Читать книгу Trotz Corona - Klaus F. Geiger - Страница 13
8
ОглавлениеEs gibt nicht wenige Kommentare, die in der aktuellen Krise, wo es um Tod oder Leben von Hunderttausenden von Menschen geht, den Begriff „systemrelevant“ gebrauchen. Die Kommentatoren setzen in feiner Ironie voraus oder sprechen deutlich aus, dass sie den Begriff aus einer Debatte entleihen, in der es vor zwölf Jahren um die globale Finanzkrise ging und darum, dass der Staat eingreifen müsse, um Großbanken zu retten, die für das System relevant seien.
Heute, so heißt es jetzt, seien ganz andere Bevölkerungsgruppen systemrelevant, nämlich Ärzte und Pflegerinnen, Feuerwehrmänner und Verkäuferinnen. Sie – die (bis auf die Ärzte) weder einen hohen Status noch eine hohe Bezahlung genießen – seien jetzt relevant, weil sie Leben retten und unsere Versorgung aufrecht erhalten. In dieser Aussage erhält nicht nur der Begriff „Relevanz“ eine neue Bedeutung, sondern auch der Begriff „System“. Denn plötzlich erscheint nicht mehr das Wirtschaftssystem als relevant, das sich aus Produzenten und Konsumenten und Eigentümern zusammensetzt, das kapitalistische System, in dessen Lenkungszentrum die sogenannten „Märkte“ sitzen, das Finanzkapital, das aus dem Auf und Ab der Produktion und der finanziellen Situation ganzer Länder Gewinne zu kreieren versucht.
Nein: „System“ meint jetzt: Gesellschaften, Bevölkerungen, soziale Beziehungen, Millionen von Leibern, deren Existenz bedroht ist und gesichert werden soll.
In den zitierten Kommentaren wird auch auf die Zeit nach Ende der Pandemie verwiesen: Wir sollten dann die Relevanz der heute im Rampenlicht stehenden Gruppen nicht vergessen. Wir sollten sie endlich besser honorieren (im Doppelsinne: anerkennen und bezahlen). Wir sollten um Himmels Willen (!) nicht wie in der neoliberalen Logik der Gewinnmaximierung sie wieder primär als Kostenfaktor betrachten und wegrationalisieren. Das sei eine Frage der Humanität, aber auch des Selbstschutzes unserer Gesellschaften, die heute erfahren, welche gefährliche Folgen es hat, wenn im Gesundheitswesen gespart wird, Folgen, die im Augenblick der Krise nur in kleinem Maße korrigiert werden können – oder parallel dazu, wie Waldbrände sich ausbreiten, wenn vorher Etats für Feuerwehren gekürzt worden sind.