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Wie Viren unkontrollierte Zellteilung initiieren

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Virusinfektionen können auch beim Hund über verschiedene Mechanismen zum Auslöser einer Tumorerkrankung werden.

Der Entwicklungsprozess einer viral bedingten Tumorentstehung ist sehr genau erforscht. Ein Virus selbst verfügt nur über eine sehr geringe Anzahl von Genen und benötigt für seine eigene Vermehrung daher die Mechanismen höher entwickelter Organismen. Um ihre eigene Vervielfältigung voranzutreiben, integrieren einige Viren daher ihre eigene Erbinformation dauerhaft in das Genom des jeweiligen Wirtes und nutzen dafür jene Abschnitte der DNA, die zwischen den Genen liegen und deren Steuerungs- oder Schalterfunktionen wir bereits kennengelernt haben. Die Viren greifen so unmittelbar in die genetischen Steuerungsmechanismen ihres Wirtsorganismus ein und arbeiten auf eine vermehrte Zellteilung hin, denn sie haben natürlich ein Interesse daran, ihr eigenes Genom zu kopieren und damit ihre eigene Vermehrung sicherzustellen. So aktivieren sie – aus ihrer biologischen Sicht heraus folgerichtig – insbesondere Onkogene, die die Zellteilung infizierter Zellen beschleunigen. Der Schalter im Steuerungsmechanismus des Genoms steht damit sozusagen dauerhaft auf ON, der Teilungsmechanismus der Zelle bleibt permanent eingeschaltet.

Zu den ersten Viren, deren karzinogenes Potenzial in der Onkologie erforscht und nachgewiesen werden konnte, gehören die sogenannten Retroviren. Der Begriff Retroviren kürzt die korrekte Bezeichnung als Reverse Transkriptase Onkoviren ab, ein Name, der den Mechanismus, dem diese Viren folgen, sehr genau beschreibt. Ihre Erforschung in Zusammenhang mit onkologischen Fragen warf seinerzeit eines der großen molekularbiologischen Gesetze über Bord: Über viele Jahrzehnte hinweg war man davon ausgegangen, dass die Transkription des genetischen Codes nur in eine Richtung erfolgen kann, nämlich von DNA in RNA. Die genetischen Informationen der Retroviren aber sind nicht auf DNA-, sondern auf RNA-Molekülen gespeichert. An den Retroviren erkannten die Molekulargenetiker, dass die Übersetzung des genetischen Codes auch in die umgekehrte Richtung von RNA in DNA möglich ist – eben als reverse Transkriptase.

Retroviren nutzen genau diesen Mechanismus: Sie tragen ihre eigenen genetischen Informationen in diejenigen Abschnitte der DNA ein, die zwischen den eigentlichen Genen liegen, und übernehmen damit die entscheidenden Steuerfunktionen darüber, ob die nachfolgende genetische Codierung abgelesen und in ein Protein umgesetzt wird oder nicht. Das Retrovirus beeinflusst damit also die Aktivierung oder Deaktivierung der nachfolgenden genetischen Codierung.

Retroviren tragen sich in das Genom des Wirtes ein. Dort können ihre genetischen Informationen die Steuerfunktionen der DNA verändern und so das biologische Verhalten und die Teilungsaktivität der Zellen beeinflussen. Damit sind Retroviren potenzielle Karzinogene.

Durch die erfolgreiche Abwehrreaktion des Immunsystems des betroffenen Organismus hat ein Virus, das sich dauerhaft in das Genom eintragen kann, an sich keinerlei Funktion mehr, und der Wirt kann beschwerdefrei und ohne klinische Anzeichen einer Infektion mit dem Virus leben. Hatte ein Organismus aber einmal im Leben Kontakt mit diesem Virus, dann lässt sich diese Infektion auch zu jedem späteren Zeitpunkt im Genom der infizierten Zellen nachweisen: Eine entsprechende Untersuchung findet die genetischen Informationen, die das Virus in der DNA des Wirtes hinterlassen hat. Für die direkte Virenvermehrung ist dieser genetische Abdruck dank eines funktionierenden Immunsystems bedeutungslos, aber durch die veränderte Steuerfunktion über die nachfolgende genetische Codierung kann das Virus so beispielsweise bei FeLV-positiven Katzen zum Auslöser eines Lymphoms werden. Noch ist die Forschung nicht bei allen Spezies auf dem gleichen Stand: Beim Menschen und bei der Katze sind die Viren, die Lymphome auslösen können, bekannt. Beim Hund ist ein derartiges tumorinduzierendes Virus, das Lymphome begünstigt, Gegenstand aktueller Forschung.

Neben den Retroviren sind heute eine ganze Reihe weiterer Onkoviren bekannt, die über das Potenzial verfügen, eine Tumorerkrankung auszulösen und die dafür die unterschiedlichsten Strategien verfolgen. Auch das Papillomavirus, das beim Menschen Auslöser für Gebärmutterhalskrebs ist, gehört zu den Onkoviren. Das Papillomavirus nutzt verschiedene Mechanismen, um sich der Immunüberwachung durch den Organismus des Wirtes zu entziehen: Eine seiner erfolgreichsten Strategien ist die Blockade des p53-Gens, dessen wichtige Funktion als Tumorsuppressorgen wir bereits kennengelernt haben. Darüber hinaus können die chemischen Produkte der viralen DNA den programmierten physiologischen Zelltod verhindern. Beim Menschen und ebenso beim Hund ist das Papillomavirus für warzenähnliche Umfangsvermehrungen verantwortlich und gilt heute als eines der bekanntesten und am besten erforschten Viren mit hohem karzinogenem Potenzial. Eine auf das Papillomavirus zurückzuführende Erkrankung beim Hund ist beispielsweise die sogenannte Junghunde-Papillomatose. Dabei entstehen warzenartige Wucherungen, zumeist im Bereich der Schleimhaut. Sind diese benignen Tumoren eindeutig als solche diagnostiziert, wird der Tierarzt trotz eines unübersehbaren Krankheitsbildes in diesen Fällen vermutlich nicht eingreifen. Das Immunsystem des heranwachsenden Hundes entwickelt sich weiter und greift selbstständig erfolgreich in das Krankheitsgeschehen ein, bis das überschüssige Gewebe abfällt und die Haut verheilt. Darüber hinaus aber können Hunde jeden Alters Papillome entwickeln. Diese warzenähnlichen Gebilde auf der Haut sind zunächst absolut harmlos, tragen aber durchaus das Potenzial einer weiteren Karzinogenese in sich und können zu einem malignen Plattenepithelkarzinom entarten.

Der mögliche genetisch fixierte Abdruck einer überstandenen Virusinfektion bleibt trotz einer erfolgreichen Immunabwehr des Organismus erhalten und kann so zum potenziellen Auslöser einer Tumorerkrankung werden.


Hier hat eine Feinnadelaspirationsbiopsie den klinischen Verdacht eines Papilloms bestätigt. Die Umfangsvermehrung zeigt seither keine Veränderungen, sodass auch keine chirurgische Entfernung notwendig ist.

Die häufigen durch das Papillomavirus hervorgerufenen Papillomawarzen des Hundes sind zwar gutartige Umfangsvermehrungen, sollten aber dennoch regelmäßig vom Tierarzt kontrolliert werden, denn sie könnten sich im Laufe der Zeit zu einem bösartigen Plattenepithelkarzinom entwickeln.

Soll eine Zelle aktiv werden, ein Protein produzieren oder ihre Teilung vorbereiten, benötigt sie dazu zunächst das Signal eines Botenstoffes. Dieser Botenstoff dockt an einen entsprechenden Rezeptor der äußeren Zellmembran an, und die jeweilige Information wird in einer mehrstufigen Signalkaskade bis in den Zellkern weitergeleitet. Die Produktion des angeforderten Proteins, beispielsweise eines Hormons, funktioniert nun ähnlich wie in einer kleinen Fabrik. Die fertigen Erzeugnisse werden aus der produzierenden Zelle herausgeschleust und gelangen über die Transportwege des Organismus schließlich an ihren Wirkungsort. Dies ist ein absolut physiologischer Vorgang. Entscheidend dafür, dass das entsprechende Gen aktiviert und der Produktionsprozess ausgelöst wurde, war das ursprüngliche Signal des Botenstoffes. Diese Aktivierung aber kann – wie beschrieben – ebenso durch die Veränderungen in den Schalterfunktionen der DNA erfolgen. Wenn diese Steuerungen beispielsweise durch ein eingeschriebenes Virengenom fehlgeleitet sind, signalisieren sie gleich einem defekten ON/OFF-Schalter permanent die Notwendigkeit einer Produktion. Diese führt nachfolgend zur Zellteilung, ist ausschließlich durch die Viren initiiert und für den Organismus jetzt keineswegs notwendig. Die fehlgeleiteten Steuerungsmechanismen führen also zu einer beständigen Zellteilung als eine physiologisch vollkommen sinnlose Aktivität, für die kein vernünftiger Grund besteht.

Eine veränderte und fehlgeleitete Steuerfunktion in der DNA einer Zelle kann zu einer physiologisch vollkommen sinnlosen Zellaktivität führen.

Veranschaulichen wir uns diesen Vorgang an einem Beispiel: Ein physiologischer Grund für eine Zellteilung ist beispielsweise eine Hautverletzung, denn der Organismus muss diese Gewebsschädigung wieder verschließen. Dabei führen verschiedene Mechanismen zunächst zu einer Gefäßverengung, damit die Blutung gestoppt wird. Später werden Gewebshormone freigesetzt, die den notwendigen Reparationsprozess der Haut in einem ausgewogenen Vorgang steuern. Gewebshormone signalisieren den Bindegewebszellen die Notwendigkeit zur Teilung, um den Defekt zu schließen. Eine ruhende Bindegewebszelle wird mit diesem Signal zu einer aktiven Zelle, deren Zellteilungsprozess beginnt. So entsteht Granulationsgewebe, das den verletzungsbedingten Defekt langsam verschließt. Zusätzlich setzt eine verstärkte Angiogenese ein: Neue kleine Blutgefäße, Kapillaren, werden gebildet, die das junge Gewebe mit Blut und damit mit Nährstoffen versorgen. Dieser Prozess der Zellteilung, der für die Reparatur der Schädigung notwendig ist, hält so lange an, bis die Grenzen des Defektes aufeinandertreffen und die Wunde sich geschlossen hat. In diesem Moment der Berührung zweier Zellen setzt die sogenannte Kontaktinhibition, die Kontakthemmung, ein: Das Signal zur Produktion des Gewebshormons und damit für die Zellteilung wird gestoppt. Der Defekt ist geschlossen, die physiologische Zellteilung ist beendet. Wird dieser Prozess der Zellteilung nun aber ohne einen traumatischen Defekt nicht physiologisch durch Gewebshormone, sondern beispielsweise durch die genetischen Spuren, die das Papillomavirus in den Steuerungsmechanismen der DNA der Zelle hinterlassen hat, ausgelöst, kommt es zu einem plan- und sinnlosen, überschießenden Wachstum und zu den vom Papillomavirus hervorgerufenen typischen Krankheitsbildern und Wucherungen.

Alle Veränderungen, die karzinogene Faktoren in der DNA hervorrufen, können ebenso wie echte Genmutationen zu einem unkontrollierten Zellwachstum führen.

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