Читать книгу Die Tochter des Advokaten - Kirsten Schützhofer - Страница 11

17825. Kapitel

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Irgendwann 1782 wurde Sophie dreizehn Jahre alt. Auf ihren Wunsch hin schenkte Fouquet ihr in diesem Jahr ihr erstes Schnürleibchen, das ihre Gestalt, wie sie hoffte, erwachsener und weiblicher aussehen lassen würde, auch wenn es ihr vorerst schwer fiel, sich an die ungewohnte Enge des Kleidungsstücks unter der Leinenjacke zu gewöhnen. Am frühen Nachmittag des gleichen Tages schlich sie sich wieder einmal in den Park von Schloss Montfort. Die Bäume warfen schwere Schatten über das Gras. Zwischen den geometrisch gestutzten Büschen waren Gelächter, Musik und Stimmen zu hören. Jemand ließ einen Drachen steigen. Eine Frau flüchtete kreischend vor einem maskierten Verfolger. Manchmal sah man die rosenholzfarbene Livree eines Dieners aufleuchten. Vom Versorgungstrakt trug der Wind schwache Geräusche herüber: ein Hühnergackern, das Meckern der Ziegen, das Schreien eines Esels.

Die Feste waren zahlreicher geworden, seit sich Monsieur de Montforts jüngerer Halbbruder nach einigen erfolglosen Jahren bei der Armee, in Paris und im Ausland – in England und Italien, sogar Amerika, so erzählte man sich – wieder häufiger hier aufhielt. Sophie blieb einen Moment lang stehen und sah dem lustigen Treiben zu. Die Musiker spielten gerade etwas Sanfteres – eine lockende Melodie, die sich wohltuend vom Hintergrundlärm absetzte. Ein Pärchen verschwand lachend unter den Ästen einer Trauerweide.

Der kleine See, den sie zu ihrem Ziel auserkoren hatte, befand sich am westlichen Ende des Parks. Von dort aus zog sich ein Bach in Richtung Ebene, wurde breiter und breiter und erforderte irgendwann sogar einen Steg. Dessen Zustand hatte schon zu wiederholten Beschwerden der Dorfbewohner geführt.

Als sie ihr Ziel erreicht hatte, blieb Sophie erst einmal stehen. Ein schmaler, felsiger Strand säumte das Seeufer. Kleine, vom Wind aufgeworfene Wellen gluckerten. Entschlossen kletterte sie den Abhang hinab, setzte sich und zog die Schuhe aus. Das glasklare Wasser war kühl an ihren Füßen. Sie entdeckte Fische, Wasserläufer, einen kleinen Frosch. Auf der anderen Seite waren die Steine in Ufernähe grün bewachsen. Sie liebte diesen Ort, an dem nie jemand außer ihr zu sein schien. Sophies See.

Weiden, Erlen und Birken, welche die Feuchtigkeit liebten, schützten sie hier vor neugierigen Blicken. Aus ihrer Rocktasche zog sie ein Buch hervor und begann zu lesen. Stunden vergingen. Als sie den Blick wieder hob, war die Sonne schon deutlich weitergewandert. So spät ... Sie strich sich fröstelnd über die Arme. Eigentlich hätte sie Jeanne helfen sollen. Schuldbewusst blätterte sie eine weitere Seite um. Kurz darauf schreckte sie eine Stimme auf.

»Was liest du denn da?«

Sie sah hoch. Ein Mann, die blonden Haare in einen Zopf gebunden, schaute lächelnd auf sie herunter. Seine weißen, engen Lederhosen waren staubig, wie nach einem Ritt, und auf seiner Stirn hatte sich der Dreispitz, den er nun in der Hand hielt, in einer feinen, staubigen Linie verewigt. Er trug schwarze Reitstiefel, einen schwarzen Rock. Die goldfarbene Weste mit den ebenfalls schwarzen Verzierungen, einer Vielzahl von Knöpfen und einem orangefarbenen Blumenmuster musste ein Vermögen gekostet haben.

Jean-Marie de Montfort. Sophie blickte zurück auf ihr Buch.

»Ist es Monsieur d’Arnauld?«, fragte Jean-Marie und ließ sich neben sie fallen.

»Nein.«

»Rousseau?«, versuchte er es weiter. Sophie schüttelte den Kopf. Er drehte das Buch zu sich. »Oh, die Gefährlichen Liebschaften!« Er schnalzte mit der Zunge. »Man hat mir gesagt, dieses Buch sei verwerflich, kleine Mademoiselle.«

Sie wich seinem Blick aus. Jean-Marie hatte sie einmal auf sein Pferd gehoben, als sie jünger gewesen war, und um den Schlosshof herumgeführt. Für Chevillons Holzpuppe hatte er ein Kleid nähen lassen, wie sie selbst kein schöneres besaß. Sie leckte sich über die Lippen, verstaute ihr Buch dann in der Rocktasche und stand auf.

Jean-Marie sah zu ihr hoch. Er hatte die Langweiler im Garten zurückgelassen, Henris fette Freunde, die ihre Bäuche unter beigen Gilets mit feinen grün-goldenen Streifen tätschelten und davon träumten, frugal und sorglos zu leben wie ein Landmann. Sein Lächeln wurde sanfter. Sophie war groß geworden, ein Kind noch, aber nett anzusehen, mit ihrem ovalen Gesicht und dem langen dunklen Haar, das im Sonnenlicht rot aufschimmerte. Manchmal, wenn er an Fouquets Haus vorbeikam, konnte er ihr helles Lachen hören. Ihr Mund verhieß schon die Verlockungen späterer Jahre, aber ihre Augen hatten immer noch einen schalkhaften Ausdruck.

»Du bist groß geworden, kleine Sophie«, stellte er fest.

Sophies schmale Kinderbrust bebte gegen das Schnürleibchen. Groß geworden, was bildete der sich ein! Sie war eine Frau. Kaum konnte sie sich beherrschen, an dem ungewohnten Kleidungsstück zu zupfen. Empörung zeichnete sich deutlich auf ihrem Gesicht ab. Jean-Marie registrierte es amüsiert, bückte sich dann und ließ einen Stein über das Wasser springen. Eins, zwei, drei, vier ... Er bemerkte, dass sie sein Treiben aufmerksam beobachtete, wusste, dass es sie nun in ihren Fingern juckte ... Er suchte nach einem neuen, geeigneten Stein.

»Weiß dein Vater, was du so liest?«

»Er weiß es.« Ihr Gesichtsausdruck wurde trotzig. Hätte er je gedacht, dass sie ihr so ähnlich sein würde? O ja, er erinnerte sich.

»Tatsächlich?«

Sophie widerstand dem Bedürfnis, ihm die Zunge herauszustrecken wie ein kleines Kind. »Ja, und ich wünschte«, sie lief feuerrot an, »ich müsste Ihre dummen Fragen nicht über mich ergehen lassen.« Jetzt war es an Jean-Marie, das Mädchen anzustarren. Dreizehn, und hörte sich an wie die Heldin aus einem dieser modernen Romane. Allerdings war der wütende Ausdruck in ihrem Gesicht nun einem vagen Schrecken über das eigene, vorlaute Mundwerk gewichen. Kurz betrachtete er sie mit allem aufzubringenden Ernst, dann musste er lachen. Erleichtert stimmte sie ein.

Die Tochter des Advokaten

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