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Mai bis Juni 17848. Kapitel

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»Im Dorf habe ich sagen hören ...« Sophie nahm den Löffel und rührte in ihrem Teller herum. Aus der kleinen Küche drang der Duft von gebratenen Äpfeln zu ihnen ins Esszimmer herüber.

Fouquet schaute auf. »Was hast du sagen hören?«

»Sie brauchen jemanden für die, die ...«, Sophie suchte nach Worten, »junge Familie.«

In der Küche klapperte es. Dumpfe Schläge ließen gleich darauf vermuten, dass Jeanne einen Teig bearbeitete.

Fouquet zog die Augenbrauen hoch. »Eine Dienerin?« Natürlich würden sich der junge Monsieur de Montfort und seine entzückende Frau aus dem Norden nun ihre eigene Dienerschaft zusammenstellen müssen. Einen Sekretär hatten sie schon, diesen Monsieur Lemaire. »Eine Dienerin suchen sie, ein tüchtiges Bauernmädchen, wie meine Jeanne es einmal war?«

»Nein, eine Gesellschafterin.« Sophie drehte den Löffel zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Eine Gesellschafterin ...?« Fouquets Brauen zeichneten zwei buschige Halbkreise auf seine Stirn. »Warum erzählst du mir das, Kleines?«

»Ich dachte ... Ich habe euch rechnen hören. Die Ausgaben, die Einnahmen, die Ersparnisse, ich dachte ...«

Fouquet schmunzelte. Gestern noch hatte er sie zufällig im Garten gesehen. Von einem Moment auf den anderen hatte sie das Harken sein lassen, mit dem Jeanne sie beauftragt hatte, und war blitzschnell um ihre eigene Achse gewirbelt, hatte den Rock im Wind flattern lassen und war schließlich, wohl von Schwindelgefühlen überwältigt, kichernd zu Boden gegangen. Fünfzehn war sie, seine Kleine, lachende, fröhliche fünfzehn Jahre alt.

»Als Gesellschafterin ...«, setzte sie von Neuem an. Aus der Küche trug Jeanne eine zugedeckte Schüssel herein und verschwand wieder. Sophie folgte ihr mit Blicken. Jeanne, dachte sie, mit Scheuersand. Jeanne beim Gemüseschneiden. Jeanne singend. Jeanne in der Kirche.

Fouquet musterte seine Tochter mit neuem Interesse.

Sie erwiderte seinen Blick. »Sie suchen sicher jemanden, der sich hier auskennt.«

Er schüttelte den Kopf. »Aber du bist die Tochter des Rechtsanwalts!«

»Ich habe euch doch beide sagen hören ...«

»Ich weiß«, mit einer Hand fuhr sich Fouquet über die Stirn, »aber das war nicht für dich bestimmt, kleine Lauscherin!«

»Papa«, ihr Blick wanderte in Richtung Küche, »ich bin fast sechzehn.«

»Du bist fünfzehn, Sophie.«

»Ich könnte so viel lernen.« Sie überlegte. »Ich würde dort sicher zu essen bekommen und wohnen können.«

»Dort wohnen?«

»Das Schloss ist die einzige Möglichkeit, Teil einer«, erneut nach Worten ringend, stützte sie die Ellenbogen fest auf den Tisch, »kultivierten Umgebung zu sein.«

»Einer kultivierten Umgebung? Ich weiß nicht, was dich auf einmal an einer kultivierten Umgebung interessiert, mein Schatz.«

»Man muss an später denken.«

»Na ja!«

»Du hast immer gesagt, ich solle so viel lernen wie möglich.« Sie funkelte ihn an. Ihr Mund verzog sich vorwurfsvoll, dann schob sie ihren Teller ein Stück zurück.

Fouquets Löffel verharrte zitternd in der Luft. »Du hast hier alles, was du brauchst. Habe ich dir auch nur einen Teil meiner Bibliothek verboten?«

Sophie sah ihn nicht an. Sie hatte ein Temperament, das ihm fremd war, eine ungeheure Energie in ihrem Ausdruck. Eine hübsche Fünfzehnjährige, schoss es ihm durch den Kopf, die längst viel ihrer Kindlichkeit verloren hatte. Er hatte ihr dieses Kleid in einem gedeckten Rosé geschenkt, dazu die graue Jacke, die den Rock zu etwa einem Drittel bedeckte und die sie immer noch bis oben hin zuknöpfte, das Fichu um den Hals, aber unter diesem Stoff steckte eine Frau und ...

»Ich habe euch reden hören«, beharrte sie leise. »Die Einkünfte sind nicht mehr wie früher. Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, und du hast selbst oft gesagt, ja, wenn ich einen bezahlten Posten ...«

»Du lauschst zu viel.«

»Nein, ihr redet zu laut.« Sie schob die Unterlippe vor. »Ich habe auch gehört«, fuhr sie dann fort, »dass du gesagt hast, man muss an später denken.«

»Du hast die Bibliothek, Sophie, und den Garten. Weißt du noch, damals, als Jeanne ...«

»Schloss Montfort hat einen Park.« Sie schmollte jetzt.

»Sei nicht albern!« Er wich ihrem Blick aus. »Du hast Jeanne und mich.« Eine Spur zu energisch brach er sich ein Stück Brot ab.

»Wir brauchen das Geld, Papa.«

»Aber wir brauchen keine Almosen! Was glaubst du denn, was sie dir geben werden?«

»Kost und Logis.«

»Und Dinge, die sie nicht mehr brauchen.«

»Papa, ich bin die Einzige ...«

»Ich kenne diese Leute, Sophie, Kost und Logis, alte Kleidung und ab und zu etwas Geld. Sie werden über dich bestimmen, natürlich, sie haben Jahrhunderte über uns bestimmt, aber man muss ihnen nicht auch noch freiwillig alles geben. Wer sagt dir überhaupt, dass sie dich wollen?«

»Ich bin die Tochter des Rechtsanwalts.«

»Sehr richtig.«

»Ich könnte so viel lernen. Eine kultivierte Umgebung ...«

»Kultiviert! Was ist schon kultiviert? In Paris mietet man sich inzwischen tageweise Schafe, um natürlicher zu erscheinen, und die Königin spielt Schäferin.«

Warum hatte er nur plötzlich das Bedürfnis, diesen Schmarotzern nicht alles geben zu wollen? Er war ein ruhiger Mensch. Er hatte nichts gegen die Montforts. Höflich waren sie, bestimmt besser als viele andere. Warum störte ihn heute diese elende Abhängigkeit? Weil er ein eigenständig denkender Mensch war? Weil sie nicht alles haben sollten? Weil er es manchmal satt hatte, auf seine Bezahlung zu warten? Weil er es satt hatte, wenn sie sich durch das Dorf bewegten, als gehöre alles ihnen? Und das tat es ja auch. Kaum einer, der keine Schulden bei Henri de Montfort hatte, und so großzügig dieser auch mit seinen Schuldnern verfuhr, es gab immer wieder Tage, an denen sich ein Häuflein abgerissener Gestalten auf den Weg in die nächste Stadt machen musste, Tage, an denen eine Pacht neu vergeben wurde.

Sophie tauchte ihren Löffel in die Suppe. Wie oft hatte sie die schon gegessen, wie oft hatte sie alles in diesem Haus schon gemacht. War die Treppe hinauf- und hinuntergelaufen, hatte Stunden in Fouquets Bibliothek verbracht, die Augen auf einen der schweren Folianten gerichtet. Alles war ihr plötzlich zu eng, die Küche, ihr Zimmer, das ganze Haus.

»Sie werden dir vorschreiben, wann du mich besuchen darfst, Sophie, sie werden über dein Leben bestimmen«, sagte Fouquet jetzt, ohne den Kopf zu heben.

»Es wäre ja nur vorübergehend.«

»Du bist erst fünfzehn, Sophie.«

Langsam glitt ihr Blick über die weißen Wände des Esszimmers, die dunklen Deckenbalken, die von Jeanne blank gescheuerten Dielen, die schweren Möbel. Sie roch frisch Gebackenes, Äpfel, die Suppe, erinnerte sich auch an den Geruch der feinen Seife aus Weihrauch, Zimt, Rosen- und Lavendelblütenwasser und süßem Mandelöl. Papa hatte sie Jeanne geschenkt, und diese hatte die Seife, wie einen kostbaren Schatz, trocken in Papier eingeschlagen, ganz unten in ihrer Truhe aufbewahrt. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie ihre eigene Waschschüssel mit dem Sprung vor sich sehen, die in ihrer winzigen Kammer stand, die Wasserkanne, das Bett, welches den Raum fast völlig ausfüllte, die Kerze daneben. Sie sah die Haken an der Wand vor sich, an denen ihre Alltagskleider hingen, die zwei, die sie, abgesehen von dem, welches sie trug, noch besaß. Sie sah die schmückenden bunten Bänder, die Papa ihr bei Hausierern gekauft hatte. Sie erinnerte sich auch daran, wie sie abends, wenn sie im Bett lag, auf die Geräusche des Hauses horchte; auf das Knarren der Dielen, auf Papas Schritte auf der schmalen Treppe, darauf, wie Jeanne nachdrücklich die Tür zur Küche zuzog, wo sie schlief, wie Papa sich in der Kammer, die nur durch eine schmale Bretterwand von ihrer getrennt war, für die Nacht bereit machte. Wie er beim Ausziehen schnaufte, manchmal polternd den Halt verlor, in seinen Papieren blätterte und wie schließlich ein leises Schnarchen anzeigte, dass er eingeschlafen war.

Hier unten war alles von einer bedrückenden Enge. Warum verstand er sie nicht? Dort oben im Schloss wurde über so vieles gesprochen. Es gab die neuesten Bücher. Sie hatte die Lieferungen ankommen sehen. Was blieb ihr sonst? Heirat? Aber es gab niemanden. Und wenn sie nur ein wenig von diesen Sachen lernte? Wenn sie Gesellschafterin in einer solchen Familie war, welche Gelegenheiten würden sich bieten! Er hatte sie viele Notizen schreiben lassen in letzter Zeit und ihre Schrift gelobt, ihre Sauberkeit, ihre Schnelligkeit. Dachte er, dass sie seine Schreibarbeiten erledigen würde? Dass sie hier bleiben würde, in diesem schmalen Haus im Schatten des Schlosses? Sie musste dorthin, und er wusste es auch.

Fouquet seufzte. Natürlich hatte er ihre Entschlossenheit bemerkt, ihre zusammengepressten Lippen, den Ausdruck ihrer braunen Augen hinter den dunklen Wimpern, aber er wollte nicht loslassen. Er wollte nicht loslassen, denn seitdem Sophie bei ihm war, war es ihm erschienen, als sei die Welt ein wenig heller geworden, und er war alt genug, sich vor der Dunkelheit zu fürchten. Sie war so hübsch, seine Kleine. Er hörte sich erneut sprechen, hörte seine Stimme, die schon einem alten Mann gehörte, und wusste, dass sie pathetisch klang.

»Es ist gefährlich, du kennst sie nicht, diese Montforts.«

Natürlich hatte er Recht, das wusste Sophie, aber das war es ja gerade, was sie reizte, denn hier kannte sie alles und jeden.

»Ich wäre doch in deiner Nähe, Papa.« Ihre Stimme klang weich.

»Die Leute werden reden, Sophie.«

»Vielleicht.« Sie schaute ihn an, die Augen so weit und offen, dass es kein Entrinnen gab.

Die Tochter des Advokaten

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