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Mentale Stärke – denn wer sich aufgibt, stirbt

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»Die Seele hat die Farbe deiner Gedanken.«

Mark Aurel

Michael Phelps, der erfolgreichste Schwimmer aller Zeiten, wurde einmal gefragt, weshalb er so viel besser sei als alle anderen. »Der Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg beträgt nur zehn Zentimeter«, antwortete er. Damit meinte er nicht die zehn Zentimeter Armlänge oder Körpergröße, die ihn vielleicht von seinen Konkurrenten unterscheiden. Oder den Abstand zum Nächstplatzierten in der Schwimmbahn. Er meinte die zehn Zentimeter zwischen seinen Ohren. Also das, was in seinem Kopf passiert, wenn er schwimmt. Der Wille zum Sieg. Die Bereitschaft, noch mehr aus sich herauszuholen. Gut, diese Erkenntnis ist nicht unbedingt neu. Manager, Gurus und spirituelle Meister sagen seit jeher, dass man die Kraft der Gedanken nicht hoch genug einschätzen kann. Und dass sich Erfolg, Attraktivität und Glück tatsächlich im Kopf entscheiden – weil wir unsere Gedanken steuern können. Man muss aber nicht ein Unternehmen wie Apple gegründet oder unzählige Goldmedaillen gewonnen haben, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Die Teenager, mit denen ich gesprochen habe, sagten mir alle, dass ab einem gewissen Punkt keine brandneue Therapie mehr greift und kein kongenialer Arzt mehr hilft. Dann muss man schlicht und ergreifend leben wollen. »Wer sich aufgibt, stirbt«, meinte Julian, als er mir von seiner Knochenkrebserkrankung erzählte. Und Kathi sagte, dass sie niemals auch nur daran gedacht hat, an Leukämie zu sterben. Obwohl es bei ihr Momente gab, in denen sie mehr tot als lebendig war. In den schlimmsten Momenten dachte sie ganz bewusst immer wieder an Sport. Sie wollte spüren, wie es sich anfühlen würde, beim nächsten Stadtlauf durchs Ziel zu kommen. Oder eine komplizierte Turnübung endlich geschafft zu haben. Nach dem Motto: Was ich mir vorstellen kann, wird eines Tages zur Realität. Visualisieren kann uns manchmal zu Superhelden werden lassen – in unseren eigenen Köpfen. Wie oft habe ich mich mit dem Abi-Zeugnis in den Händen gesehen, als ich gerade für eine schwere Matheklausur gelernt habe. Ein Tipp, den mir übrigens meine Mama gegeben hatte.

Meine Lektorin, die mit mir an diesem Buch gearbeitet hat, erzählte mir eine ähnliche Geschichte. Ihre Tochter war lebensbedrohlich erkrankt. Sie musste dialysiert werden – und es sah erst einmal nicht so aus, als würde sich ihr Zustand verbessern. Dann fingen Mutter und Tochter an, ein Gesundfest zu planen. Das Mädchen überlegte, die Mama schrieb auf. Wer soll eingeladen werden, was wird es zu essen geben? Die Rezeptlisten existieren bis heute. Als es der Tochter besser ging, sie aber noch nicht wieder laufen konnte, hat sie für jeden Gast eine Einladung gemalt. Es waren sehr viele. Meine Lektorin erzählte mir, wie sie den unbändigen Lebenswillen ihrer Tochter gespürt hat. Als die Krankheit überstanden war, wurde das große Gesundfest gefeiert. Manchmal braucht man im Leben eben eine intensive Vorfreude – nichts anderes ist es ja, dieses Visualisieren.

Vielleicht muss man tatsächlich existenzielle Erfahrungen machen, um zu erkennen, zu was wir fähig sind, wenn wir mental stark bleiben und es schaffen, unsere Gedanken in eine positive Richtung zu lenken. Hirnforscher sagen ja schon lange, dass wir Glück üben können. Und zwar, indem wir ganz bewusst an Orte und Personen denken, die wir lieben. Durch diese Art der positiven Manipulation werden jene Regionen im Hirn trainiert, die für gute Gefühle zuständig sind. Verwenden wir hingegen viel Zeit darauf, über Schlechtes nachzudenken, werden eben jene Hirnregionen stärker gefordert und wachsen entsprechend. Weil es unserem Gehirn leichter fällt, die ausgetretenen Pfade zu gehen, haben wir dann automatisch mehr negative oder positive Gedanken – eben so, wie wir uns selbst konditioniert haben.

Der Gedanke liegt nahe, dass man automatisch traurig wird, wenn man Dauergast auf der Kinderkrebsstation ist. Wenn man ständig Ärzte sieht und Krankenhausessen vor die Nase gestellt bekommt. Oder wenn permanent jemand zum Blutabnehmen vorbeikommt. Da muss einem ja zwangsläufig die Lust aufs Leben vergehen. Auf wundersame Weise schaffen es aber gerade die Kinder und Jugendlichen, denen es körperlich schlecht geht, fröhlich zu bleiben. »Uns bleibt ja nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen. Wenn man keine Haare mehr auf dem Kopf oder gerade sein Bein verloren hat, braucht man auch nicht mehr einen auf cool zu machen. Dann freut man sich einfach, dass man eine Runde auf der Playstation zocken kann«, sagte Julian. Er erzählte auch, dass er viel Zeit im Spielzimmer mit seiner Lieblingserzieherin verbrachte. Vor seiner Erkrankung wäre das undenkbar für ihn gewesen. Aber auf einmal zählte das kleine Glück – eine Runde ›Mensch ärgere dich nicht‹ zum Beispiel.

Wir alle halten uns häufig am Negativen fest. Man wird zornig, weil das Auto nicht anspringt, die Rechnung vom Handwerker doch teurer ausfällt als gedacht oder es am Sonntag schüttet wie aus Kübeln. Oft regt man sich auch auf, weil man sich mit einer guten Freundin gestritten hat. Weil man ein bisschen zugenommen hat. Oder weil der Chef einen nicht genug lobt. Vor lauter Alltag, der gefälligst so reibungslos wie möglich ablaufen soll, vergessen wir, das Schöne wahrzunehmen. Wie wäre es stattdessen damit: Das kleine Glück sehen, während man auf das große Wunder wartet. Sich über die Freunde freuen, die sich regelmäßig melden, anstatt sich über die zu ärgern, die sich abgewandt haben. Dem Chef auch mal einen schlechten Tag gönnen – und dem Handwerker sein Geld. Und wenn es mal regnet, sich gemütlich auf dem Sofa einkuscheln und eine Kerze anzünden. Reine Kopfsache. Man kann den Wind verteufeln. Oder ihn dafür feiern, dass er einem ordentlich den Kopf durchpustet.

Wie so oft im Leben: Es ist alles eine Frage der Perspektive. Wir können selbst entscheiden, mit welcher Einstellung wir durchs Leben gehen, welche Haltung wir einnehmen. Und wie stark wir mental sind, wenn es das Schicksal gerade nicht gut mit uns meint. Die Jugendlichen, mit denen ich gesprochen habe, zeigten mir: Es geht bei uns allen um diese zehn Zentimeter. Sie machen den kleinen großen Unterschied.

Der Tod kann mich mal!

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