Читать книгу Trotz Corona - Klaus F. Geiger - Страница 5
Plötzlich
Оглавлениеhatte er viel Zeit. Das heißt, er hatte schon vorher, in den letzten Jahren, viel Zeit gehabt, er war ja im sogenannten Ruhestand. Aber jetzt hatte er noch mehr Zeit. Ein bisschen seiner Frau im Haushalt helfen, zwei Tageszeitungen von der ersten bis zur letzten Seite und jede Woche einen neuen Roman lesen – das reichte nicht, das füllte die Zeit nicht aus, nicht quantitativ und nicht qualitativ. Er fühlte eine wachsende innere Unruhe. Er wollte aktiv sein. Jetzt, wo die allgemeine Kontaktsperre ihn hinderte, aus dem Haus zu gehen und anderen mit seinem pädagogischen Rat in ihren Lebensaufgaben beizustehen. Eine Kontaktsperre, die nicht nur selbstverordnet war, weil er sich nicht anstecken lassen wollte von dem Virus, das sich über die ganze Erde verbreitete. Nein, diese Kontaktsperre war auch den Anderen – das heißt, allen Menschen außer seiner Ehefrau – öffentlich verordnet worden war, um ihn zu schützen. Weil er wegen seines Alters zu einer Risikogruppe gehörte, wie es immer hieß, quasi die Risikogruppe verkörperte.
Wäre diese sich endlos dehnende Zeit nicht eine Möglichkeit, sich an den Schreibtisch zu setzen und wieder einmal zu schreiben? Aber worüber sollte er schreiben? Kein Thema drängte sich ihm auf. Bis eine Bemerkung einer Bekannten ihn aus seiner leeren Gespanntheit erlöste. Was hatte denn sein Leben in den letzten beiden Wochen geprägt, was hatte die Zeitungsseiten und TV-Nachrichten, die er so ausgiebig rezipierte, von Anfang bis Ende ausgefüllt? Könnte, gar: sollte er nicht über die Zeit der Pandemie schreiben – genauer gesagt, über die Erfahrungen die er damit machte, seine Beobachtungen an sich und anderen? Plötzlich setzte ein, was er schon von früher kannte: Seine Gedanken überschlugen sich, er füllte Zettel auf Zettel, ja, mitten in der Nacht fielen ihm noch auffällige Vorkommnisse ein, zu denen er unbedingt ein Stichwort notieren musste, um sie nicht zu vergessen.
Er setzte sich also an seinen Schreibtisch und verfasste jeden Tag ein oder zwei kurze Texte. In diesem Sinne kann man das Ergebnis – auch wenn die Eintragungen sich auf das eine Thema der Pandemie beschränkten – als Tagebuch bezeichnen. Wie für ein Tagebuch typisch, ergibt sich kein einheitliches Bild, denn das, was ihn erstaunte, zum Nachdenken brachte, oftmals erboste, wechselte ja, ebenso wie seine Reaktion darauf.
An verschiedenen Stellen – ich habe sie durch Kursivschrift kenntlich gemacht - konnte ich dem Drang nicht widerstehen, die Ausführungen des Tagebuchschreibers zu ergänzen oder richtig zu stellen.