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Mai 17847. Kapitel

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Jules de Montfort heiratete Cécile de Lautrec im Mai des nächsten Jahres, an einem Tag, der so hell war, dass das kostbare Kleid und das helle, ungepuderte und in langen, englischen Locken über den Rücken herabhängende Haar seiner Frau aufschimmerte. Man hatte Tische im Hof aufstellen lassen, wo sich die weniger vornehmen Gäste für einige Stunden vergnügen sollten, die anderen hatten sich längst im ganzen Schloss verteilt, und für Stunden war er nur damit beschäftigt, Céciles weitläufiger Verwandtschaft die alten Verliese im letzten übrig gebliebenen mittelalterlichen Turm zu zeigen.

Es war ein schöner, aber anstrengender Tag. Endlich hatte Jules sich, ein Glas in der Hand, in einen Sessel fallen lassen können, um das Treiben um sich herum zu beobachten. In unmittelbarer Nähe begutachtete Céciles Vater eine Vase, ihre Mutter inspizierte einen der Wandteppiche.

»Ist sie römisch?«, fragte ihn Monsieur de Lautrec unvermittelt.

»Sicher.« Jules versuchte zu lächeln. Es gab weitaus mehr Klauseln in ihrem Ehevertrag, als Céciles Vater noch Haare unter seiner Perücke hatte, dachte er gehässig. Die Familie de Lautrec hatte größten Wert auf die Offenlegung aller Vermögensverhältnisse gelegt.

»Und der Teppich?«, war nun auch Madame de Lautrecs gepresste Stimme zu hören.

»Definitiv nicht römisch.« Jules nahm einen Schluck aus seinem Glas, um das winzige Lächeln zu verbergen, das sich trotz größter Anstrengung auf sein Gesicht stehlen wollte.

Céciles Mutter sah ihn erbost an.

»Natürlich nicht«, murmelte sie und war wegen der zwei Bällchen Kork, die Madames Wangen aufpolsterten und über den Verlust ihrer Zähne hinwegtäuschen sollten, nur undeutlich zu verstehen.

Jules lächelte freundlich. »Die Arbeit einer Vorfahrin, Madame, Kreuzzüge. Der Gatte war fort, und Madame stickte.« Er nahm wieder einen Schluck. Oder was auch immer sie sonst tat. Gott sei Dank wandte sich Madame de Lautrec nun ab, augenscheinlich, um nochmals die Stoffqualität zu prüfen, und er stand auf, so rasch es ihm sein Bein erlaubte, und entkam in den Nachbarsaal.

Wo seine Frau war, wusste er schon lange nicht mehr, und es war ihr wahrscheinlich genauso gleichgültig wie ihm. Größtmögliche Freiheit wollte er ihr noch heute Abend anbieten, für beide Parteien. Er sah sich um. Im Kamin flackerte ein Feuer. Der verschwenderische Einsatz von Kerzen ließ den Raum erstrahlen und brachte die Lüster mit ihren Gehängen zum Funkeln. Gläser klirrten. In den Ecken standen große Blumensträuße. Bedienstete eilten pausenlos von den Serviertischen zu den Gästen und zurück, boten Getränke an, Süßigkeiten und Häppchen und alarmierten die wartenden Lakaien derjenigen, die sich übernommen hatten. Der Raum um ihn surrte vor Stimmen. Er sah Damen eng in Schnürleiber gepresst, die ihre schmalen Taillen betonten, die Brust anhoben und die Schultern zurückzwangen. Da gab es kürzere und längere Röcke, und so manche entblößte durch geschicktes Gehen und Wippen ein Füßchen. Rüschen, Schleifen, Bänder und Kunstrosen flatterten. Perlen betonten Hälse und Handgelenke. Ein Fächer aus Papier und Lack, verziert mit orientalischen Motiven, öffnete sich vor ihm und entschwebte dann samt seiner Besitzerin. Eine Dame in einem amaranthfarbenen Kleid hatte sich dekorativ vor dem Täfelwerk mit seinen Rocailleornamenten platziert, die Haare mit eng anliegenden Löckchen à la Pompadour frisiert. Ein Herr in einem achatgrauen englischen Rock tauchte neben ihr auf, gefolgt von einer jungen Frau in einem rosa irisierenden, hellen Satin, der mit charakteristischem Rascheln über ihre Unterröcke schabte. Die meisten Herren hatten ihre Haare gepudert, in einen größeren oder mehrere kleinere Zöpfe gebunden und im Nacken in einem schwarzen Samtsäckchen versteckt. Mancher trug Rolllocken über den Ohren. Unmengen an Stärkemehl mussten in diversen Puderkammern zu Boden gegangen sein. Auch einige Damen trugen heute Perücken, etliche hatten sich sogar an die aufwendigen Hochfrisuren gewagt, und auf einem Kopf thronte, von Pomade, Drahtgestellen, Krepp und Rosshaarkissen in Form gebracht, geschmückt mit Bändern, Federn, Blumen und Figuren, eine ganze Montgolfiere.

»Und zu Faciot für den Kakao!«, krähte jemand trunken. Etwas weiter entfernt echauffierte sich ein kleines Grüppchen. »Und stellen Sie sich vor, dann kamen wir in Livry an, wo der Herzog von Orléans ein wirklich wunderbares Haus hat – und was findet sich gegenüber? Das Haus eines Bankiers! So gerät die gesellschaftliche Stellung durcheinander! Rousseau, die Enzyklopädisten, Voltaire ... Heute ist es schick, über den König zu lästern!«

Jules humpelte in den nächsten Raum, wo sich die meist jungen Tänzer seit Stunden ihrem Vergnügen widmeten. Gerade tanzte man ein Menuett, und danach würde vielleicht der beliebte Kontratanz folgen – englisch in der Gassenaufstellung, französisch im Quadrat – mit seinen vergleichsweise einfachen, hauptsächlich hüpfenden Tanzschritten, dann der Rondeau, die lebhafte Gigue, die Bourrée und natürlich der Rigaudon. Im Nachbarraum spielte man Karten und sprach über das Wetter, besonders über den entsetzlich heißen Sommer und den eisigen Winter des letzten Jahres, sowie die Fortschritte in der Luftfahrt.

»Tja«, zuckte einer die Achseln, »alle sind inzwischen verrückt danach, zu fliegen: die Brüder Montgolfier, Pilâtre de Rozier, fliegende Schafe auf Tabaksdosen, das sind unsere Helden. Das Fliegen ist Mode. In Bordeaux haben sie einen armen Kerl fast gelyncht, der angekündigt hatte, einen Ballon aufsteigen zu lassen, und mit den Eintrittsgeldern fort wollte ...«

»Es sind übrigens scheußliche Couplets über die Königin im Umlauf ...«, warf ein anderer ein.

»Na und? Die Dame stürzt uns in den Ruin mit ihren fixen Moden, und das alles wegen dieser Hutmacherin, mon Dieu! Es fing schon nicht gut an. Erinnert ihr euch an die Hochzeit? Hunderte wurden nach dem Feuer auf der Place Louis XV. zu Tode getrampelt, und alles wegen einer Österreicherin.«

»Schrecklich, so zu sterben.«

»Es soll viel Gesindel unter den Toten gewesen sein.«

Jules trat in den Flur. Auch dort hatten sich Grüppchen zusammengefunden. Man diskutierte, flirtete und verabredete sich für die nächsten Tage zur Jagd. Unten im Hof, den er bald darauf erreicht hatte, hatte die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht. Man bemerkte ihn nicht. Viel Alkohol war schon geflossen, viele Lieder hatte man gesungen.

»Das Gras war tief – erinnre dich! –, dass selbst der Wind vorüberschlich. Da spürte ich dein Blut, das rief Und heiß zu mir herüberlief. Ich hörte deinen Atem gehen – O Liebe, die es nicht mehr gibt– Da schmolz ich hin, da war’s geschehn. Dein rotes Haar hab ich so sehr geliebt.«

Alles wirbelte um ihn. Die Dörfler tanzten irgendwelche Bauerntänze. Musik schwoll auf und ab. Man lachte, und der vertraute Klang ihrer Stimmen hatte etwas Beruhigendes für ihn. Durch das Tor hinaus konnte er gelegentlich zwischen den Leuten hindurch den Weg hinab in den Ort erspähen. Er stellte sich die Häuser vor, wie sie sich an den Hügel schmiegten, und weiter unten die Ebene und in einiger Entfernung wieder einen Ort. Er stellte sich die Olivenbäume vor, die Weinstöcke mit ihren Reben, die über den Boden krochen, um sich vor der Sonne zu schützen. Er dachte an die Trockenheit, die im Sommer alles Grün grau färben würde, an schroffe Felsen, und darüber ein so weiter blauer Himmel, dass es einen schmerzen konnte, an Zypressen, Kirschbäume, Feigen, Oliven und Mandeln, den unvergleichlichen Geruch nach Kräutern, den er in Paris immer vermisste.

Auch einige Diener hatten sich unter die Gäste gemischt, ein paar Hausmädchen. Es roch nach gegrilltem Fleisch hier unten und nach früher. Er hörte ihre fröhlichen Rufe, ihre Witze, das kreischende Lachen einer Frau. Vorsichtig trat er ein paar Schritte näher, vernahm den südlichen Dialekt, der Henri so entsetzte, und erkannte einen leichten Nachklang in seinem eigenen Tonfall. Bauer hatten sie ihn deswegen in der Schule genannt. Aber er gehörte dort nicht hin.

An den Fenstern des Schlosses konnte er von Zeit zu Zeit eine der steifen Perücken erkennen. Morgen würde das Fest vorbei sein, und das ließ die Leute hier unten nur noch heftiger feiern. Dort oben war dieses Fest nur eines von vielen, ein weiterer, langweiliger Zeitvertreib. Hier unten war die Nacht warm und voll flirrender Geräusche, dort oben ...

Noch einmal sah er zu den Tänzern hin und schlug dann den Weg in Richtung des Gartens ein. Sie hatten sicher alle Recht, auch dieser Sommer würde heiß werden, die Luft stickig, sodass man nur schwer Schlaf finden würde. Er kniff die Augen zusammen. Unter ein paar Mandelbäumen hatte sich eine Gruppe Musiker aufgebaut und spielte eine leise, unterhaltsame Melodie. Zahllose Kerzen und Lampen erleuchteten, von Dienern bewacht, Terrasse und Umgebung. Sogar in den Boden hatte man welche eingegraben. Auf den Wegen spielten einige Gäste Boule. Er ging weiter, nickte den Dienern und den Musikern zu und hielt schließlich an. Sein Bein schmerzte – wie immer, wenn er es zu lange belastete –, und er beugte sich vor, um es zu massieren. Noch bevor er sich wieder hatte aufrichten können, war ein weiblicher Körper in sein Blickfeld geraten. »Madame?«, fragte er, langsam den Kopf hebend.

»Mademoiselle!«, berichtigte ihn sein Gegenüber, ein Mädchen mit langem braunem, fast schwarzem Haar.

»Mademoiselle ...«, wiederholte er.

»Mademoiselle Fouquet.«

»Sophie Fouquet? Die Tochter des Rechtsanwalts?« Jules lächelte.

Das Mädchen nickte ihm neugierig zu. »Und Sie sind Monsieur de Montfort, der aus dem Fenster ...« Sie brach unvermittelt ab. »Entschuldigen Sie.«

»Warum?« Ihre Blicke trafen sich, und er bemühte sich, ein verschwörerisches Lächeln aufzusetzen. »Ich bin mir sicher, jeder hier weiß es.« Er richtete sich möglichst gerade auf und versuchte, das Gesicht nicht zu verzerren, obwohl es in seinem Bein immer noch stach und brannte. Verdammte Stümper von Ärzten.

Mademoiselle Fouquet trug eine nicht zu hoch geschlossene Anglaise aus einem grünen Baumwollstoff mit schmalen weißen Streifen, die sich nach unten öffnete. Ihr Rock aus dem gleichen Stoff war kurz genug, um den Blick auf die abgerundeten Schuhspitzen ihrer schwarzen Lederschuhe freizugeben. Wahrscheinlich war alles extra für die Hochzeit angefertigt worden. Er konnte sehen, wie stolz sie darauf war. Unter ihren flinken Bewegungen war ihr Schultertuch verrutscht. Sie trug keinen Reifrock, sondern vermutlich nur kleine Polster über dem Po, einen Cul de Paris ... Errötend und froh über das unzureichende Licht stellte er fest, dass sie außerordentlich weiblich aussah.

»Wir haben uns noch nie gesprochen, oder?«, fragte er in die aufgekommene Stille hinein.

»Nein.« Sie lachte schon wieder. Auch sie hatte ihr Gegenüber genau gemustert. Das war der Junge, den sie früher manchmal im Park gesehen hatte, humpelnd, einen Stapel Bücher unter dem Arm, der immer nur las und kaum lachte und der sie einmal vom Fenster aus beobachtet hatte, wohl in der Annahme, sie könne ihn nicht sehen. Manches Mal war sie ihm gefolgt bei ihren Streifzügen durch den Schlosspark, hatte dann die Lust verloren, denn er kam zu langsam voran. Und doch hatte sie ihn immer wieder getroffen, irgendwo unter einem Baum, das Buch aufgeschlagen, einmal im Gespräch mit einem seiner Lehrer und dann wieder ganz ruhig und düster. »Dünn wie eine Vogelscheuche«, hatte Jeanne ihn ungeachtet der Proteste Fouquets oft genannt. Seit seiner Rückkehr aus der Schule und auch vorher schon hatte er das Schloss und seinen Park kaum verlassen. Manchmal sah man ihn gemeinsam mit seinem Vater zu Pferde, die Zügel fest in den Händen, der Ausdruck starr, weil er sich mit diesem Bein nicht wirklich festklammern konnte. Auf Bällen, sogar auf Dorffesten, hatte Fouquet zu erzählen gewusst, tuschelte man über ihn, weil er nie tanzte und sehr schweigsam war. Kaum, dass man ein Wort aus ihm herausbekam. Angefüllt mit Wissen, denn offensichtlich tat er nicht viel anderes als lesen, war er völlig unfähig zu jener Form von Geplänkel, die das Salz eines jeden aristokratischen Zusammentreffens war.

Als Bräutigam allerdings machte er sich aber ganz gut, fand sie, groß wie er war, auch wenn sein Bein ihn wohl daran hinderte, sich ganz aufzurichten. Er hatte ein klares Gesicht und die schwärzesten Haare der Umgebung. Eigentlich sah er nicht schlecht aus, fast elegant, wenn er sich nicht bewegte.

Jules räusperte sich. Die kleine Fouquet durfte etwa fünfzehn sein, höchstens sechzehn. »Wie alt sind Sie eigentlich, Mademoiselle Fouquet?«, fragte er nachdenklich.

Sofort schnellte eine ihrer Augenbrauen in die Höhe. »Stellen Sie diese Frage allen Ihren weiblichen Bekannten?«

»Nein, Mademoiselle.« Sie hatte eine spitze Zunge.

»Und wie alt sind Sie, Monsieur?«

»Zwanzig, Mademoiselle.«

Jetzt lächelte sie ein bisschen. »Ich bin fünfzehn, Monsieur de Montfort.«

Wieder schauten sie einander an, dann riss ein Geräusch beide aus ihren Gedanken.

»Ich hoffe, Ihre Konversation wird in Paris dereinst ähnliche Höhen erreichen.«

Es war seine Frau, Cécile de Montfort, die auf einmal aus dem Dunkel aufgetaucht war. Irgendjemand hatte ihr eine Rose ins Haar gesteckt, und sie sah unglaublich bezaubernd aus, obwohl schwer zu sagen war, was diesen Zauber eigentlich ausmachte. Vielleicht war es ihr etwas lang gezogenes, energisches, manchmal fast grobes Gesicht, vielleicht dieser fein geschnittene Mund. Vielleicht waren es aber auch ihre hellen Augen oder das blonde Haar.

»Ich muss sagen, ich bin beeindruckt, Monsieur de Montfort.« Mit einer harten Bewegung wandte Cécile sich Sophie zu. »Wer ist das?«

»Sophie Fouquet«, antwortete Jules rau.

»Die Kleine vom Rechtsanwalt?« Cécile ließ mit einer Bewegung ihren Fächer aufschnappen und hielt diesen nun locker in der Hand.

Jules nickte.

»Ich wollte Ihnen eigentlich jemanden vorstellen, Monsieur de Montfort. Lemaire!«

Es war deutlich herauszuhören, dass sie keine Verzögerung duldete. Der Gerufene trat umgehend zu ihnen.

»Monsieur de Montfort, Pierre Lemaire«, stellte er sich vor. Die Verbeugung verbarg für einen Augenblick sein narbiges Gesicht.

Auch Jules hatte den Kopf höflich grüßend geneigt. »Cécile«, er verbesserte sich, »Madame de Montfort hat mir von Ihnen erzählt.«

»Hat sie das?« Lemaire warf Cécile einen vorsichtigen Blick zu.

»Ich habe gesagt, er könne dereinst Sekretär oder Hauslehrer bei uns werden. Mein Vater, Monsieur de Lautrec, hat ihn schließlich ausbilden lassen.« Cécile war zuweilen von einer verletzenden Präzision. »Ich weiß nicht, ob ich noch irgendetwas gesagt habe.«

»Sie haben studiert?« Jules versuchte, interessiert auszusehen.

Lemaire errötete unter seinem dichten, etwas störrischen Schopf. »Ich ...«

»Der gute Lemaire hält sich für einen Poeten.« Cécile ließ ihren Fächer zuschnappen. »Leider bringen seine Verse jeden Hund zum Heulen.« Sie seufzte. »Ich werde zurück ins Haus gehen. Diese Leute hier ...«, sie machte eine unbestimmte Handbewegung, die Hof und Garten einschloss, »rauben einem den Atem.«

Die Zurückgebliebenen schwiegen scheinbar verlegen, bevor Jules endlich wieder das Wort ergriff. »Es tut mir leid, Monsieur Lemaire, ich muss mich wohl für meine Frau entschuldigen.«

»Keine Ursache, Monsieur de Montfort.« Lemaire zögerte. »Ich kenne Madame de Montfort schon recht lange. Um auf Ihre andere Frage zu antworten: Ja, ich habe studiert.« Mit einer raschen Bewegung strich er sich eine Strähne seines Haars aus der Stirn und dann, plötzlich, lächelte er Sophie an. In voller Breite. Über das ganze Gesicht.

Cécile hatte vor ihm den Raum betreten, mit langsamen Schritten, die ihren Rock anmutig wippen ließen. Ab und an hatte Jules auf dem langen Weg den Gang entlang ihre Knöchel erahnen können, weiß bestrumpft mit Schleifchen. Die Dienerschaft hatte das Schlafzimmer hergerichtet. Der Boden glänzte frisch poliert, das Bett war aufgeschlagen, die Vorhänge waren zur Seite gezogen, und auf dem Bild eines schaukelnden Mädchens tanzte Kerzenlicht.

Fröstelnd blieb Cécile stehen. Das Bild dort – sie kannte es, sie hatte es schon beim Vater im Kabinett gesehen – zeigte ein Mädchen, das sich auf einer Schaukel höher und höher schwang, und in den Büschen einen Voyeur. Mit einem Mal spürte sie den eigenen Körper unter den vielen Schichten ihrer Kleidung, den leichten Druck der Schleifen an den Fesseln, die Enge des Schnürleibs. Sie tastete nach dem schmalen Band Seidenröschen um ihren Hals. Ihr Mann war gleich nach dem Eintreten zum Schreibtisch gehumpelt, hatte ein Licht etwas heller gedreht und sah sie nun an.

Er wirkte angestrengt, eine leichte Kerbe hatte sich zwischen den Augenbrauen eingegraben, um die Mundwinkel war ein harter Zug.

»Es ist schön, dass Sie mir größtmögliche Freiheit bieten, Monsieur de Montfort.« Sie sah auf das Bild.

Jules’ Augen verweilten auf ihrem nach oben geschnürten Busen. Der Stecker über dem Schnürleib war weiß und mit silbernen Ranken bestickt, genau wie das Überkleid. Der eng auf dem Panier aufliegende Unterrock war mit einer Vielzahl von zarten Seidenblumen besetzt, die Schuhe aus feinem Maroquinleder verschloss eine Brillantschnalle. Er konnte sie atmen sehen.

»Sie bieten mir größtmögliche Freiheit?«, wiederholte sie, senkte den Kopf und riss ihn dann ruckartig nach oben. »Ich werde diese Nacht also nicht mit Ihnen verbringen.« Es klang wie eine Feststellung. Ihre Blicke prallten aufeinander, doch ihre Augen blieben sehr ruhig, und er war es, dem schließlich tiefe Röte ins Gesicht stieg. »Wie Sie meinen«, murmelte er.

»Es wird natürlich Nachkommen geben, falls Sie dies einwenden sollten.« Sie sah ihn unverwandt an. »Aber ich sehe keinen Grund, verfrüht damit anzufangen, Monsieur.«

»Natürlich nicht.« Jules drehte sich um, angelte ein Stück Papier vom Tisch und warf es in den Kamin, stand da in diesem Rock, den engen Hosen, spürte, wie der Schweiß seinen Körper hinunterlief, und er sich doch anstrengen musste, nicht zu zittern. Dieses verdammte Bein tat schon wieder weh, die unvermeidliche Rache für die Anstrengungen heute, und er hätte sich gerne gesetzt. Von draußen, entfernt, konnte man immer noch Stimmen hören, das Geräusch einer Kutsche, schrilles Lachen. Natürlich waren dem jungen Paar Blicke gefolgt, und er wusste, dass die Alten nun ihre Erfahrungen austauschen würden. Der Pfarrer hatte das Bett gesegnet.

»Ich werde dann in mein Zimmer gehen, Monsieur de Montfort.«

Jules nickte, rückte näher an den Kamin, legte eine Hand auf den in unmittelbarer Nähe stehenden Stuhl und stützte sich ab. Die Hitze tat seinem Bein wohl. Cécile spielte mit einer ihrer langen Strähnen. Im flackernden Licht des Raumes sah ihr weiß geschminktes Gesicht mit den konturierten Lippen und den rosigen Apfelwangen nachdenklich aus. Neben dem linken Auge hatte man ihr eine kleine Mouche platziert ... Plötzlich hatte er es satt, die Behinderung zu verstecken. Mit einem leisen Seufzer ließ er sich auf den Stuhl fallen und streckte das steife Bein von sich.

Cécile ging langsam zur Tür. »Das wird wohl ein wenig Aufsehen geben«, sagte sie.

»Das wird es.« Jules versuchte, das Bein besser zu positionieren, und verharrte dann wieder reglos, den Blick auf das Feuer gerichtet. »Sie könnten die Verbindungstür benutzen.«

»Das könnte ich.«

Er spürte, wie sie ihn anstarrte. Dann trat sie in den Flur hinaus, wo sie noch einmal verharrte. »Lemaire bedankt sich für Ihr gutes Wort«, sagte er. Seine Stimme klang gleichgültig. Von seiner rechten Schläfe rollte eine Schweißperle herab.

»Gute Nacht, Monsieur.«

»Gute Nacht, Madame.« Die Tür wurde zugezogen, und er war allein, überwältigt von dem absurden Gedanken, das Ohr an die Zwischentür zu pressen, um zu hören, was in ihrem Zimmer geschah. Er stand auf und ließ den Rock von seinen Schultern rutschen, zog das dünne Hemd aus der Hose und humpelte zurück zum Kamin. Wie hatte er sich eigentlich seine Hochzeitsnacht vorgestellt?

Die Tochter des Advokaten

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