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8. Allein

Nachdem Peter die Bürotür geschlossen hat und den Poststapel auf dem Schreibtisch bemerkt, weicht seine gehobene Stimmung langsam einer beklemmenden Spannung. Was wird heute wieder auf ihn zukommen? Mit wachsender Unruhe öffnet er die Briefumschläge und entspannt sich erst, nachdem er auch im letzten Schreiben keine negativen Überraschungen entdeckt.

Da fällt ihm plötzlich der bevorstehende Abend ein und sofort kriecht wieder das dumpfe Drohen in seinen Brustkorb. Die neue Wohnung ist eingerichtet und heute will er dort erstmals übernachten.

Schon tagelang, seit er allein im Gästezimmer seines Hauses schläft, bemerkt er wieder diesen unangenehmen Druck in der Brust, hervorgerufen von Erinnerungen an seine lieblose Kindheit. Er hat seit vielen Jahren kaum noch Albträume, denkt aber jetzt wieder öfter an die schrecklichen Ängste, die ihn früher oft quälten. Viele Jahre konnte er sie verdrängen, seine Familie war der schützende Hafen.

Er weiß, dass er sich zusammenreißen muss und atmet konzentriert mehrmals tief durch. Während er dabei seinen Schreibtisch aufräumt, beruhigt er sich langsam wieder und als Sabina ihm mitteilt, dass die ersten Patienten im Wartezimmer sitzen, hat er sich wieder im Griff.

Am Ende der Sprechstunde haben sich die trüben Gedanken verflüchtigt. Heute kann er erstmals zu Fuß nach Hause gehen, da die neue Wohnung nur wenige Minuten von der Praxis entfernt ist. Es ist ein neues, eigenartiges aber nicht unangenehmes Gefühl.

Der frühe Abend ist hell, die Luft angenehm warm und der Boulevard noch belebt. Peter fühlt sich angenehm beschwingt. Am liebsten würde er noch weiter durch die Stadt flanieren, aber er muss die Reisetasche, die er heute in der Frühe gepackt hat, erstmal in seiner neuen Wohnung abstellen.

Als er die kleine, dunkle Wohnung betritt, ergreift ihn plötzlich wieder diese starke Beklemmung. Das also, ist jetzt sein Zuhause! Welch ein Kontrast zu seinem großzügigen Heim im Grünen. Die bedrückende gespenstische Stille in den einsamen Räumen verstärkt seine negativen Emotionen und er verspürt wieder die quälende Unruhe. Ich muss hier erst mal raus!

Er überlegt nicht lange, holt sein Fahrrad aus dem Keller und fährt dann ziellos durch die Gegend. Je stärker seine Muskeln schmerzen, umso besser fühlt er sich. Mit der Zeit beruhigen sich seine Nerven wieder und als es schon zu Dämmern beginnt, fährt er langsam zurück.

Er ist jetzt wieder vollkommen angstfrei. Die Fahrradtour hat ihm sehr gutgetan. Körperliche Bewegung hat schon in der Kindheit geholfen, seine Ängste zu verjagen.

Er hofft, dass es nicht noch schlimmer wird, denn es gibt noch eine Steigerung seiner Qualen, vor der er sich am meisten fürchtet. Diesen Teufelskreis hat er letztmalig nach der Trennung von Claudia vor vielen Jahren erlebt.

Er hat große Angst vor der nächtlichen Grübelei, wenn er mitten in der Nacht aufwacht und ihm die endlos rotierenden Schleife der sich steigernden Hoffnungslosigkeit den erholsamen Schlaf raubt und damit die Furcht vor dem nächsten anstrengenden Tag nährt. Das darf er gar nicht erst zulassen. Er muss unbedingt die negativen Gedanken fesseln. Morgen hole ich mir ein interessantes Buch! Vielleicht gibt es heute auch noch eine fesselnde Fernsehsendung?

Er fährt an einem Einkaufszentrum vorbei und beschließt, noch einkaufen zu gehen, um anschließend mit einem schönen Essen den Abend zu verschönern. Als er durch die Regalreihen des belebten Einkaufszentrums schlendert, bessert sich seine Stimmung wieder deutlich. Er entscheidet sich für Kartoffelpuffer, die erinnern ihn an die angenehmste Zeit seiner Kindheit, als er bei seiner Oma lebte.

Conny mochte sie nicht, hat sie trotz seiner Bitten niemals gebraten. Wenn er Appetit darauf hatte, musste er sie selbst zubereiten. Die Kinder haben es geliebt, wenn er dann in der Küche brutzelte.

In der Spirituosenabteilung packt er sich eine Flasche Chivas Regal ein. Warum nicht? Wenn er schon allein lebt, kann er auch mal über die Stränge schlagen. Conny hat ihn immer mit Ablehnung bestraft, wenn er mal einen über den Durst getrunken hat. Sie hat in ihrer ersten Partnerschaft damit sehr schlechte Erfahrungen gemacht.

Als er das Einkaufszentrum verlässt, ist die Sonne schon untergegangen. Die allgemeine Dunkelheit bewirkt, dass das Treppenhaus seiner Mietwohnung, dass tagsüber nur spärlich beleuchtet ist, nicht mehr so bedrückend düster wirkt und in seiner Wohnung schaltet er sofort sämtliche Lampen an.

Hell erleuchtet erscheint sie ihm gar nicht mehr so deprimierend. Er registriert das mit Erleichterung und spürt, dass er sich an sie gewöhnen wird, wie an so vieles Unangenehme seines Lebens.

Eine Melodie pfeifend packt er die Einkäufe aus und beginnt das Abendessen vorzubereiten. Köstlicher Bratenduft weckt Erinnerungen an eine schöne Zeit. So roch es oft in der gemütlichen Wohnung seiner geliebten Oma. Er freut sich auf das Essen.

Als er aber dann so ganz allein am Küchentisch sitzt und die dick mit Apfelmus bestrichenen Puffer verspeist hat, wird er wieder trübsinnig.

Er räumt schnell das Geschirr weg und setzt sich dann mit dem Whisky in sein kleines Wohnzimmer zum Zeitunglesen. Nachdem er sie mehr überflogen als gelesen hat, beginnt langsam der Alkohol zu wirken und er überlässt sich seinen Gedanken.

Warum muss er sich wieder von einer vertrauten Umgebung trennen? Liegt es an ihm? Hat er nicht alles getan für seine Familie? Als er Conny kennenlernte, war er sicher, dass sie ihn liebt und ihn nie verlassen würde. Warum hat sie sich in den letzten Jahren zunehmend von ihm entfernt. Was hat sie gegen ihn? Ist er zu dominant?

Er ist sich bewusst, dass er ihr intellektuell überlegen ist, aber das hat ihn selbst nie gestört. Er liebt ihre attraktive weibliche Ausstrahlung, ihre weiche, mütterliche Art und auch ihre Schwächen.

Er weiß, dass er emotional sehr unausgeglichen ist. Aber in ihrer Nähe fühlt er sich immer wie in einem sicheren Hafen. Wenn er, wie so oft, nachts aufwacht, braucht er nur ihren warmen, weichen Körper zu berühren und sofort fühlt er sich geborgen.

Peter seufzt. Was mache ich falsch? Warum kann mich keiner lieben? Ich habe ihr doch alle Wünsche erfüllt.

Kinder sind für sie das höchste Glück, deshalb hat sie sich ja von ihrem früheren Partner, der keine Kinder wollte, getrennt. Sie hat ihre Kinder stets um sich, braucht nicht zu arbeiten und sagt selbst, dass ihre ehemaligen Kolleginnen sie beneiden.

Peter trinkt das zweiter Whiskeyglas aus, gießt es wieder voll und überlässt sich der beruhigenden Wirkung des Alkohols. Langsam verblassen seine Schuldgefühle und machen rebellischen Gedanken Platz.

Warum wirft sie mir vor, dass ich nicht immer für sie da bin? Sie wusste doch vorher, dass ein Arzt sich nicht so ausgiebig wie eine Hausfrau um die Familie kümmern kann. Warum hat sie ihn geheiratet? War es der Status Arztfrau und die damit verbundenen materiellen Vorteile?

Hat sie sich jemals bedankt, dass er ihretwegen auf vieles verzichtet? Seine Freizeit- und Urlaubsgestaltung wird von ihr bestimmt und wenn seine Freunde ihr nicht gefallen, werden sie ausgegrenzt. Nicht mal Stefan und Bärbel toleriert sie. Trotzdem wirft sie ihm vor, dass sich bei ihnen alles nur um ihn dreht. Er versteht das nicht.

Genau betrachtet, ist er nie sicher, was in ihr vorgeht, denn offenem Streit geht sie in der Regel aus dem Weg. Das ist zwar für ihn bequem, aber es wäre für ihre Beziehung sicher besser, wenn sie über Differenzen sich auch streiten würden.

Nervend ist auch ihr geradezu zwanghafter Reinigungswahn und ihre anspruchslosen Bedürfnisse hinsichtlich ihrer Freunde machen ihn auch nicht glücklich.

Wirklich bekümmert ist Peter aber über das Nachlassen ihrer sexuellen Leidenschaft seit Hendriks Geburt. Anfangs hat er versucht, mit ihr zu reden, aber sie lehnt jegliche Diskussion darüber ab. Er hat schon lange den Verdacht, dass sie die seltenen sexuellen Kontakte eher als Pflichtaufgabe ansieht.

Der Whiskey dämpft zunehmend Peters Grübelei und entführt ihn ins Land der Träume. Er überlässt sich diesem Sog und duselt langsam weg.

Mondeskälte

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