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1. Tatbestand
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Der Tatbestand wird durch den sog. Anknüpfungsgegenstand geprägt (z.B. die Rechtsfähigkeit in Art. 7, die Eheschließung in Art. 13, die Rechtsnachfolge von Todes wegen in Art. 21 EuErbVO, die Beförderung von Gütern in Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO).
JURIQ-Klausurtipp
Dieser Anknüpfungsgegenstand ist bei der Klausurbearbeitung für das Auffinden der einschlägigen Kollisionsnorm entscheidend. Geht es im Fall um eine Eheschließung, so schauen Sie vorrangig in Art. 13, geht es um Rechte an einer Sache, blicken Sie zunächst in Art. 43. Dieser an sich selbstverständliche Subsumtionsvorgang wird im IPR als Qualifikation bezeichnet.[1]
Denken Sie beim Qualifizieren stets an vorrangige Staatsverträge und Europarecht! Wenn es etwa um unerlaubte Handlungen geht, bleiben Sie gedanklich nicht bei Art. 40 stehen, sondern prüfen zunächst Art. 1 ff. Rom II-VO. Wenn Sie eine offenbar passende Norm gefunden haben, prüfen Sie die davor- und darauffolgenden Vorschriften auf ihre Einschlägigkeit, indem Sie zumindest ihre Überschriften lesen.
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Auslegungsbedürftige Anknüpfungsgegenstände im nationalen Recht werden mit nationalem Rechtsverständnis begriffen und ausgelegt. Dieser internationalprivatrechtliche Grundsatz wird als „Qualifikation nach der lex fori“ bezeichnet.[2] Das bedeutet, dass der Tatbestand der Kollisionsnorm nach dem Recht des Gerichtsstandes (= lex fori) verstanden wird.[3]
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Bei Anknüpfungsgegenständen im europäischen Kollisionsrecht ist das anders. Hier ist die europäische Sichtweise maßgebend. Was also etwa ein Dienstleistungsvertrag i.S.d. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO oder eine unerlaubte Handlung i.S.d. Art. 4 Rom II-VO ist, darüber entscheidet nach der sog. europäisch autonomen Auslegung nicht das nationale, sondern das europäische Rechtsverständnis. Dies kann aus nationaler Perspektive zu überraschenden Abweichungen vom deutschen Recht führen: So fallen etwa unter Dienstleistungsverträge i.S.d. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO nicht nur Verträge i.S.d. § 611 BGB, sondern auch Werkverträge i.S.d. § 631 BGB[4] und andere Vertragstypen.[5] Ein gemeinschaftliches Testament nach den §§ 2265 ff. BGB ist regelmäßig nicht als ein gemeinschaftliches Testament i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. c der neuen europäischen Erbrechtsverordnung (EuErbVO) anzusehen; vielmehr ist ein gemeinschaftliches Testament nach den §§ 2265 ff. BGB regelmäßig als Erbvertrag i.S.d. EuErbVO zu verstehen![6]
Zusammenfassend lässt sich deshalb festhalten, dass sich im Anwendungsbereich des Unionsrechts eine Auslegung nach dem nationalen Rechtsverständnis verbietet.