini war in diesem Jahr tendenziös: Der Preis ging an den Film Luciano Serra pilota (»Zwischen Leben und Tod«). Die Gesamtleitung des Films lag in den Händen ausgerechnet von Vittorio Mussolini, dem Sohn des duce. Allerdings handelten die Italiener nur bedingt aus freien Stücken. Aus dem verbündeten Deutschland kam massiver Druck. Propagandaminister Joseph Goebbels persönlich engagierte sich für Riefenstahls Film. Verärgert war er bereits im Juni 1939, als die Franzosen sich schwer damit taten, Riefenstahls Film zu präsentieren. »Man will in Paris den Olympiafilm nur aufführen, wenn die Aufnahmen vom Führer herausgeschnitten werden«, notierte Goebbels am 22. Juni 1939 in seinem Tagebuch. »Das ist eine Gemeinheit. Ich lehne das kategorisch ab.«29 Doch in Frankreich waren ihm die Hände gebunden. Umso entschlossener schritt er bei der Vergabe der Biennale-Preise ein. »Die Italiener wollen in Venedig die Coppa Mussolini einem Film von Vittorio Mussolini geben und für den Olympiafilm einen neuen ›Preis der Nationen‹ einrichten. Ich gebe meine Zustimmung unter der Bedingung, dass der ›Preis der Nationen‹ auch wirklich als erster Preis herausgestellt wird. Sonst gibt’s Krach.«30 Den angekündigten Krach fürchteten die Italiener – und ließen Riefenstahls Epos wunschgemäß als Gewinner aus dem Festival gehen.

Die Amerikaner und Engländer waren empört: Sie erklärten, an der nächsten Ausgabe des Festivals nicht mehr teilnehmen zu wollen. Zeuge des Eklats war der Schriftsteller und Beamte Philippe Erlanger, 1938 Direktor der Association française d’action artistique (»Französischer Verband des künstlerischen Handelns«), in Venedig um das Wohl der präsentierten Filme bemüht. Am Folgetag, »noch aufgewühlt von der Gewalt des Geschehens und zutiefst beunruhigt von der tschechoslowakischen Krise« – gemeint ist der deutsche Einmarsch in das tschechoslowakische Sudentenland Anfang Oktober 1938 –, nahm er den Nachtzug zurück nach Paris. Schlafen konnte er angesichts der aufwühlenden Eindrücke und Nachrichten nicht. »In der Morgendämmerung kam statt eines Traums eine Idee. Da die Umstände die Mostra um ihre unabdingbare Objektivität gebracht hatten, warum solle man da nicht, falls der Frieden auf wunderbare Weise gerettet würde, in Frankreich ein Festival auf die Beine bringen – das Festival der freien Welt?«31 Umgehend präsentierte Erlanger die Idee dem damaligen Kulturminister Jean Zay. Der war angetan. Nicht weniger waren es die Kulturmanager, die Bürgermeister der großen Städte an der Côte d’Azur und natürlich deren Hoteliers. Ebenso auch die Amerikaner: Alle wünschten sich ein neues Festival – ein politisch sauberes, und ein ökonomisch erfolgreiches dazu. Filmfestspiele in einer der großen europäischen Städte, wussten die Produzenten in Hollywood, waren immer noch das wichtigste Instrument, um amerikanische Filme auch in der Alten Welt in Kassenschlager zu verwandeln. Die Drähte der Telefone auf beiden Seiten des Atlantiks, in Paris, Washington und Hollywood, würden glühen in den kommenden Monaten, denn es blieb wenig Zeit, das Festival auf die Beine zu stellen, jenes »ewige Wunder der freien Nationen«, wie es Maurice Bessy, Chefredakteur der Zeitschrift Cinémonde, noch am 30. August 1939, wenige Tage vor der geplanten Eröffnung, nicht ohne Pathos schrieb.32

Paris unterm Hakenkreuz

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