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1. Alltäglicher Ärger

Peter spürt ein dumpfes Quälen in der Brust. Am liebsten würde er sofort zurückrufen, aber er reißt sich zusammen, jetzt muss er sich erst um die Patienten kümmern. Er hat es schon früh gelernt, Ängste zu unterdrücken. Während er langsam zur Tür geht, atmet er tief durch und strafft sich, dann bittet er die letzte Patientin der Nachmittagssprechstunde in das Untersuchungszimmer.

Die alte Frau begrüßt den fünfundvierzigjährigen HNO-Arzt Dr. Peter Hartmann, der sie freundlich anlächelt und fragt, was er für sie tun kann. Sie stöhnt und antwortet kurzatmig: „Herr Doktor. Sie müssen mir helfen, ich kann seit Tagen nichts mehr hören.“ Dabei sieht sie ihn bittend an.

Peter legt den Arm um ihre Schulter, führt sie zum Untersuchungsplatz, während sie ernst zu ihm aufblickt. „Meine Ohren sind wie taub. Trotz der Hörgeräte kann ich nichts verstehen.“

Seufzend setzt sich die Achtzigjährige und Peter sagt: „Lassen sie mich in ihre Ohren schauen, vielleicht kann ich ihnen helfen.“

Er untersucht sie mit dem Ohrmikroskop, entfernt routiniert und schmerzlos ihre Ohrenschmalzpfröpfe und blickt sie dann aufmerksam an. „Frau Schröder, können sie mich jetzt wieder besser hören?“

„Oh ja, wie schön“, ruft sie freudig, „ich kann sie wieder verstehen. Sie sind ein Engel!“ Dabei sieht sie Peter glücklich an. Der genießt ihr Kompliment und entspannt sich.

„Frau Schröder, wie geht es sonst? Was macht ihr Mann? Ist er wieder gesund?“ Sie schaut ihn sofort gequält an. „Ach Herr Doktor hören sie auf, es wird immer schwieriger mit ihm, er kann nichts mehr machen und hat nur noch Rückenschmerzen.“ Mitleidig fragt Peter sie, ob es denn gar nicht besser geworden ist.

„Besser? Schlechter!“, ruft sie bestürzt, „Es wird immer schlimmer. Sein Orthopäde findet nichts. Jede Woche sitzt mein Mann stundenlang in seiner Praxis.“

Plötzlich dämpft sie ihre Stimme und guckt Peter vertraulich in die Augen. „Er geht ohnehin nicht gern zu Doktor Neuer, der ist immer so kurz angebunden.“ Sie lächelt Peter liebevoll an. „Es sind nicht alle Ärzte so nett wie sie Herr Doktor.“

Peter senkt bescheiden den Blick und guckt dabei unauffällig auf seine Uhr. „Na ja, ich mache auch nur meine Arbeit.“

Sie schüttelt heftig den Kopf und ergreift Peters Hand. „Ja schon, aber sie sind dabei immer so aufmerksam und freundlich. Ich komme sehr gern zu ihnen.“ Peter wird ungeduldig, steht langsam auf, zieht die Patientin sanft zur Tür und verabschiedet sich mit freundlichen Worten.

Als die Tür schließt, verschwindet sein Lächeln und macht einer besorgten Miene Platz. Er geht zügig zu seinem Schreibtisch, wo der Zettel liegt. Seine Mitarbeiterin hat ihn dort abgelegt. Was die Bitte seiner Steuerberaterin um sofortigen Rückruf wohl zu bedeuten hat? Er spürt wieder das quälende Gefühl, immer wieder diese finanziellen Probleme!

Seufzend wählt er ihre Telefonnummer und hat sie sofort am Apparat. In ihrer unnachahmlichen Art kommt sie ohne Umschweife zur Sache.

Das Finanzamt hat ein Schreiben gesendet, in dem Peter vorgeworfen wird, falsche Angaben hinsichtlich seiner früheren klinischen Tätigkeit gemacht zu haben. Angeblich hat er damals neben seiner Angestelltentätigkeit auch selbstständig gearbeitet. Das würde bedeuten, dass ihm staatliche Zuschüsse für die Praxisgründung vor acht Jahren nicht zustehen und er sie zurückzahlen muss, ein sechsstelliger Eurobetrag.

Peter ist geschockt, Schweißtropfen bilden sich auf seiner Stirn und er sagt erstmal nichts. Dann fragt er mit Stimme kläglich: „Und, was machen wir jetzt?“ Sie antwortet unbeschwert: „Keine Sorge, da finden wir schon eine Lösung. Können sie morgen zu mir kommen?“ Peter sagt zu, sie verabreden sich für den nächsten Tag und beenden das Gespräch.

Seine Stimmung ist am Boden, er legt das Telefon mit unsicherer Hand in die Schale und lässt sich in den Sessel zurückfallen. Das muss er erst mal verdauen.

Wie kommt das Finanzamt auf solche Forderungen? Er hat doch während seiner Tätigkeit als angestellter Oberarzt im Krankenhaus nur gelegentlich kurze Nebenbeschäftigungen ausgeübt.

Plötzlich klopft es an seiner Tür. Ehe er reagieren kann, öffnet seine Sprechstundenhilfe Diana die Tür. Er sieht sie genervt an und fragt unfreundlich: „Was ist denn los?“.

„Wir wollten noch über Sabina reden. Sie macht wieder Probleme.“ Peter explodiert. „Verflucht noch mal, könnt ihr das nicht ohne mich klären? Muss ich mich denn hier um jeden Scheiß persönlich kümmern?“

Diana antwortet unbeeindruckt: „Chef, sie selbst wollten heute noch mit mir darüber reden.“

Peter sinkt beschämt in seinen Sessel. „Ja Diana, Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht. Ich bin einfach geschafft. Lassen Sie es uns auf morgen verschieben. Ich muss jetzt nach Hause. Meine Frau erwartet mich zum Empfang der Dorfschönen“.

Diana nickt wortlos und schließt die Tür. Peter ordnet schnell seinen Schreibtisch, zieht sich um, ergreift seine Tasche und verlässt die Praxis.

Auf dem Weg zum Auto hat er immer noch ein schlechtes Gewissen. Warum hat er Diana so angefahren? Er darf sich nicht immer so gehen lassen!

Während der Heimfahrt denkt er an das Gespräch mit der Steuerberaterin. Das fehlt ihm gerade noch. Er wollte mit seiner Familie im Sommer eine Südamerikakreuzfahrt machen, Cornelias Traum. Er hat es erst vor kurzem durchgerechnet. Trotz ihrer allgemein angespannten finanziellen Situation hätten sie sich die Reise noch leisten können. Wenn aber jetzt noch weitere finanzielle Problem dazukommen, werden sie die Auslandreise aufgeben müssen.

Das wird seiner Frau Cornelia nicht gefallen, denn sie prahlt schon seit Wochen vor ihren Freundinnen damit herum.

Er fürchtet sich davor, ihr etwas abschlagen zu müssen, denn er liebt seine Frau sehr, seine Familie ist der Hafen, der ihm Sicherheit gibt.

Heute Abend hat Conny wieder eine Party mit ihren langweiligen Freunden geplant. Peter freut sich keineswegs darauf, zumal er mitten in der Woche abends einfach geschafft ist, aber er muss wohl oder übel seine Rolle als Gastgeber spielen.

Er schaut kurz auf die Uhr. Oh, er muss sich beeilen. Vor ihm der Autofahrer scheint zu träumen. Sieht der nicht, dass die Ampel für die Rechtsabbieger schon seit Sekunden grün ist? Peter hupt nervös.

Endlich bewegt sich der Träumer langsam in die Kurve, die Ampel schaltet derweil auf gelb, Peter beschleunigt seinen Wagen und folgt schnell um die Ecke. Einige Meter hinter der Kurve überholt ihn plötzlich ein Polizeiwagen. Eine aus dem Autofenster gehaltene rot-weiße Kelle zeigt an, dass er folgen soll.

Haben die etwa hinter ihm gestanden, während er bei Rot die Ampel überfahren hat? Peters Herzfrequenz beschleunigt sich und er folgt brav dem Dienstwagen der Polizei.

Nachdem sie in der nächsten Seitenstraße anhalten, steigen zwei Polizisten aus und fordern Peter auf, sein Auto zu verlassen. Der eine fragt Peter sachlich, ob er bemerkt hat, dass er bei Rot die Ampel für die Rechtsabbieger überfahren hat.

Peter schüttelt ärgerlich den Kopf. „Nein, natürlich nicht, es war noch gelb.“ Kurz danach fügt er hinzu: „Sie sind doch fast zeitgleich mit mir um die Ecke gefahren.“

Der Polizist sagt ganz ruhig: „Als wir losgefahren sind, war die Kreuzung wieder freigegeben. Sie aber sind eindeutig bei Rot gefahren. Wir haben direkt hinter ihnen gestanden.“

Peter schäumt fast vor Wut. „Das kann doch wohl nicht wahr sein. Haben Sie nichts Besseres zu tun, als einen viel beschäftigten Mann wegen so einer Lappalie zu verfolgen. Ich habe Niemanden gefährdet, während sie rücksichtslos über die Kreuzung gebraust sind, um mich wie ein Verbrecher zu verfolgen.“

Der Beamte lässt sich nicht aus der Reserve locken, Peter muss seine Papiere zeigen und bekommt einen Strafzettel.

Er kocht vor Wut. Warum das? Während er sich bei Tag und Nacht um die Gesundheit der Mitmenschen kümmert und mit seinen Steuern die Gehälter dieser Krümelkacker bezahlt, wird er wegen so einer Lappalie wie ein Krimineller behandelt.

Wütend fragt er die Polizisten: „Na, fühlt ihr euch jetzt wie die Helden?“

Die Ordnungshüter schweigen dazu, überreichen ihm förmlich seine Papiere und lassen ihn wortlos stehen. Peter atmet tief durch. Die wissen wohl nicht, wer ich bin! Dann schaut er sich verstohlen um. Glücklicherweise hat keiner die Szene beobachtet. Als der Polizeiwagen nicht mehr in Sicht ist, steigt er in sein Auto und setzt die Fahrt fort.

Zu Hause angekommen hat er sich wieder beruhigt, stellt das Auto im Carport ab und betritt leise den Flur. Es ist ungewöhnlich ruhig im Haus. Die Gäste sind offensichtlich noch nicht da. Nur der Hund kommt ihm schwanzwedelnd entgegen. Peter ruft mit lauter Stimme: „Hallo ich bin zu Hause“. Aber außer Bello scheint sich niemand für sein Ankommen zu interessieren.

Nachdem er sich die Hausschuhe angezogen hat, geht er zur Küche und öffnet die Tür. Seine Frau Cornelia, seine fünfzehnjährige Tochter Maren sowie der elfjährige Sohn Hendrik zucken erschrocken zusammen.

Peter fragt leicht verärgert: „Ich störe wohl?“ Seine Frau steht sofort unsicher auf. „Nein, aber wir haben noch gar nicht mit dir gerechnet“.

Sie begrüßt ihn mit einem Wangenkuss, während Hendriks Stimme erklingt. „Papa, hast du an mein Geburtstagsgeschenk gedacht?“ Maren stößt ihn in die Rippen. „Mensch Hendrik, du weißt doch, dass Papa Wichtigeres zu tun hat.“

Peter lächelt seinen Sohn an. „Hendrik, natürlich denke ich an dich. Aber jetzt habe ich erst mal eine Begrüßung verdient, oder?

Er schaut seine Frau an. „Wann kommen denn unsere Gäste?“

„Wieso Gäste?“ Sie guckt ungläubig. „Die Party ist morgen.“ Peter atmet erlöst auf. „Na, dann können wir ja in Ruhe Abendbrot essen.“

Mondeskälte

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