Читать книгу Trotz Corona - Klaus F. Geiger - Страница 14
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ОглавлениеIch mache mich auf zu einem kleinen Spaziergang durch mein Wohnviertel. Den ganzen Tag zu Hause sitzen, das kann ich nicht. Es ist Anfang April, ein kühler Wind weht, doch in der Sonne ist es angenehm warm. Die Gärten vor den Reihenhäusern eine vielfarbige Pracht. Kein Dauerrauschen auf der vierspurigen Straße, die das Viertel nach Süden hin begrenzt, nur dann und wann das Geräusch eines einzelnen Autos. Stattdessen kann man die Vögel hören. Das einzige Wort, das in dieses Bild des Friedens und der Schönheit passt: Sie jubilieren. Ich wundere mich, wie wenig Menschen ich sehe. Kommt mir jemand auf dem Bürgersteig entgegen, wechselt er oder sie die Straßenseite, oder ich weiche aus. Stille gegenseitige Rücksichtnahme. Ein Wohlgefühl füllt mich ganz aus.
Dann bin ich wieder zu Hause, schalte den Fernseher ein, schlage die Zeitung auf, lese von der Zunahme der Zahl der Kranken und der Toten. Zwei Welten, gleichzeitig.
An dem Abend, nachdem er diesen Text verfasst hatte, dieses Bild einer durch die Krise gesteigerten Idylle, schaute er Sondersendungen zur Pandemie auf zwei Kanälen. Da ging es um Menschen in Altersheimen, die nicht mehr besucht werden dürfen, um Alleinlebende, die keine Außenkontakte mehr haben, und um Alleinerziehende, die zu allen ihrer Lebenssituation geschuldeten Erschwernissen hinzu nun auch noch die Rolle der Hilfslehrerinnen übernehmen müssen, um Arbeiter, die um ihren Arbeitsplatz bangen, Handwerker, die befürchten, ihre Angestellten nicht mehr bezahlen zu können, Künstler ohne Auftritte, Pflegerinnen, die bis zur Erschöpfung ihren Dienst tun. Und er empfand ein Gefühl der Scham (das da war, obwohl es keiner logischen Notwendigkeit entsprang). Er ergänzte seinen letzten Eintrag:
Selbstverständlich weiß ich, dass meine Lebenssituation privilegiert ist. Ich bin meines Alters wegen nicht nur Mitglied einer vielzitierten Risikogruppe. Als Ruheständler mit einer auskömmlichen Rente muss ich nicht für mein Auskommen arbeiten. Ich bewohne ein Reihenhaus mit einem Flecken Grün davor und dahinter. Ich habe eine Partnerin. Und zu einem Teil meiner Enkel habe ich sogar die Möglichkeit des Austauschs (wenn auch über eine Distanz von zwei Metern). Wenn sie nicht zu verallgemeinern sind - wie bedeutsam sind damit meine Beobachtungen und Selbstbeobachtungen? Wie richtig ist es, sie schriftlich zu fassen, um sie dann auch anderen zu lesen zu geben?