Читать книгу Der Tod kann mich mal! - Kira Brück - Страница 4
ОглавлениеDer Tod kann uns alle mal – es lebe das Leben
»Das Leben ist wundervoll.
Es gibt Augenblicke,
da möchte man sterben.
Aber dann geschieht etwas Neues,
und man glaubt, man sei im Himmel.«
Edith Piaf
Mit 17 hat man noch Träume: »Work and Travel« in Australien, mit der Fußballmannschaft aufsteigen, endlich einen festen Freund. Oder raus aus der Intensivstation, nicht mehr ständig Schmerzen aushalten müssen, den Krebs besiegen. Junge Menschen, die sich in einem Alter, in dem das Leben erst so richtig losgeht, schon mit Chemotherapie und Testament, Krankenhausessen und Metastasen-Wachstum beschäftigen müssen, brauchen viel Kraft, um an das Glück zu glauben. Und Stärke, um ihre verzweifelten Familien zu ertragen. Wie John Green in seinem genialen Jugendroman ›Das Schicksal ist ein mieser Verräter‹ schreibt: »Ich wollte meine Eltern glücklich machen. Denn es gibt nur eins auf der Welt, das ätzender ist, als mit sechzehn an Krebs zu sterben, und das ist, ein Kind zu haben, das an Krebs stirbt.«
Schwer kranke Teenager verbringen mehr Zeit in Krankenhäusern als in der Schule. Sie haben oft mehr Freunde ohne Haare auf dem Kopf als mit einer hippen Frisur. Und sie reden jeden Tag mit Ärzten, die ihnen ihre Krankheit mit komplizierten Fachbegriffen erklären. Während ihre Freundinnen zum ersten Mal die Pille verschrieben bekommen, nehmen sie täglich die härtesten Schmerzmittel. Und wenn sich die Klassenkameraden auf Studienplätze bewerben, hoffen sie, dass es für sie überhaupt noch ein nächstes Lebensjahr geben wird.
Egal, mit wem sie sprechen, die Menschen sind sprachlos. Was soll man einem Jugendlichen auch sagen, der vielleicht bald stirbt? Das Leben hatte doch noch gar nicht richtig begonnen. So wie Hazel und Augustus, den krebskranken Protagonisten in ›Das Schicksal ist ein mieser Verräter‹, bleibt Jugendlichen auf der Schwelle zwischen Leben und Tod oft nichts anderes übrig, als ihrer Situation mit viel Optimismus und Kampfgeist zu begegnen – und manchmal sogar mit Humor.
Eine alte Journalistenweisheit lautet: »Wer redet, erfährt nichts.« Bei den vermeintlich interessanten Gesprächspartnern fällt Schweigen und Zuhören aber oft schwer. Denn so richtig spannende Ansichten geben sie nicht preis. Vor drei Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sich besonders lohnt, Teenagern zuzuhören. Damals war ich Textchefin bei einem Jugendmagazin. Ich interviewte am laufenden Band junge Menschen. Weil in solch einem Magazin nicht nur die Sonnenseiten des Lebens eine Rolle spielen, traf ich auch Jugendliche, mit denen es das Schicksal nicht besonders gut gemeint hatte. Zum Beispiel Alexandra, die wegen einer Chemotherapie kaum mehr Haare auf dem Kopf hatte. Als ich sie zu Hause in Ingolstadt besuchte, sah es so aus, als hätte sie der Leukämie ganz gut die Stirn geboten. Die damals 16-Jährige und ich saßen auf ihrem Bett und quatschten. Ich wollte gar nicht mehr aufhören, mit ihr über Gott und die Welt zu sprechen – so viele Gedanken hatte sie sich gemacht. Über Liebe, Freundschaft, Tod. Und über das Leben. Alexandra wusste genau, was sie mit ihrem anstellen würde, wenn sie wieder ganz gesund wäre. Ich fragte mich, wie man so viel Lebensmut, Zuversicht und Kraft haben kann, wenn man die letzten Monate im Krankenhaus lag und nicht wusste, ob man jemals wieder die Schule besuchen wird.
Alexandra vertraute mir auch ihren größten Traum an: Sie wollte Modedesignerin werden. An diesem sonnigen Tag im Juli 2012 sah es nicht so aus, als würde sich dieser Traum jemals erfüllen. Denn Alexandra war körperlich schwach – und noch wusste keiner, ob ihre Leukämie-Erkrankung wirklich überstanden war. Sie zeigte mir ihre Bleistiftzeichnungen von Frauen in schicken Roben und ihre selbst genähten Kleidungsstücke, die sie für ihre Atelierpuppe geschneidert hatte. Zurück in der Redaktion schrieb ich ihre Geschichte auf. Und wusste, dass Alexandra nicht irgendeine Protagonistin war. Sondern ein Mädchen, von dem ich viel mehr über das Glück lernen konnte als von allen anderen Interviewpartnern, mit denen ich jemals gesprochen hatte. Ich wollte unbedingt wissen, wie es mit ihr weiterging. Also trafen wir uns, schrieben einander. Alexandra erzählte mir von ihren Leidensgenossen, die sie auf der Onkologie oder in der Reha kennengelernt hatte. Was, wenn sie alle auch so viel zu erzählen hätten? Die Idee reifte. Komm, wir machen ein Buch!
Heute, drei Jahre nach unserem ersten Treffen, besucht Alexandra die renommierte Modefachschule Sigmaringen. Tatsächlich, sie designt und näht eigene Kreationen. Zum Beispiel coole Turnbeutel aus Kunstleder – auf der Vorderseite prangt ihr eigenes Logo. Auf ihrer Facebook-Seite gibt es ein Foto von Audrey Hepburn, darunter das Zitat: »Ich glaube daran, stark zu bleiben, wenn alles schiefläuft. Ich glaube daran, dass fröhliche Mädchen die hübschesten sind. Ich glaube daran, dass morgen ein neuer Tag ist, und ich glaube an Wunder.«
Alexandra hat mir klargemacht, dass es sich lohnt, an die eigenen Träume zu glauben. Julian erklärte mir, wie man in den schlimmsten Situationen seinen Humor nicht verliert. Kathi zeigte mir, warum es so wichtig ist, seine Ziele zu visualisieren. Dank Celine weiß ich, dass man seinem Körper viel mehr abverlangen kann, als man denkt. Von Daniel habe ich die Erkenntnis, dass es manchmal unwahrscheinlich befreiend sein kann, loszulassen. Und Benjamin brachte mir bei, dass man immer aus jeder Situation das Beste machen muss. Für sie alle habe ich dieses Buch geschrieben. Danke Celine, Julian, Alexandra, Alex, Benjamin, Melanie, Laura, Maxi Sophie, Maximilian, Daniel, Kathi und Anna, dass ihr uns an euren Geschichten und Gedanken teilhaben lasst. Eure klugen, hart erkämpften Erkenntnisse über Liebe, Freundschaft und Familie, über Mut, Kraft und Zuversicht ermöglichen uns allen eine neue Perspektive auf den Wert des Lebens. Mit euren Augen gesehen ist auf einmal jeder Tag ein Geschenk. Ich umarme euch – und das Leben.