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»Fort mit den Gewehren!«

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Zunächst aber lag der lange Schatten des Pazifismus auf dem Land. Wie alle anderen im Ersten Weltkrieg kämpfenden Staaten hatte Frankreich Jahre gebraucht, um sich von den Schrecken des Krieges zu erholen. Und wie die übrigen europäischen Länder tat es sich ausgesprochen schwer damit, den Gedanken einer erneuten Konfrontation ins Auge zu fassen. »L’Allemagne paiera«, »Deutschland wird zahlen«, hatte es unmittelbar nach Kriegsende geheißen, und in diesem Geist hatten die in Paris versammelten Diplomaten auch den Friedensvertrag mit Deutschland formuliert. Artikel 231 legte fest, »dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich« seien, die seine Gegner »infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.«7 Das strenge Diktum und dessen Konsequenzen trugen das Ihre zu der angespannten Stimmung der folgenden Jahre bei, die in der Ruhrbesetzung 1923–25 ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Bedenken gegen diesen harten Kurs hatte es auch gegeben. »Das ist kein Frieden«, hatte etwa Marschall Ferdinand Foch 1919 den zu erwartenden Ausgang des Versailler Vertrages kommentiert. »Das ist ein Waffenstillstand auf zwanzig Jahre.«8 Auch die Ruhrbesetzung hatte in Frankreich umgehend Kritiker auf den Plan gerufen. Léon Blum etwa, 1936 und 1938 Premierminister seines Landes, warnte vor den möglichen Folgen der Besatzung. »Das gesamte politische Leben Europas wird aufs Spiel gesetzt, weil Deutschland nicht einige Kubikmeter von Frankreich gefordertem Holz geliefert haben wird! Zum Protest gesellt sich Scham angesichts dieser Mischung aus Kleinlichkeit, Verschlagenheit und Brutalität.«9

Trotz aller Spannungen blieben beide Länder einander verbunden, waren das Interesse an- und die Sympathie für einander nicht völlig erloschen. Ausgerechnet im Krisenjahr 1919 hatte der Romanist Ernst Robert Curtius einen epochemachenden Essay, Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich, veröffentlicht. Darin stellte er dem deutschen Publikum eine Reihe der damaligen zeitgenössischen französischen Autoren vor, deren Strahlkraft er vor dem Hintergrund der französischen Kulturgeschichte zu erfassen suchte. »Von Ronsard und Racine über Anatole France scheint sich eine typisch französische Wesensart von eindeutig bestimmtem Formgesetz fortzuerben, die man als die Verschmelzung von transparenter Geistigkeit und beherrschter Form, von humanistischer Geschmackskultur und einem in den Bezügen zur gesellschaftlichen Umwelt sich erfüllendes Menschtum zu begreifen gewohnt ist.«10 Geist und Form, aus deren Zusammenspiel am Ende eine »Wesensart« entsteht: Überlegungen wie diese faszinierten nach Ende des Krieges, als es darum ging, nationale Identitäten neu zu fassen und ihre Grundlagen neu, nämlich weniger dogmatisch, dafür flexibler, zu definieren, die junge Weimarer Republik. Das Bildungsbürgertum, während der vergangenen Jahre mit guten Gründen versehen, Kollektive auf möglichst unpathetische Grundlagen zu stellen, sah in Curtius kulturell motivierten Argumenten einen neuen Schlüssel zum Verständnis des Nachbarn – und ergriff ihn dankbar. Das Buch wurde nicht nur zu einem Standardwerk der romanistischen Literatur, sondern einem Klassiker der Völkerverständigung, gelesen über frankophile Kreise hinaus. Umgekehrt hatte Curtius Freund, der Schriftsteller Romain Rolland, noch vor dem Ersten Weltkrieg einen aus zehn Bänden bestehenden Roman, Jean-Christophe, veröffentlicht, der in Frankreich Furore machte. Der Held des Romans, Jean-Christophe Krafft, ein deutscher Komponist, ringt zeit seines Lebens mit seiner Begabung ebenso wie mit seinem Land. Schließlich findet er Ruhe in der Schweiz. Von dort bricht er nach Paris auf, wo sein künstlerisches Genie begeistert gefeiert wird. Rolland selbst beschrieb immer wieder, wie tief die deutsche Kultur, insbesondere die Musik, ihn rührte. »Ich öffnete die alten Hefte, buchstabierte mich tastend auf dem Klavier und diese kleinen Wasseradern, diese Bächlein von Musik, die mein Herz netzten, sogen sich ein«, schrieb er einmal. »Liebseligkeit, Schmerzen, Wünsche, Träume von Mozart und Beethoven, ich habe euch mir einverleibt. In jedem Augenblick, wenn ich den Geist und das Herz verderbt fühle, habe ich mein Klavier und bade in Musik.«11

Eine politische Entsprechung fand dieser warme Ton in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre. Die guten persönlichen Beziehungen zwischen dem französischen Außenminister Aristide Briand und seinem deutschen Amtskollegen Gustav Stresemann hatten das gegenseitige Misstrauen zwar nicht völlig verschwinden lassen, gaben aber Anlass zu Hoffnung. »Fort mit den Pistolen, den Maschinengewehren, den Kanonen«, triumphierte Briand nach Inkrafttreten der Verträge von Locarno im September 1926, besiegelt durch den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. »Freie Bahn für die Versöhnung, die Schiedsgerichtsbarkeit und den Frieden!«12 Das Prinzip der institutionalisierten Verständigung schien sich durchzusetzen, die Aussicht, Deutschland in diplomatische Netze einzubinden und dadurch zu zähmen, konnte, so dachte man, auf gute Gründe zählen. Zusätzlichen Schwung erhielt diese Hoffnung 1929, als Deutschland durch den Young-Plan erheblichen Nachlass bei den zu leistenden Kriegsreparationen erhielt, zu denen es zehn Jahre zuvor verpflichtet worden war. So hoffnungsvoll war 1928 die Regierung Poincaré, dass sie 1928 den Militärdienst von anderthalb auf ein Jahr reduzierte.

Paris unterm Hakenkreuz

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