Читать книгу Die Tochter des Advokaten - Kirsten Schützhofer - Страница 15

Juni 17849. Kapitel

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Sie hatte sich alleine angekleidet an diesem Morgen und saß nun still da, die Augen geschlossen, darauf wartend, dass man ihr die Frisur richtete, sie in ihr Leibchen schnürte und dieses verängstigte Kind, das sie einmal gewesen war, in Cécile de Montfort verwandelte. Das Morgengewand aus perlgrauer Seide raschelte unter ihren Bewegungen. Ihr Mädchen hatte gerade begonnen, das sorgsam aufgezwirbelte Haar ihrer Herrin auseinanderzuziehen, um später einzelne Strähnen dicht an dicht über das auf dem Vorderkopf befestigte Drahtgestell drapieren zu können. Die über Nacken und Schultern arrangierten Locken waren größer gehalten. Als einzigen Schmuck hatte sie ein Band aus ebenfalls perlgrauer Seide gewählt, welches sich von Ohr zu Ohr durch ihr Haar schlängeln würde.

Cécile zögerte, bevor sie die Augen öffnete. Eine Wolke Puder umschwebte sie; das Mädchen, welches vor ungefähr zehn Minuten von einem Diener hereingeleitet worden war, stand noch immer an derselben Stelle. Cécile gebot ihrem Mädchen innezuhalten und musterte ihren Besuch. »Die Tochter des Rechtsanwalts«, stellte sie endlich mit rauer Stimme fest.

Das Mädchen nickte.

»Es hat sich wohl herumgesprochen, dass ich eine Gesellschafterin suche.«

Erneutes Nicken.

Cécile wandte sich wieder dem Spiegel zu. Man hatte ihren Frisiertisch vor eines der großen Fenster gestellt und eine Decke aus glänzendem rotem Damast darüber gebreitet. Drei kleine Bücher lagen zu ihrer Linken, neben einer Tasse Schokolade, denn sie hatte sich heute Morgen nicht entscheiden können, was sie lesen wollte. Mehrere zarte Flakons mit Duftwässern standen nebeneinander aufgereiht, wohlriechende Destillationen, Rosen- und Orangenblütenwasser, Zimtrinde und Nelken. In einem befand sich ein ätherisches Öl mit Lindenblüten, in einem anderen aromatischer Holunderessig. Rote Lippenpomade wurde in Porzellantiegelchen aufbewahrt, außerdem gab es Zahnpulver, Mundwässer und Pastillen sowie Perückenpuder in Weiß, Grau und Blond. An den Wänden hingen Bilder aus dem Besitz der Montforts: Landschaften, Sagengestalten, Porträts ihrer neuen Verwandtschaft. Porzellan, Kristall und silberne Kleinigkeiten waren überall verteilt auf den Tischchen und Kommoden voller Rocaillen. Ein alter Fauteuil stand in der Nähe des Kamins. Einiges hier würde sie austauschen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot, und diesen im Stil Louis-quinze überladenen Raum völlig neu und nach ihrem Geschmack gestalten – in blassem Blau mit weißen Ornamenten und eleganteren englischen Möbeln, mit einem persischen Blumenteppich in Rosé, Creme und Blau.

Diese Sophie Fouquet hatte den Kopf nicht wirklich gehoben, seitdem sie in das Zimmer getreten war. Cécile drehte sich wieder zu ihr um. Da stand sie, Rechtsanwalt Fouquets Tochter, das Findelkind, in einem roséfarbenen Kleid, einer bis oben zugeknöpften grauen Jacke, ein weißes Fichu über dem Dekolleté verknotet, die Haare im Nacken einfach zusammengenommen. Die Kleidung war aus einem einfachen, gefärbten Baumwollstoff geschneidert, nicht unbedingt billig, da sie offensichtlich extra für das Mädchen angefertigt worden war, aber auch nicht besonders teuer. Céciles Blick wanderte zu den Schuhen aus Ziegenleder, dann zurück zum Gesicht des Mädchens.

»Was hat Sie dazu gebracht, zu glauben, ich sei an einer ... Wie alt sind Sie?«

»Fünfzehn.«

»... Fünfzehnjährigen interessiert?«

»Ich bin eines der wenigen Mädchen im Umkreis, das gut lesen kann.«

»Das gut lesen kann?«

»Ja.«

»Was verstehen Sie darunter?« Cécile hatte sich kaum bewegt, und doch signalisierte die Haltung ihres Kopfes nun ein wenig Aufmerksamkeit.

»Dass ich besser lesen kann als die Mädchen von den kleinen Schwestern.«

»Sind Sie immer so anmaßend?«

Cécile gebot ihrem Mädchen weiterzuarbeiten und beobachtete Sophie durch den Spiegel. Das einzige Mädchen im Umkreis, das gut lesen kann; wie absurd: eine Göre, deren Blicke nervös durch den Raum schweiften, sich an Stühlen, Bildern, Kerzenhaltern, an den Büchern auf dem Tisch, an Flakons, an dem Necessaire aus Silber und Schildpatt verfingen und immer wieder an Cécile selbst hängen blieben. Nun allerdings schien sie sich endlich aus ihrer Erstarrung gelöst zu haben und lief auf die an der gegenüberliegenden Wand stehende Kommode zu. »Ist das ein Montgolfier-Modell?«

»Rechtsanwalt Fouquets Tochter kennt die Brüder Montgolfier?«

»Ja, Papa ...«, Sophie hielt die Augen auf den azurblauen Miniaturballon gerichtet, »Monsieur Fouquet hat mir davon erzählt und natürlich von Monsieur de Rozier und dem Musée des Sciences.« Wieder schaute sie auf den Ballon. »Kennen Sie Monsieur de Rozier, Madame? Waren Sie einmal im Musée des Sciences

»Nein.« Cécile bedeutete ihrem Mädchen, sich zurückzuziehen, und drehte sich in Sophies Richtung. »Wenn Sie nicht so unendlich dumm wären, wie alle in dieser Gegend, dann wüssten Sie, dass Frauen nicht zugelassen sind. Es sei denn, sie haben die Empfehlung dreier Mitglieder.« Sie wandte sich wieder ihrem weiß geschminkten Spiegelbild zu. Nur noch ein wenig rote Lippenpomade ... Gefährlich bogen sich ihre Augenbrauen, und sie wusste, dass ihr auf dem nächsten Fest viele Verehrer sicher sein würden. Sie hatte diesen Blick stundenlang geübt.

»Sie interessieren sich für diesen Ballon, Madame?« Diese Kinderstimme hatte sie erneut aus den Gedanken gerissen. Sophie Fouquet stand neben ihr, den Ballon in der Hand.

Mit einer raschen Bewegung nahm Cécile ihr das Modell ab. »Wer tut das nicht? Montgolfier, Blanchard, Robert, Rozier, die Montgolfiere, die Charliere, brennbare Luft, der Aerostat ... Ich werde Sie wissen lassen, wie ich mich entscheide.«

Die Tochter des Advokaten

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