Читать книгу Mondeskälte - Klaus Neukamp - Страница 13
Оглавление9. Angst
Peter läuft ängstlich durch einen finsteren Wald, der immer dunkler und bedrohlicher wird. Kein Mensch ist zu sehen. Unheimliche Geräusche, Säuseln und Kreischen, steigern seine Furch. Seine Schritte werden hektischer und unsicherer, das Panikgefühl beißt sich in seinem Nacken fest und sein Körper ist schweißnass.
Er stolpert auf eine mondhelle Waldlichtung und hört wie singend sein Name ertönt. Die Stimme kommt ihm sehr bekannt vor, aber sie ist aus ferner Zeit. Wie kann das sein? Seine Oma ist lange tot.
Plötzlich versteht er es ganz genau. „Komm, komm Peterchen, bleib nicht stehen!“
Seine Blicke durchsuchen, dort wo er die Stimme vermutet, den Waldrand ab, unsicher setzt er sich strauchelnd in Bewegung, wird schneller und beginnt zu laufen.
Er stürzt wiederholt über Hindernisse, der Urwald wird immer dichter, das Unterholz klammert sich an ihn, er rafft sich jedes Mal wieder auf und hetzt weiter, der Stimme folgend. Knorrige Klauen greifen nach ihm, er reißt sich mühsam los, springt über vermodernde Baumstämme, über einen breiten Graben und sinkt plötzlich bis zur Hüfte in glucksendem Sumpfboden ein.
Eiskaltes Grauen erfasst ihn, er klammert sich krampfhaft an die nächste Wurzel und kann gerade noch verhindern, dass er im Moor versinkt. Das vermodernde Holz ist aber zu schwach, um sich daran hochzuziehen. Peters Atem wird immer fieberhafter und sein Blick irrt Hilfe suchend umher.
Plötzlich sieht er, einige Meter entfernt, eine weibliche Gestalt aus dem Nebel auftauchen. Vom Mondlicht hell angeleuchtet, erscheint sie ihm wie eine weiße Fee? Sie bewegt sich nicht, sieht ihn nicht an und schweigt, aber plötzlich glaubt Peter, sie zu erkennen.
Es ist Conny. Er reckt sich empor und ruft mit letzter Kraft: „Conny, hilf mir bitte, ich versinke.“
Doch die Gestalt starrt reglos und stumm in seine Richtung und während vom Boden langsam Nebel aufsteigt, verschwindet sie im Dunst.
Peter blickt ihr verzweifelt nach und zerrt mit nachlassender Kraft an der Wurzel, die plötzlich krachend reißt. Langsam aber unaufhaltsam wird er in den glucksenden Todesschlund hinab gezogen. Er will schreien, schreien, schreien, aber kein Laut verlässt seine Kehle.
Plötzlich wird es um ihn herum hell. Irritiert schaut er sich um, steht dann stöhnend auf, schüttelt sich und wankt durchgeschwitzt ins Bad. Dort bringt ihn das kalte Wasser der Dusche wieder zurück in die Realität.
Diesen Traum hat er nicht zum ersten Mal. Die Handlung ist immer ähnlich, nur das Conny darin auftaucht, hat er noch nicht erlebt.
Er muss schnell einen Weg finden, sich aus diesem Sog der Angstträume zu befreien. Alkohol ist sicher nicht die beste Lösung. Er wird sich im Fitnessstudio anmelden. Sport hilft ihm immer.
Für heute beschließt er, vorbeugend eine Schlaftablette einzunehmen, damit er ungestört schlafen kann und morgen ausgeruht ist. Das Beruhigungsmittel hat eine angstlösende Wirkung und er nimmt es nicht oft ein, da er weiß, dass man davon abhängig werden kann. Morgen, wenn er die erste einsame Nacht überstanden hat, sieht die Welt bestimmt schon wieder rosiger aus.
Dann setzt er sich vor den Fernseher und schaut sich einen Reisebericht an. Dabei kommt ihm die Idee, dass er mit seinen Kindern in den bevorstehenden Ferien eine Urlaubsfahrt machen könnte. Dieser Gedanke bessert schlagartig seine Stimmung. Ein Licht am Horizont! Eine Schiffsreise wird es nicht werden, aber Mallorca hat den Kindern immer gefallen, und Maren hat dort im letzten Jahr mit Begeisterung das Surfen erlernt.
Als der Reisebericht endet, spürt Peter schon die entspannende Wirkung des Medikamentes und geht ins Bett. Sein Schlaf wird zwar einige Male durch ungewohnte Umgebungsgeräusche unterbrochen, aber Ängste quälen ihn nicht.
Nach dem Aufstehen fühlt er sich noch etwas schläfrig, jedoch nach der Kaltwasserdusche und einem starken Kaffee fit für die kommenden Aufgaben.
Er freut sich auf seine Arbeit. Während der üblichen Sprechstunden behandelt er täglich etwa achtzig Patienten, manchmal sind es auch hundert. Er liebt das Gefühl des Flow, dass sich während dieser intensiven Tätigkeit einstellt. Da gibt es keine persönlichen Sorgen, keine Ängste, keine beklemmenden Gefühle, er wird gebraucht und das genießt er.
Als er die Wohnungstür schließt, fällt ihm ein, dass sein Auto auf dem Praxisparkplatz steht, und er einen morgendlichen Spaziergang vor sich hat. Die Stadt ist noch menschenleer, die Luft kühl, aber es scheint ein schöner Tag zu werden. Peter fühlt sich eigenartig beschwingt, seine Angstgefühle sind wie weggeblasen. Nachdem er den Parkplatz erreicht hat, wirft er seine Aktentasche auf den Beifahrersitz und fährt zur Klinik. Die Morgenvisite für seine stationären Patienten wartet.